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Steigende Defizite und öffentliche Schulden in Folge der Wirtschaftskrise sorgten in den vergangenen Wochen und Monaten in der EU für nervöse Debatten und hektische Verabschiedungen von überambitionierten Sparprogrammen. Die Warnungen von ÖkonomInnen, die durch das rigorose Beschneiden staatlicher Ausgaben die wirtschaftliche Erholung in Gefahr sehen, bleiben weitestgehend ungehört. Nun stellt sich die Europäische Kommission einmal mehr an vorderster Front jener, die eine sofortige ausgabenseitige Budgetkonsolidierung fordern. Für die ArbeitnehmerInnen bedeutet das nichts Gutes.
Vorige Woche wurde in Brüssel der alljährliche Bericht zur Lage der europäischen Staatsfinanzen präsentiert. Der Abbau staatlicher Leistungen und implizit sogar Lohnkürzungen stünden am Programm, wenn es nach der EU-Kommission ginge. Dies führe zwar auch nach deren Berechnungen zu einem schwächeren Wachstum und höherer Arbeitslosigkeit in den kommenden Jahren, sei aber trotzdem ohne Alternative. Konkret wird für die Konsolidierung empfohlen, in erster Linie Ausgaben – hier insbesondere Personal- und Sachausgaben sowie Transfers – zu kürzen. Zusätzlich sollten Strukturreformen zur Produktivitäts- und Investitionssteigerung sowie im Pensions-, Gesundheits-, Sozial- und Bildungsbereich zur langfristigen finanziellen Nachhaltigkeit durchgeführt werden.

Ausmaß und Quellen des Defizits

Der Bericht liefert einen guten Überblick über Krisenauswirkungen und eine erste Bilanz der Gegenmaßnahmen zur Stabilisierung des Finanzsektors bzw zur Konjunkturbelebung. Er zeigt eindrucksvoll, wie maßgeblich sich die Krise auf die öffentlichen Haushalte ausgewirkt hat. Das Budgetdefizit der Eurozone steigt heuer auf prognostizierte 6,6 % des BIP (von 2007 nur 0,6 %), die Verschuldung auf 84,7 % (nach 66 % 2007). Gegen alle Länder der Eurozone wurde mittlerweile ein Verfahren wegen übermäßigem Defizit gemäß Stabilitäts- und Wachstumspakt eröffnet. In erster Linie ist das Ansteigen der Defizite auf höhere Sozialausgaben, die notwendig wurden um die Folgen der Krise abzufedern, und sinkende Einnahmen durch den Entfall direkter Steuern, zurückzuführen. Darüber hinaus umreißt der Bericht die bevorstehenden Konsolidierungsschritte, wie sie sich in den Stabilitätsprogrammen der Mitgliedsstaaten finden lassen. Rund drei Viertel der Konsolidierung soll durch die Kürzung staatlicher Ausgaben erfolgen. Gesamt soll das Defizit in der Eurozone auf 3,9 % 2012 zurückgeführt werden. Das entspräche einem Entzug der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage von hunderten Milliarden Euro, was zwangsläufig das ohnehin schwache Wachstum sowie die hohe Arbeitslosigkeit weiter beeinträchten wird. Bezüglich der österreichischen Budgetkonsolidierung wartet die Kommission mit ihrer Beurteilung die konkreten Maßnahmen ab.

Arbeiterkammer und Gewerkschaften warnen nachdrücklich vor einem überstürzten Sparprogramm. Eine Konsolidierung ist zwar mittelfristig notwendig, doch darf sie nicht bedingungslos erfolgen und muss Rücksicht auf andere wirtschaftspolitische Ziele wie insbesondere Beschäftigung oder Verteilung nehmen. Wenn im europäischen Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung und bei weit über 20 Millionen Arbeitslosen harte soziale Einschnitte nicht nur europaweit beschlossen, sondern von der Europäischen Kommission – im Gegensatz zu höheren Steuern für Vermögende – aktiv unterstützt werden, ist das an Zynismus kaum zu überbieten. Eine kürzlich veröffentlichte AK-Studie zeigt, dass die Beschneidung öffentlicher Ausgaben, bevor sich die Wirtschaft wieder gänzlich erholt hat, zudem Wachstum und Beschäftigung weiter dämpft – wie auch im Analyseteil der Kommissionspublikation selbst zu finden ist. Wichtig wäre es jetzt mögliche neue Einnahmequellen zu erschließen, die sich verteilungspolitisch positiv auf die Gesellschaft auswirken, wie etwa die Besteuerung von Vermögen oder die Abschaffung von Steuerprivilegien für Privatstiftungen und multinationale Konzerne. Im dritten Teil des Kommissionsberichts belegen die dort angestellten wirtschaftswissenschaftlichen Analysen immerhin einmal mehr, dass gerade kurzfristig solche Maßnahmen tatsächlich die schonendste Art der Konsolidierung wären.

Der Bericht im Volltext (nur auf Englisch verfügbar)

Presseaussendung der Kommission zum Bericht über die öffentlichen Finanzen 2010

AK-Studie: Alternative Strategien der Budgetkonsolidierung (nur auf Deutsch verfügbar)