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Der Wirtschafts- und Währungsausschuss hat vergangene Woche über den lange erwarteten „Thyssen Bericht“ abgestimmt, mit dem das Europäische Parlament seine Forderungen für die Zukunft Europas präsentiert. Der Bericht wurde mit überwiegender Mehrheit angenommen. Die Vorstellungen des Parlaments unterscheiden sich in einigen Punkten substantiell von den Ideen der vier Präsidenten: Ratspräsident Herman Van Rompuy, EZB-Chef Mario Draghi, Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker und Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Das betrifft vor allem die Bereiche der Steuerpolitik, die Rolle der EU 2020-Ziele, sozialpolitische Maßnahmen und Demokratie und Rechenschaftspflicht.
Die neueste Fassung des „Rompuy Berichts“, verfasst von Ratspräsident Herman Van Rompuy, EZB-Chef Mario Draghi, Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker und Kommissionspräsident José Manuel Barroso, diente bekanntlich als Diskussionsvorlage für das Treffen der Staats- und Regierungschefs Ende vergangener Woche. Umso wichtiger war es für das Europäische Parlament, in dieser wichtigen Phase der Diskussion über die Zukunft Europas auch seine Stimme zu erheben. Der „Thyssen Bericht“, benannt nach der belgischen konservativen Berichterstatterin, wurde Anfang vergangener Woche im Wirtschafts- und Währungsausschuss angenommen. Die endgültige Parlamentsposition muss jedoch erst vom Plenum des EP beschlossen werden.

Die Vorstellungen des Parlaments zur Fiskalunion

Im „Thyssen Bericht“ spricht sich das Europäische Parlament klar für einen europäischen Schuldentilgungsfond aus. Dieser soll eine zinsgünstige Finanzierung für Mitgliedsstaaten bereitstellen und die Rückzahlung von Altschulden ermöglichen. Die Inanspruchnahme des gemeinsamen Schuldentilgungsfonds soll nach Meinung der ParlamentarierInnen an strenge Bedingungen geknüpft sein. Hier geht der Vorschlag des Parlaments einen Schritt weiter als das „Rompuy Papier“. Die vier Präsidenten sprechen lediglich von kurzfristigen gemeinsamen Finanzierungsinstrumenten.

Der Wirtschafts- und Währungsausschuss kritisiert außerdem stark, dass das „Rompuy Papier“ keine steuerpolitischen Maßnahmen vorschlägt, um gegen Steuerdumping vorzugehen. In diesem Sinne wird eine verstärkte Kooperation und Integration gefordert, um effektivere Maßnahmen zu ermöglichen.

Sozialpolitische Akzente

Sozialpolitische Maßnahmen fehlen im Diskussionspapier von Herman Van Rompuy, Mario Draghi, Jean-Claude Juncker und José Manuel Barroso auch gänzlich. Die für die gesamte EU beschlossenen 2020-Ziele, werden nicht erwähnt. Als „EU 2020-Ziele“ gelten die 2010 beschlossenen fünf Kernbereiche, in denen die Europäische Union Fortschritte erzielen will: Beschäftigung; Forschung, Entwicklung und Innovation; Klimawandel und Energie; Bildung und Armut; und soziale Ausgrenzung. Die Abgeordneten des Wirtschafts- und Währungsausschusses fordern im „Thyssen Bericht“ die verbindliche Einhaltung dieser Ziele. Sven Giegold, grüner Abgeordneter im Ausschuss, hofft, dass durch die Berücksichtigung der EU-2020-Ziele „die negativen Folgen der Austeritätspolitik“ begrenzt werden. Außerdem spricht sich der Wirtschafts- und Währungsausschuss in seinem Bericht für einen „Europäischen Sozialpakt“ sowie eine Europäische Beschäftigungs- und Ausbildungsgarantie für Jugendliche nach dem Vorbild des österreichischen Modells aus.

Economic Governance und demokratiepolitische Ansprüche

Der „Rompuy Bericht“ schlägt außerdem vor, dass Mitgliedsstaaten durch bindende Verträge zu Reformmaßnahmen verpflichtet werden sollen. Abkommen dieser Art wurden bis jetzt nur von Mitgliedsstaaten, die um finanzielle Hilfe gebeten haben, in einem „Memorandum of Understanding“ verlangt. Abgeordnete kritisieren, dass diese verpflichtenden Reformmaßnahmen nicht demokratisch legitimiert sind und lehnen diesen Vorschlag zur Gänze ab. Es sollen lediglich finanzielle Anreize für reformeifrige Mitgliedsstaaten angedacht werden.

Der Punkt zur demokratischen Legitimität und Rechenschaftspflicht fällt beim „Rompuy Bericht“ auch mager aus. Die Stärkung des Europäischen Parlaments wird nur kurz angesprochen. Hier werden im „Thyssen Bericht“ weitreichendere Forderungen aufgestellt. Es sollen nicht nur das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente gestärkt werden, zusätzlich soll auch die Rolle des Europäischen Gerichtshofs und der EU-Antikorruptionsbehörde OLAF ausgeweitet werden. Insbesondere beim Einsatz der Rettungsschirme EFSF und ESM soll es die Möglichkeit von Prüfungen geben.

Der „Thyssen Bericht“ ist zweifelsohne ein starkes Signal. Das Europäische Parlament bringt sich mit ihm in eine Diskussion ein, von der es bislang ausgeschlossen war. Denn der Präsident des Europäischen Parlaments war nicht an der Ausarbeitung des „Rompuy Berichts“ beteiligt. Umso wichtiger sind klare Positionen des Parlaments. Da der „Thyssen Bericht“ einen Kompromiss zwischen den Fraktionen darstellt, sind nicht alle ParlamentarierInnen zur Gänze zufrieden.

Van-Rompuy Bericht

Thyssen Bericht, stand 17.9.2012

EU-2020-Ziele


Bericht von Sven Giegold