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ZurückViele von uns erleben eine Individualisierung und persönliche Optimierung, sowohl zuhause als auch in der Arbeitswelt. Das hat Folgen auf die Psyche und das soziale Leben. Zum Beispiel sind viele Menschen in der EU von Einsamkeit betroffen. Am 9. Juli 2025 fand im EU-Parlament in Straßburg eine AK EUROPA Veranstaltung mit AK-Präsidentin Renate Anderl und MEP Evelyn Regner statt, in deren Rahmen Herausforderungen und mögliche Lösungsansätze diskutiert wurden.
Einsamkeit wird oft als „Epidemie des 21. Jahrhunderts“ bezeichnet. MEP Evelyn Regner (S&D) ist Mitinitiatorin des Loneliness Projekts der EU-Kommission und des EU-Parlaments, welches darauf abzielt, ein besseres Verständnis von Einsamkeit und wirksame Strategien dagegen zu entwickeln. 2022 wurde im Rahmen des Projekts erstmals eine umfassende EU-weite Umfrage durchgeführt, an der rund 30.000 Personen teilnahmen. Mehr als ein Drittel der Befragten gab an zumindest manchmal einsam zu sein. 13% fühlten sich sogar die meiste Zeit einsam. MEP Evelyn Regner betonte, dass Einsamkeit kein individuelles Versagen, sondern ein gesellschaftliches Problem sei. In der Gewerkschaftsbewegung seien Solidarität und Zusammenhalt gelebte Werte. Es sei die Aufgabe der Politik, eine Strategie zu entwickeln, um der Vereinzelung zu begegnen und gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern.
Psychische Belastungen in der Arbeitswelt
AK-Präsidentin Renate Anderl ging auf psychosoziale Risiken in der Arbeitswelt ein. Schneller, höher, weiter und mehr, laute oftmals das Motto. In Österreich fühlen sich rund 60 % der Erwerbstätigen am Arbeitsplatz mindestens einem psychischen Gesundheitsrisiko – wie Zeitdruck oder Arbeitsüberlastung, Umgang mit schwierigen Personen, schlechter Kommunikation oder Zusammenarbeit, aber auch Gewalt oder Mobbing – ausgesetzt. Die Folge: Viele Arbeitnehmer:innen halten dem Arbeitsdruck nicht mehr stand. Die Krankenstandstage aufgrund psychischer Erkrankungen haben sich in Österreich seit Mitte der 1990er-Jahre mehr als verfünffacht; und fast 45% der Invaliditätspensionen sind auf psychische Gründe zurückzuführen. Viel Leid für die Betroffenen und deren Familien, aber auch hohe betriebs- und volkswirtschaftliche Kosten sind die Konsequenz. Es brauche daher dringend gesetzliche Vorschriften für bessere Prävention und die Anerkennung von Burnout als Berufskrankheit.
Von der Problemanalyse zu Lösungsansätzen
Sonia Nawrocka (Europäisches Gewerkschaftsinstitut) führte aus, dass ein arbeitsbedingtes psychosoziales Risiko dann vorliege, wenn eine Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Gesundheit und das Wohlbefinden der Arbeitnehmer:innen durch ungünstige Arbeitsbedingungen, die auf die Art und Weise der Arbeitsorganisation zurückzuführen sind, negativ beeinflusst werden. Dies könne zu schwerwiegenden psychischen Problemen wie chronischem Stress, Burnout, Depressionen und Angstzuständen, aber auch zu körperlichen Erkrankungen wie z.B. Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes führen. Zusätzlich zu dem menschlichen Leid ergeben sich dadurch auch ökonomische Kosten in Milliardenhöhe und negative Effekten auf die Wettbewerbsfähigkeit der EU. Der Europäische Gewerkschaftsbund fordert daher eine EU-Richtlinie zur Prävention von arbeitsbedingten psychosozialen Risiken.
Hans Rocha IJzerman (LONELY-EU) ging auf das Loneliness Projekt ein. Er wies darauf hin, dass sich Einsamkeit auf die subjektive Wahrnehmung bezieht und eine unangenehme und belastende Erfahrung bezeichne, im Unterschied zum objektiven Zustand sozialer Isolation. Einsamkeit kann grundsätzlich jede:n betreffen, unabhängig von Alter und Herkunft. Wenn Menschen das Gefühl haben, keinen Kontakt zu anderen zu haben, sinke ihre Fähigkeit, sich auf andere einzulassen. Dies beeinträchtige das persönliche sowie auch das kollektive Wohlergehen. Soziale Medien können einen negativen Einfluss haben, da sie ein Gefühl der Isolation hervorrufen, und die einzelne Person sich trotz scheinbarer Verbindung immer mehr abgetrennt und einsam fühlt. LONELY-EU bringt Expert:innen aus Wissenschaft und Politik zusammen, um Wissen auszutauschen und evidenzbasierte Strategien auf allen Ebenen zu entwickeln und zu unterstützen, von der lokalen bis zur EU-Ebene.
Sozialräume und Quartiersprojekte
Katrina Pfundt (Arbeiterwohlfahrt) berichtete, dass die Arbeiterwohlfahrt an vielen Orten in Deutschland mit Sozialraumarbeit und Quartiersprojekten präsent sei, um Teilhabe und Partizipation zu fördern und die Lebensqualität der Menschen zu verbessern. Sie wies insbesondere auf das Einsamkeitsrisiko von Personen, die Care-Arbeit leisten, hin. Junge Frauen, junge Familien, alleinerziehende Mütter, Familien mit Migrationshintergrund und pflegende Angehörige seien besonders betroffen. Jüngste Forschungsergebnisse zeigen zudem einen seit der Corona-Pandemie angestiegenen Anteil einsamer Kinder und Jugendlicher. Die Politik müsse der Einsamkeit nicht zuletzt auch aus demokratiepolitischen Gründen entgegensteuern. Studien zeigen, dass antidemokratische Kräfte vor allem in Regionen, die durch eine mittlere Ländlichkeit und ökonomisch schwache Nachbarschaft geprägt sind, Zulauf haben. Der Verlust sozialer Räume verstärke Spaltung und Misstrauen.
Weiterführende Informationen:
MEP Evelyn Regner: Einsamkeit betrifft uns alle
JRC: Loneliness in Europe (nur Englisch)
EU-OSHA: Psychosoziale Risiken und psychische Gesundheit bei der Arbeit
ETUC: Resolution on specific demands for a European Directive on the prevention of psychosocial risks at work (nur Englisch)
ETUI: Benchmarking Working Europe 2025, Chapter IV (nur Englisch)
AWO: Aktiv im Quartier