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Die Europäische Kommission ändert die Eigenkapitalregeln für Banken neuerlich ab. Sie präsentierte vergangene Woche in Brüssel weitere Verschärfungen als Reaktion auf die unrühmliche Rolle der Banken in der Finanzkrise.
Siegeszug des Finanzkapitalismus
Um die Bedeutung der Änderungen an den Eigenkapitalrichtlinien der EU zu verstehen, hilft ein kurzer Blick zurück auf die jüngere Vergangenheit. Der beispiellose Siegeszug des Finanzkapitalismus begann in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts. Die Liberalisierung von Handel und Kapitalverkehr standen ganz oben auf der politischen Agenda der Marktliberalen. Die sukzessive Abschaffung von Kapitalverkehrskontrollen führte unter anderem dazu, dass der Handel mit Wertpapieren das traditionelle Kreditgeschäft der Banken überholte.

Radikale Änderung des Geschäftsmodells der Banken: 25% Rendite mit Kleinsparern?
Die politisch forcierte Deregulierung und Liberalisierung der Finanzmärkte veränderte das bisherige Geschäftsmodell der Banken radikal. Bestand die primäre Aufgabe der Banken früher darin, die Einlagen von Sparern in Form von Krediten an Unternehmen und Haushalte weiterzugeben, so verloren die Banken im Zuge der Deregulierung der Kapitalmärkte ihr Monopol auf die Kreditvergabe. Zur Aufnahme von Kapital sind Unternehmen heute nicht mehr alleine auf Banken angewiesen, sie können sich ebenso gut Geld durch die Ausgabe von Anleihen oder Aktien auf den internationalen Kapitalmärkten beschaffen. Gleichzeitig stehen die Banken heute aufgrund der Fülle an alternativen Anlagemöglichkeiten unter einem gesteigerten Druck, höhere Renditen als früher zu erwirtschaften. Sinnbild dieser Jagd nach immer höheren Renditen sind die Aussagen des Chefs der Deutschen Bank Josef Ackermann, der selbst mitten in der größten Wirtschaftskrise unserer Epoche nicht müde wird, ein Renditeziel von 25% pro Jahr für seine Bank zu fordern.

Mehr Rendite, mehr Risiko: Zur Not wird schon der Staat einspringen
Dass derartige Renditeziele nicht mit klassischen Kleinsparern und Investitionskrediten an Unternehmen erwirtschaftet werden können, liegt dabei auf der Hand. Sie können nur dadurch erzielt werden, dass sich die Großbanken zunehmend am globalen Finanzcasino beteiligen und deutlich höhere Risiken als im traditionellen Kreditgeschäft eingehen. Genau das haben sie über lange Jahre getan und dabei die Weltwirtschaft an den Rand des Zusammenbruchs gebracht. Nur der Eingriff der Staaten mit öffentlichen Mitteln hat sie vor dem Kollaps und die Kleinanleger vor dem Verlust ihrer Spareinlagen gerettet. Es stellte sich heraus, dass die Banken weder über das notwendige Wissen noch über die nötigen Reserven verfügten, die das Eingehen derart hoher Risiken rechtfertigen würden.

Eigenkapitalvorschriften sollten eigentlich das Risiko begrenzen
Es ist der Sinn von Eigenkapitalvorschriften, Regeln aufzustellen, die verhindern, dass Bankkunden und das gesamte Finanzsystem durch unverantwortliches Handeln der Banken geschädigt werden. Die Eigenkapitalrichtlinien der Europäischen Union sollen genau diesen Zweck erfüllen. Ein europäisches (und internationales) Vorgehen in diesem Bereich macht dabei durchaus Sinn, damit nicht ein Mitgliedstaat seinen Kreditinstituten durch vorteilhaftere Regeln einen Wettbewerbsvorteil verschafft. Wenn man jedoch die Entstehung der Finanzkrise analysiert, muss man zum Schluss kommen, dass die EU-Vorschriften nicht zufriedenstellend geschützt haben. Das liegt unter anderem daran, dass die Banken viel Energie aufgewendet haben, um sie zu umgehen.

Änderungen nötig, um neuerliche Finanzkrise zu verhindern
Damit sich Ereignisse wie vor der Finanzkrise nicht wiederholen können, müssen die Eigenkapitalregeln jetzt geändert werden. Es geht dabei um die Frage, wie viel Mindestkapital die Banken als Sicherheit für ihre Geschäfte bereit halten müssen, aber auch um die Aufsichtsverfahren und um Offenlegungspflichten. Die Regeln werden dabei vom sogenannten Basler Ausschuss für Bankenaufsicht erarbeitet, einem Gremium, in dem die Zentralbanken und die Bankenaufsichtsbehörden von 27 Ländern vertreten sind, und anschließend von der EU übernommen.

Erste Änderungen im Mai 2009 nur Stückwerk
Erste Änderungen an Basel II – wie die Vorschriften auch im Fachjargon bezeichnet werden - erfolgten bereits im Mai 2009. Der österreichische Europarlamentarier Othmar Karas von der Europäischen Volkspartei war damals Berichterstatter des EP. Sein Bericht, der im Mai vom Plenum angenommen wurde, sah dabei unter anderem vor, dass Großkredite an einen Kunden künftig nur dann vergeben werden dürfen, wenn sie 25 % der Eigenmittel der Bank nicht übersteigen. Diese Vorschrift soll davor schützen, dass Banken sich von einigen wenigen Kreditnehmern abhängig machen. Umstrittener war allerdings die Neuregelung bei den Verbriefungen. Bekanntlich zählen sie zu den Hauptauslösern der Finanzkrise. Es handelt sich dabei um eine besonders folgenschwere „Erfindung“ der Finanzindustrie, die nicht zuletzt dem Zweck diente, die bestehenden Eigenkapitalvorschriften zu umgehen.

Finanzinnovationen zur Umgehung der Eigenkapitalvorschriften
Und das funktioniert so: Traditionell müssen Banken, wenn sie Kredite vergeben, einen bestimmten Prozentsatz am Kreditvolumen als Eigenkapitalreserve halten. Das bindet natürlich das Kapital der Banken, und das dafür aufgewendete Geld kann nicht für anderweitige „profitablere“ Zwecke verwendet werden. Die geniale Idee der Finanzingenieure bestand jetzt darin, die gesammelten Kredite einer Bank einfach zu bündeln und an interessierte Investoren weiterzuverkaufen (im Fachjargon also zu „verbriefen“). Das hatte mehrere Vorteile für die Bank: Einerseits verschwanden damit auf einen Schlag die Kredite aus ihren Büchern und mussten auch nicht mehr mit Eigenkapital besichert werden, das frei gewordene Eigenkapital konnte also für andere Zwecke benutzt werden. Zum anderen brachte der Verkauf der Kredite neue Finanzmittel, die auch wieder zur Gewinnerzielung im Finanzcasino verwendet werden konnten. Da die Kredite im Anschluss ohnehin weiterverkauft wurden, hatten die Banken auch keinen großen Anreiz, die Bonität der Kreditnehmer genau zu untersuchen, sie verließen sich auf vermeintlich sichere mathematische Modelle, mit denen die statistische Ausfallswahrscheinlichkeit der Schuldner berechnet wurde. Die Banken und die Käufer solcher „Kreditderivate“ freuten sich lange Zeit über die Gewinne, bis die Spekulationsblase platzte und sich die mathematischen Modelle als falsch herausstellten.

Verbriefungen: Parlament und Kommission einigen sich auf Minimalvariante
Um solche Auswüchse in Zukunft zu vermeiden, schlug Karas in seinem Bericht vor, dass Banken Kreditforderungen nur dann weiterverkaufen dürfen, wenn sie selbst 5 Prozent des Wertes in ihren Büchern halten. Ein derartiger Selbstbehalt sollte ein Anreiz für die Banken sein, wieder genauer auf die Qualität der Kredite zu achten. Eine umstrittene Forderung, da insbesondere den Sozialdemokraten ein 5-prozentiger Selbstbehalt zu niedrig war, sie verlangten bis zu 20 Prozent. Letztlich setzte sich jedoch die konservative Mehrheit im Parlament durch, und auch die Kommission, die ursprünglich 15 Prozent verlangt hatte, gab dem Drängen der Bankenlobby nach. Vertröstet wurden die Skeptiker damit, dass weitere Änderungen an den Eigenkapitalrichtlinien folgen würden.

Zweites Änderungspaket: Verschärfte Regeln für komplexe Finanzprodukte
Das zweite Änderungspaket wurde jetzt von der Kommission vorgelegt und muss von den Mitgliedstaaten und dem Parlament im Herbst beraten werden. Es sieht unter anderem vor, dass Banken bei der Berechnung des benötigten Eigenkapitals für ihre Handelsaktivitäten einen zusätzlichen Kapitalpuffer für Krisensituationen vorsehen müssen, und dass sie außerdem nicht nur für das Risiko eines Totalausfalls eines Kredites, sondern auch für jenes einer Verschlechterung der Kreditqualität (schlechteres Rating) vorsorgen müssen. Für komplexe Verbriefungen sind ebenfalls höhere Eigenkapitalerfordernisse und Aufsichtsbefugnisse der Behörden vorgesehen. Weiters müssen die Banken auch die Risiken aus Verbriefungen transparenter als bisher offen legen.

Aufsichtsbehörden sollen bei Gehältern eingreifen können, aber nicht zu viel
Interessant auch die vorgeschlagene Regelung über die Gehälter von Managern und Wertpapierhändlern. Bekanntlich hatte die Kommission hier im Frühsommer in zwei Mitteilungen Regeln vorgeschlagen, die jedoch auf freiwilliger Basis beruhen sollten. Jetzt sieht der Vorschlag der Kommission vor, dass die Grundprinzipien dieser Mitteilungen von den Kreditinstituten berücksichtigt werden müssen. Allerdings sind bei Zuwiderhandeln durch die Banken im Regelfall nur Bußgelder vorgesehen, nur in besonderen Ausnahmefällen können die Aufsichtsbehörden die Banken verpflichten, höheres Eigenkapital für riskante Bezahlungs- und Bonussysteme bereit zu stellen.

Drittes Änderungspaket im Herbst
Spannend geht es auch im Herbst weiter. Dann will die Kommission weitere Änderungen an den Eigenkapitalvorschriften präsentieren. Es soll eine Verschuldungsobergrenze für Banken festgelegt werden und die Banken sollen dazu veranlasst werden, in guten Zeiten mehr Eigenkapital „anzusparen“, um in turbulenten Zeiten mehr Puffer zur Verfügung zu haben.


Weiterführende Informationen:

Richtlinie zur Änderung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG (nur in Englisch verfügbar)