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Europäische Kommission stellt neue Pläne für die Neuordnung der Finanzaufsicht in der EU vor
Die Realität im europäischen Bankenwesen sieht etwa so aus: 45 grenzüberschreitend tätige Großbanken verwalten rund 70 Prozent aller bankeigenen Vermögensbestände in Europa. Der Binnenmarkt im Banken- und Finanzbereich ist damit in Europa weit fortgeschritten. Anders sieht es jedoch bei der Aufsicht über diese Banken aus, also ihrer Regulierung. Bankenaufsicht ist nach wie vor im Großen und Ganzen eine rein nationale Angelegenheit. Eine Tatsache, vor der ExpertInnen in Europa wie beispielsweise der Bruegel-Ökonom Nicolas Véron bereits seit Langem gewarnt hatten. Die Finanzkrise hat gezeigt, wie gefährlich diese Schieflage ist. Wenn grenzüberschreitende Institute wie Fortis in Schwierigkeiten geraten, wird in vielen Fällen nicht schnell und resolut reagiert, sondern es beginnt dann oft erst der Streit zwischen den Aufsichtsbehörden der Länder, in denen die Institute Niederlassungen haben - mit gefährlichen Konsequenzen.


Kommission: Zuerst die Märkte öffnen, die Regulierung aber dem Markt überlassen
Lange Zeit war es kennzeichnend für die wirtschaftspolitische Philosophie der Europäischen Kommission und einiger Mitgliedstaaten, dass zuerst der Binnenmarkt mit europäischen Mitteln im Interesse der Großunternehmen verwirklicht werden sollte. Über die Regulierung der dadurch entstandenen grenzüberschreitenden Unternehmen wollte man sich bei der Marktöffnung keine allzu großen Gedanken machen. Man ging davon aus, dass die Finanzbranche sich schon selbst Regeln geben würde. Oberster Vertreter dieser Philosophie in der Kommission: Der Ire Charlie McCreevy, zum vermeintlichen Nutzen der Bankenplätze in Dublin und London.

McCreevy zwischen Lichtgeschwindigkeit und heftigen Diskussionen
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass diese Woche in Brüssel gerade McCreevy – zusammen mit Kommissionspräsident Barroso und dem spanischen Wirtschaftskommissar Almunia – die neuen Vorschläge der Kommission zur zukünftigen Finanzaufsicht in Europa vorstellte. Die Entwürfe zur Neugestaltung der Makro- und Mikroaufsicht zeigten das schnelle und entschlossene Handeln der Kommission, quasi mit „Lichtgeschwindigkeit“, so McCreevy. Allerdings meinte der Kommissar einschränkend, dass er noch mit „heftigen Diskussionen“ in den Mitgliedstaaten rechne.

London auf den Barrikaden
McCreevy weiss, wovon er spricht. Heftiger Widerstand kündigt sich wieder mal aus Großbritannien an. Nachdem die Briten im Auftrag der City of London bereits alles unternehmen, um die anstehende Regulierung von Hedgefonds zu torpedieren, gehen ihnen auch die jetzt vorgelegten Pläne zur europäischen Finanzaufsicht viel zu weit.

Es geht konkret um die vorgeschlagene Schaffung von drei „neuen“ Europäischen Aufsichtsbehörden für das Bankwesen (EBA), den Wertpapierhandel (ESMA), und das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA). Sie bilden zusammen mit den nationalen Aufsichtsbehörden das sogenannte Europäische System für die Finanzaufsicht (ESFS). Bisher hatten sie nur beratende Funktion und sollen jetzt mehr zum Sagen haben und außerdem neue Funktionen übernehmen, so die Koordinierung im Krisenfall, die Erarbeitung von Vorschlägen für technische Standards, oder auch die neugeschaffene direkte Beaufsichtigung der Rating-Agenturen.

Wenn es Streit gibt, soll jemand entscheiden können
Der strittigste Punkt ist aber die Befugnis für die neuen Behörden, Meinungsverschiedenheiten zwischen nationalen Aufsichtsbehörden beilegen zu können. Derzeit funktioniert die Aufsicht über grenzüberschreitende Finanzinstitute so, dass die nationalen Aufsichtsbehörden in Kollegien zusammenkommen und Probleme diskutieren. Kommt es zu Streit – Beispiel Fortis - gibt es keinen Mechanismus zur Lösung. Das soll sich mit dem neuen Vorschlag der Kommission ändern, damit der Streit zwischen den nationalen Aufsichten in den Ländern nicht zu einem Zusammenbruch von Banken und zu einer Gefahr für das gesamte Finanzsystem wird. In Zukunft sollen die Behörden in Notsituationen Entscheidungen treffen können, die die nationalen Aufsichtsbehörden zwingen können, zu handeln. Ob eine Notsituation vorliegt oder nicht, stellt die Kommission fest.

Notsituation hin oder her, das ist den Briten zu viel Europa. Bereits vor der Veröffentlichung hatten sie durchgesetzt, dass die neuen Behörden keine Entscheidungen treffen dürfen, die fiskalische Auswirkungen auf die Mitgliedstaaten haben. Ist also beispielsweise eine Tochter einer italienischen Bank in Großbritannien in Schwierigkeiten, sollen die europäische Aufsicht nicht bestimmen können, dass Großbritannien die Bank vor dem Kollaps rettet.

Neuer Ausschuss bei der EZB soll Blasen und Krisen rechtzeitig erkennen
Etwas unkontroversieller ist die neu vorgeschlagene Makroaufsicht. Der neue Europäische Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) – angesiedelt bei der Europäischen Zentralbank - soll Risiken für das Finanzsystem als Ganzes erkennen, Frühwarnungen abgeben, und bei Bedarf konkrete Maßnahmen vorschlagen, auf die dann schnell reagiert werden soll. Die Warnungen und Empfehlungen des ESRB gehen an die Mitgliedstaaten und die nationalen Aufsichtsbehörden, die entweder den Vorgaben folgen oder erklären müssen, warum sie untätig bleiben wollen. Sind diese Gründe nicht überzeugend, kann das ESRB den Ministerrat informieren. Es besteht also so etwas wie ein „moralischer“ Anreiz, den Empfehlungen des Gremiums zu folgen, wenn man vor den anderen Mitgliedstaaten nicht bloßgestellt werden will, so die Logik der Kommission.

Die AK begrüßt die grundlegende Zielsetzung der Initiativen der Kommission, auch wenn sie in einigen Punkten kritisch ist. So gilt beispielsweise für den Ausschuss für Systemrisiken, dass nach wie vor keine breitere Einbeziehung von wirtschaftspolitischen Akteuren stattfindet, und die EZB-ExpertInnen weitgehend unter sich bleiben. Unklar ist auch, ob im Falle einer Risikowarnung an einen Mitgliedstaat der „moralische“ Anreiz genügt. Die AK ist der Ansicht, dass die Überwachung makroökonomischer Ungleichgewichte im Rahmen eines umfassenden makroökonomischen Dialogs unter Einbeziehung der Europäischen Sozialpartner stattfinden soll. Beim Europäischen System für die Finanzaufsicht ESFS findet die AK den Netzwerk-Ansatz begrüßenswert, fordert jedoch mehr demokratische Kontrolle durch das EP und den Europäischen Rechnungshof.

Als nächstes am Zug sind der Rat und das EP. Namhafte EP Vertreter haben signalisiert, dass sie einer Aufweichung des Kommissionsvorschlags nicht zustimmen werden, so der Sozialdemokrat Udo Bullmann oder der CSU-Finanzexperte Markus Ferber, der davor warnte, die EU-Aufsicht zu einem zahnlosen Tiger verkommen zu lassen.


Weiterführende Informationen:

AK-Stellungnahme zur europäischen Finanzaufsicht