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Diese Woche fand in Straßburg am Rande der Plenartagung des Europäischen Parlaments eine Sondersitzung des Wirtschafts- und Währungsausschusses (ECON) des Europäischen Parlaments statt. Auf der Tagesordnung: Eine erste Aussprache zwischen den Parlamentariern zur Zukunft der Europäischen Finanzaufsicht. Zur gleichen Zeit brauen sich im Rat – dem Gremium, in dem die europäischen Mitgliedstaaten vertreten sind – die ersten Gewitterwolken zusammen.
Während im neu geschaffenen Sonderausschuss des Europäischen Parlaments zur Finanz-, Wirtschafts- und Sozialkrise (CRIS) vor Kurzem eine öffentliche Anhörung den Ursachen der Finanzkrise nachging, scheint unter Experten so viel außer Streit zu stehen: Wesentliche Gründe für das Entstehen der Krise waren sowohl mangelhafte oder nicht vorhandene Regeln für den Finanzsektor als auch eine ungenügende und unkoordinierte Aufsicht über die Einhaltung der bestehenden Regeln.
Jahrelang hatten namhafte Experten davor gewarnt, dass die bestehende Aufsichtsstruktur für Finanzinstitute in Europa den realen Gegebenheiten nicht mehr gerecht wird. Nach wie vor ist die Aufsicht über Banken, Versicherungen und Wertpapierhandel überwiegend in den Mitgliedstaaten angesiedelt. Gleichzeitig wird das große Geschäft in Europa jedoch von einer kleinen Gruppe von multinational agierenden Großbanken kontrolliert, die in mehreren Mitgliedsländern aktiv sind. Konsequenz: Auch die Aufsicht über diese Institute müsste grenzüberschreitend – also europäisch – organisiert sein. Ist sie aber nicht in ausreichendem Ausmaß.
Bisher haben die nationalen Aufsichtsbehörden in einer losen Runde von Kollegs Informationen ausgetauscht. Streit zwischen den Behörden war nicht vorgesehen, genauso wenig wie ein Mechanismus zur Beilegung von Streitfällen. Die Finanzkrise hat gezeigt, wie gefährlich diese Situation ist. Wenn die öffentliche Hand zur Rettung eines grenzübergreifenden Finanzinstituts einspringen muss, stellt sich schnell die Frage, welcher Mitgliedstaat bezahlen soll und wer die Regeln aufstellt. Eine Ausgangslage, die beispielsweise die Krise der belgischen Fortis-Bank massiv verschärft hat, da am Höhepunkt der Krise die verschiedenen nationalen Aufsichtsbehörden nicht in der Lage waren, miteinander Lösungen zu finden.
In Folge der Empfehlungen des Larosière-Berichts hat die Kommission in diesem Jahr ein Paket zur Neuordnung der Europäischen Finanzaufsicht präsentiert, das unter anderem beabsichtigt, diese Schwachstellen zu beheben, durch die Aufwertung der derzeit bestehenden Kollegs zu Europäischen Agenturen und durch Mechanismen der Streitbeilegung. Der Aufschrei einiger Mitgliedstaaten, insbesondere Großbritanniens, ließ nicht lange auf sich warten. Zuviel Europa und ein Kompetenzverlust für die nationalen Aufsichtsbehörden. Folgerichtig werden im Rat bereits Koalitionen geschmiedet, um den ohnehin nicht sehr weitreichenden Vorschlag der Kommission weiter zu verwässern – eine Taktik, die auch bei allen anderen Vorschlägen zur Regulierung der Finanzmärkte von London & Co vehement verfolgt wird.
In dieser Situation, in der einige Mitgliedstaaten wieder mit Hochdruck daran arbeiten, die Handlungsmöglichkeiten Europas auf ein Minimum zu beschränken, richten sich die Augen auf das Europäische Parlament, das in dieser Angelegenheit gleichberechtigt mitentscheiden muss. Der federführende Wirtschaftsausschuss hat die Berichterstatter für die einzelnen Teile des Finanzaufsichtspakets ernannt, und die Berichterstatter präsentierten und diskutierten gemeinsam diese Woche in Straßburg ein erstes Arbeitsdokument.
Eine Erkenntnis aus dieser ersten Aussprache: die Parlamentarier werden vermutlich weniger entlang parteipolitischer Linien, sondern vielmehr entlang nationaler Interessen entscheiden Und der Druck, den die Mitgliedstaaten auf das Parlament ausüben, ist groß. Die Diskussionen im Rat sind bereits weit fortgeschritten, und der Rat versucht, das Parlament zu einer schnellen Entscheidung zu drängen. Einige Abgeordnete, so wie der deutsche Sozialdemokrat Udo Bullmann, der österreichische EVP-Abgeordnete Othmar Karas oder die britische liberale Ausschussvorsitzende Sharon Bowles bekannten sich dennoch zu einer starken und aktiven eigenständigen Rolle des Parlaments. Es bleibt abzuwarten, welche Rolle das Europäische Parlament in der gesamten Debatte über die Regulierung der Finanzmärkte spielen wird: die eines Erfüllungsgehilfen der Regierungen in den Hauptstädten oder die eines selbstbewussten und starken Fürsprechers der BürgerInnen in Europa, die zu Recht von der EU verlangen, alles zu unternehmen, um eine neuerliche Krise auf Kosten der Beschäftigten zu verhindern.


Weiterführende Informationen:

Link zu den Gesetzgebungsvorschlägen der Europäischen Kommission zur Europäischen Finanzaufsicht

Arbeitspapier des Wirtschafts- und Währungsausschusses des Europäischen Parlaments zur Europäischen Finanzaufsicht