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ZurückAm 25. November 2021 stimmte das Europäische Parlament mit großer Mehrheit für die EU-Richtlinie zu Mindestlöhnen und Tarifbindung. Damit gibt es grünes Licht für Verhandlungen zwischen Parlament, Rat und Kommission. Mindestlöhne stellen einen wichtigen Beitrag zur Verringerung von Erwerbsarmut, Reduzierung von Lohnunterschieden und Schaffung guter Arbeitsbedingungen dar.
Ausgehend vom Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über angemessene Mindestlöhne in der EU hat der Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten des Europäischen Parlaments (EMPL) in seinem Bericht dazu die geplanten Maßnahmen nachgeschärft. Dieser wurde am 25. November 2021 nun auch im Plenum des EU Parlaments mit sehr deutlicher Mehrheit angenommen (443 Ja-Stimmen, 192 Nein-Stimmen und 58 Enthaltungen). Nachdem auch der Rat eine Position gefunden hat, können die Trilog-Verhandlungen zwischen Rat, Kommission und Parlament starten. Die durch die Einführung der Mindestlohnrichtlinie erstarkten Tarifverhandlungen gelten als effektives Mittel, Lohn- und Sozialdumping entgegenzuwirken und einen existenzsichernden Lohn für alle EU-Arbeitnehmer:innen sicherzustellen.
Förderung von Kollektivvertragsverhandlungen
Wichtig ist, dass die Mindestlohnrichtlinie keinen Eingriff in nationale Kollektivvertragsverhandlungen vorsieht, sondern darauf abzielt, Kollektivverhandlungen zwischen Arbeitgeber:innen und Gewerkschaften in den Mitgliedstaaten zu fördern. So soll die Richtlinie erst zur Anwendung gelangen, wenn die Kollektivvertragsabdeckung unter einen gewissen Schwellenwert fällt. Während der Vorschlag der Kommission einen Schwellenwert von 70 % vorsieht, geht das Parlament weiter und fordert Handlungsbedarf, sobald weniger als 80 % der Arbeitnehmer:innen von Tarifverträgen erfasst werden.
Ambitionierter Bericht des EMPL Ausschusses
Der Bericht des Parlaments ist in vielen Bereichen noch ambitionierter als der Kommissionsvorschlag. So hält etwa das EU-Parlament ausdrücklich fest, dass die Zuständigkeit für Tarifverhandlungen bei den Gewerkschaften liegt. Ebenso soll ein neuer Abschnitt die Achtung des Grundrechts auf Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft und auf Tarifverhandlungen sicherstellen und jegliche damit verbundene Diskriminierung verbieten. Mindestlöhne sollen anhand öffentlicher Aufträge gestärkt werden, indem öffentliche Gelder nur an jene Unternehmen vergeben werden, die angemessene Mindestlöhne zahlen, unter einen Tarifvertrag fallen und das Versammlungsrecht der Arbeitnehmer:innen anerkennen. Der Bericht fordert weiters, dass die Höhe der nationalen Mindestlöhne an die wahren Lebenserhaltungskosten gekoppelt ist. Hier verweist das Parlament im Richtlinientext auch auf einen „threshold of decency“— Löhne sollen nicht unter 60 % des Bruttomedianlohns und 50 % des Bruttodurchschnittslohns liegen. Ein angemessener Mindestlohn soll außerdem jeder:m zustehen, so sollen bisherige nationale Ausnahmeregelungen für bestimmte Gruppen von Arbeitnehmer:innen im Richtlinienvorschlag der Kommission verboten werden.
Position der Mitgliedsstaaten
Nach anfänglich starkem Widerstand mancher Mitgliedsländer gilt nun ein Kompromiss im Rat als wahrscheinlich. Bedauerlicherweise stellt sich Österreich immer noch vehement gegen eine Mindestlohnrichtlinie. Ebenso stimmten die ÖVP Abgeordneten im EU-Parlament gegen den Bericht, während Teile der EVP-Fraktion die Initiative befürworteten. Das Dagegenhalten Österreichs ist unverständlich, da aufgrund der besonders hohen Kollektivvertragsabdeckung von 98 % Österreich insofern gar nicht direkt von der Richtlinie „betroffen“ ist. Weiters müsste aus österreichischer Perspektive positiv gewertet werden, dass Mindestlöhne eine schrittweise Annäherung der massiven Lohnunterschiede in der EU bedeuten und dadurch der Druck durch Lohn- und Sozialdumping auf den österreichischen Arbeitsmarkt verringert werden könnte.
Weiterführende Informationen:
EU-Parlament: Die Maßnahmen des Parlaments für faire Mindestlöhne in der EU
AK EUROPA: Gemeinsamer AK und ÖGB Brief zum EU Sozialgipfel in Porto
A&W Blog: Ist die EU für die Mindestlohnrichtlinie eigentlich zuständig?