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ZurückImmer wieder gibt es auf europäischer Ebene das Phänomen der Sonntagsreden. EuropapolitikerInnen sprechen sich in ihren Heimatländern für etwas aus, wenn es dann in Brüssel aber konkret darum geht, Farbe zu bekennen, folgen sie oft anderen Interessen, und hoffen, dass es niemand bemerkt. Ein Musterbeispiel dieser Art lieferten in dieser Woche Abgeordnete des Europäischen Parlaments. Es ging um ein ganz wichtiges Thema: die Europäische Finanztransaktionssteuer.
Eine Steuer, die ausnahmsweise mal nicht die ArbeitnehmerInnen trifft, sondern die SpekulantInnen, die Auslöser der Finanzkrise. Eine Steuer, die europaweit EUR 160 Milliarden in die Budgets spült, dringend benötigte Einnahmen in einer Zeit, in der die Kommission die Mitgliedstaaten (auf Kosten der ArbeitnehmerInnen) wieder mal zu restriktiven Sparmaßnahmen zwingen will. Eine Steuer, die einen maßgeblichen Beitrag dazu leistet, dem Wahnsinn an gesellschaftlich sinnlosen, von Computern automatisierten Spekulationen einen Dämpfer zu verpassen. Klingt nach einer guten Idee? Ist es auch. Allerdings nicht für alle.
Am Höhepunkt der Krise mussten die heimlichen politischen Verbündeten der Industrie- und Finanzinteressen ihre Gesinnung verbergen. Ein offenes Bekenntnis zum neoliberalen Gedankengut, das sie während Jahrzehnten vertreten und in die Tat umgesetzt hatten, kam bei den WählerInnen nicht mehr gut an. Wer wollte nach den ungezügelten Exzessen der Finanzmärkte noch von den „Selbstheilungskräften“ des Marktes hören? In dieser Zeit war es auch politisch opportun, sich nicht als Gegner der von Arbeitnehmervertretern ebenso wie von namhaften WissenschafterInnen geforderten Spekulationssteuer auf Finanztransaktionen zu outen. Den WählerInnen war schließlich kaum zu vermitteln, dass Banken und SpekulantInnen aus der von ihnen verursachten Krise ungeschoren hervorgehen sollten.
So kam es zu einem vielsagenden Versteckspiel mit zahlreichen Facetten. Nach außen hin, in Sonntagsreden, Interviews und Talkshows, gab es von den Freunden der Industrie- und Finanzwirtschaft markige Lippenbekenntnisse, dass die SpekulantInnen zur Kasse gebeten werden müssen. Die Finanztransaktionssteuer (FTS) sei eine gute Idee, deren Zeit gekommen sei. Hinter den Kulissen bereiteten die Lobbyarmeen der Finanzindustrie aber schon die Nebelwände vor. Es geht um ein Billionen-Geschäft, werden doch heute schon rund 2/3 des gesamten Spekulationshandels maschinengesteuert im sogenannten Hochfrequenzhandel getätigt. Selbst eine lächerlich geringe Steuer zwischen 0,01 und 0,05%, wie von den Befürwortern der FTS gefordert, würde da Milliarden an Spekulationsgewinnen kosten. Dem kann die Finanzindustrie nicht tatenlos zusehen.
Also wurde von den Finanzmagiern ein neues Argument aus dem Hut gezaubert. Die Spekulationssteuer sei gut, aber sie müsse weltweit eingeführt werden. Wenn Europa hier einen Alleingang wage, würde das Geschäft in andere Teile der Welt abwandern. Belege für diese Behauptung gibt es allerdings bis heute keine. Die Europäische Kommission übernahm das Argument der Finanzlobbies und gelobte, sich für die weltweite Einführung der FTS stark zu machen. Klingt gut, ist es aber nicht. Aus zahllosen Verhandlungen mit den weltweiten Partnern wissen die Europäer, dass weder die USA noch Kanada oder China, um nur einige der internationalen Wirtschaftsgrößen zu nennen, ein Interesse daran haben, eine FTS global einzuführen. Dazu sind ihre jeweiligen Finanzlobbies zu stark. Eine weltweite FTS bleibt damit eine Illusion. Das wissen auch die Sonntagsredner in Europa.
Dass die Europäische Kommission bei in diesem Versteckspiel mitmacht, musste von den ArbeitnehmerInnen schon befürchtet werden. Dass aber auch die direkt gewählten Europarlamentarier den Argumenten der Finanzindustrie foglen, musste diese Woche in Brüssel mit großer Überraschung zur Kenntnis genommen werden.
Überraschend deshalb, da die Europaabgeordneten erst vor 4 Monaten sich einhellig für einen Alleingang Europas bei der FTS ausgesprochen hatten, falls weltweit keine Einigung zustande kommen sollte. So heißt es in Ziffer 63 des Berichts der französischen Abgeordneten Pervenche Béres wörtlich: „[das EP] befürwortet die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, …; ist der Ansicht, dass eine solche Steuer auf möglichst breiter Grundlage beschlossen oder, falls dies nicht möglich ist, als erste Maßnahme auf Unionsebene ergriffen werden sollte“. Im zuständigen Parlamentsausschuss wurde dieser Beschluss mit 33 Ja-Stimmen bei nur 2-Gegenstimmen praktisch einstimmig für gut befunden. Und in der darauffolgenden Abstimmung im Plenum des EP sagten 501 Abgeordnete Ja, nur 67 waren dagegen.
Völlig konträr das Verhalten der Abgeordneten diese Woche Dienstag im Wirtschafts- und Währungsausschuss. Hier wurde der Bericht der griechischen Abgeordneten Anni Podimata abgestimmt. Vor der Abstimmung einigten sich die Führer der wichtigsten politischen Parteien, Europäische Volkspartei, Sozialdemokraten, Liberale und Grüne, auf einen Kompromisstext, der wortgleich den Beschluss des Parlaments aus dem Vorjahr wiederholte: „[das EP] ist der Ansicht, dass eine solche Steuer auf möglichst breiter Grundlage beschlossen oder, falls dies nicht möglich ist, als erste Maßnahme auf Unionsebene ergriffen werden sollte“. Für gewöhnlich ist es parlamentarischer Usus, dass die Abgeordneten sich an derartige Abmachungen halten – wozu würde man sie sonst schließen?
Die Anhänger einer Europäischen FTS ließen sich jedoch mitten in der Abstimmung von den Liberalen und der EVP überraschen. Und das ging so: Der liberale Markthardliner Olle Schmidt machte den Anfang und stellte den Antrag, über den gesamten Passus getrennt abzustimmen. Das hatte zur Folge, dass der Satz „[das EP] ist der Ansicht, dass eine solche Steuer auf möglichst breiter Grundlage beschlossen [werden sollte]“ im Einklang mit dem Kompromiss zwischen den Parteien mit breiter Mehrheit beschlossen wurde. Beim zweiten und entscheidenden Teil „oder, falls dies nicht möglich ist, als erste Maßnahme auf Unionsebene ergriffen werden sollte“, also der Forderung nach einem Alleingang Europas, wurden die Bündnispartner von EVP und Liberalen allerdings wortbrüchig, der Antrag fand keine Mehrheit (21 zu 21) und verschwindet aus dem Bericht!
Als nicht aufgegangenes Kalkül der Anhänger einer europäischen FTS muss auch gewertet werden, dass sie einer geheimen Abstimmung zugestimmt haben, in der falschen Hoffnung, dass einige Hardliner-Gegner der FTS ihre Meinung ändern würden, wen die Industrie ihnen nicht genau auf die Finger schauen kann. In Wahrheit geschah das, was geschehen musste: In der Anonymität schmetterten die Hardliner ungestört die FTS ab, ohne dass die Öffentlichkeit sie zur Rechenschaft ziehen kann. Allerdings gab es eine ungeplante und verräterische Panne während der Abstimmung. Im allgemeinen Tumult über das handstreichartige Vorgehen der Liberalen musste die entscheidende Passage mehrfach abgestimmt werden, da sich die (nicht immer souveräne) Ausschussvorsitzende Sharon Bowles anfangs verzählt hatte. Hatte der Anführer der EVP, Jean-Paul Gauzès, bei der ersten Abstimmung noch versucht, das übliche Handzeichen des Fraktionsführers an die anderen Abgeordneten (Daumen hoch: zustimmen; Daumen runter: ablehnen) zu vermeiden, um den Wortbruch der Konservativen in der Öffentlichkeit nicht deutlich zu machen, wollte er angesichts der Knappheit der Stimmverhältnisse beim zweiten Durchzählen lieber nichts anbrennen lassen. Und so findet sich der kuriose Videobeweis, dass Gauzès seine Fraktionskollegen mit gesenktem Daumen zum Bruch des selbst ausgehandelten Kompromisses anspornt.
Weshalb Abgeordnete wie der Franzose Jean-Paul Gauzès, die Polin Danuta Hübner, die Niederländerin Corien Wortmann-Kool, oder der liberale Schwede Olle Schmidt, die persönlich noch vor wenigen Monaten für eine europäische FTS gestimmt hatten, jetzt plötzlich eine 180-gradige Kehrtwendung vollzogen haben, bleibt unklar. Offensichtlich haben sie und andere überzeugenden Nachhilfeunterricht von der Finanzindustrie erhalten.
Tatsache ist, dass jedes Versteckspiel auch mal ein Ende hat. Der diese Woche abgestimmte Bericht von Anni Podimata muss im März noch vom Plenum des Europäischen Parlaments bestätigt werden. Die ArbeitnehmerInnen und ihre Vertreter werden ebenso wie ihre Verbündeten aus der Zivilgesellschaft mit Argusaugen beobachten, wie jeder einzelne Abgeordnete sich bei dieser Abstimmung verhält. Die Zeit der Sonntagsreden ist vorüber.
Am Höhepunkt der Krise mussten die heimlichen politischen Verbündeten der Industrie- und Finanzinteressen ihre Gesinnung verbergen. Ein offenes Bekenntnis zum neoliberalen Gedankengut, das sie während Jahrzehnten vertreten und in die Tat umgesetzt hatten, kam bei den WählerInnen nicht mehr gut an. Wer wollte nach den ungezügelten Exzessen der Finanzmärkte noch von den „Selbstheilungskräften“ des Marktes hören? In dieser Zeit war es auch politisch opportun, sich nicht als Gegner der von Arbeitnehmervertretern ebenso wie von namhaften WissenschafterInnen geforderten Spekulationssteuer auf Finanztransaktionen zu outen. Den WählerInnen war schließlich kaum zu vermitteln, dass Banken und SpekulantInnen aus der von ihnen verursachten Krise ungeschoren hervorgehen sollten.
So kam es zu einem vielsagenden Versteckspiel mit zahlreichen Facetten. Nach außen hin, in Sonntagsreden, Interviews und Talkshows, gab es von den Freunden der Industrie- und Finanzwirtschaft markige Lippenbekenntnisse, dass die SpekulantInnen zur Kasse gebeten werden müssen. Die Finanztransaktionssteuer (FTS) sei eine gute Idee, deren Zeit gekommen sei. Hinter den Kulissen bereiteten die Lobbyarmeen der Finanzindustrie aber schon die Nebelwände vor. Es geht um ein Billionen-Geschäft, werden doch heute schon rund 2/3 des gesamten Spekulationshandels maschinengesteuert im sogenannten Hochfrequenzhandel getätigt. Selbst eine lächerlich geringe Steuer zwischen 0,01 und 0,05%, wie von den Befürwortern der FTS gefordert, würde da Milliarden an Spekulationsgewinnen kosten. Dem kann die Finanzindustrie nicht tatenlos zusehen.
Also wurde von den Finanzmagiern ein neues Argument aus dem Hut gezaubert. Die Spekulationssteuer sei gut, aber sie müsse weltweit eingeführt werden. Wenn Europa hier einen Alleingang wage, würde das Geschäft in andere Teile der Welt abwandern. Belege für diese Behauptung gibt es allerdings bis heute keine. Die Europäische Kommission übernahm das Argument der Finanzlobbies und gelobte, sich für die weltweite Einführung der FTS stark zu machen. Klingt gut, ist es aber nicht. Aus zahllosen Verhandlungen mit den weltweiten Partnern wissen die Europäer, dass weder die USA noch Kanada oder China, um nur einige der internationalen Wirtschaftsgrößen zu nennen, ein Interesse daran haben, eine FTS global einzuführen. Dazu sind ihre jeweiligen Finanzlobbies zu stark. Eine weltweite FTS bleibt damit eine Illusion. Das wissen auch die Sonntagsredner in Europa.
Dass die Europäische Kommission bei in diesem Versteckspiel mitmacht, musste von den ArbeitnehmerInnen schon befürchtet werden. Dass aber auch die direkt gewählten Europarlamentarier den Argumenten der Finanzindustrie foglen, musste diese Woche in Brüssel mit großer Überraschung zur Kenntnis genommen werden.
Überraschend deshalb, da die Europaabgeordneten erst vor 4 Monaten sich einhellig für einen Alleingang Europas bei der FTS ausgesprochen hatten, falls weltweit keine Einigung zustande kommen sollte. So heißt es in Ziffer 63 des Berichts der französischen Abgeordneten Pervenche Béres wörtlich: „[das EP] befürwortet die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, …; ist der Ansicht, dass eine solche Steuer auf möglichst breiter Grundlage beschlossen oder, falls dies nicht möglich ist, als erste Maßnahme auf Unionsebene ergriffen werden sollte“. Im zuständigen Parlamentsausschuss wurde dieser Beschluss mit 33 Ja-Stimmen bei nur 2-Gegenstimmen praktisch einstimmig für gut befunden. Und in der darauffolgenden Abstimmung im Plenum des EP sagten 501 Abgeordnete Ja, nur 67 waren dagegen.
Völlig konträr das Verhalten der Abgeordneten diese Woche Dienstag im Wirtschafts- und Währungsausschuss. Hier wurde der Bericht der griechischen Abgeordneten Anni Podimata abgestimmt. Vor der Abstimmung einigten sich die Führer der wichtigsten politischen Parteien, Europäische Volkspartei, Sozialdemokraten, Liberale und Grüne, auf einen Kompromisstext, der wortgleich den Beschluss des Parlaments aus dem Vorjahr wiederholte: „[das EP] ist der Ansicht, dass eine solche Steuer auf möglichst breiter Grundlage beschlossen oder, falls dies nicht möglich ist, als erste Maßnahme auf Unionsebene ergriffen werden sollte“. Für gewöhnlich ist es parlamentarischer Usus, dass die Abgeordneten sich an derartige Abmachungen halten – wozu würde man sie sonst schließen?
Die Anhänger einer Europäischen FTS ließen sich jedoch mitten in der Abstimmung von den Liberalen und der EVP überraschen. Und das ging so: Der liberale Markthardliner Olle Schmidt machte den Anfang und stellte den Antrag, über den gesamten Passus getrennt abzustimmen. Das hatte zur Folge, dass der Satz „[das EP] ist der Ansicht, dass eine solche Steuer auf möglichst breiter Grundlage beschlossen [werden sollte]“ im Einklang mit dem Kompromiss zwischen den Parteien mit breiter Mehrheit beschlossen wurde. Beim zweiten und entscheidenden Teil „oder, falls dies nicht möglich ist, als erste Maßnahme auf Unionsebene ergriffen werden sollte“, also der Forderung nach einem Alleingang Europas, wurden die Bündnispartner von EVP und Liberalen allerdings wortbrüchig, der Antrag fand keine Mehrheit (21 zu 21) und verschwindet aus dem Bericht!
Als nicht aufgegangenes Kalkül der Anhänger einer europäischen FTS muss auch gewertet werden, dass sie einer geheimen Abstimmung zugestimmt haben, in der falschen Hoffnung, dass einige Hardliner-Gegner der FTS ihre Meinung ändern würden, wen die Industrie ihnen nicht genau auf die Finger schauen kann. In Wahrheit geschah das, was geschehen musste: In der Anonymität schmetterten die Hardliner ungestört die FTS ab, ohne dass die Öffentlichkeit sie zur Rechenschaft ziehen kann. Allerdings gab es eine ungeplante und verräterische Panne während der Abstimmung. Im allgemeinen Tumult über das handstreichartige Vorgehen der Liberalen musste die entscheidende Passage mehrfach abgestimmt werden, da sich die (nicht immer souveräne) Ausschussvorsitzende Sharon Bowles anfangs verzählt hatte. Hatte der Anführer der EVP, Jean-Paul Gauzès, bei der ersten Abstimmung noch versucht, das übliche Handzeichen des Fraktionsführers an die anderen Abgeordneten (Daumen hoch: zustimmen; Daumen runter: ablehnen) zu vermeiden, um den Wortbruch der Konservativen in der Öffentlichkeit nicht deutlich zu machen, wollte er angesichts der Knappheit der Stimmverhältnisse beim zweiten Durchzählen lieber nichts anbrennen lassen. Und so findet sich der kuriose Videobeweis, dass Gauzès seine Fraktionskollegen mit gesenktem Daumen zum Bruch des selbst ausgehandelten Kompromisses anspornt.
Weshalb Abgeordnete wie der Franzose Jean-Paul Gauzès, die Polin Danuta Hübner, die Niederländerin Corien Wortmann-Kool, oder der liberale Schwede Olle Schmidt, die persönlich noch vor wenigen Monaten für eine europäische FTS gestimmt hatten, jetzt plötzlich eine 180-gradige Kehrtwendung vollzogen haben, bleibt unklar. Offensichtlich haben sie und andere überzeugenden Nachhilfeunterricht von der Finanzindustrie erhalten.
Tatsache ist, dass jedes Versteckspiel auch mal ein Ende hat. Der diese Woche abgestimmte Bericht von Anni Podimata muss im März noch vom Plenum des Europäischen Parlaments bestätigt werden. Die ArbeitnehmerInnen und ihre Vertreter werden ebenso wie ihre Verbündeten aus der Zivilgesellschaft mit Argusaugen beobachten, wie jeder einzelne Abgeordnete sich bei dieser Abstimmung verhält. Die Zeit der Sonntagsreden ist vorüber.