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ZurückAm 3. September stand Kommissarin Marianne Thyssen dem Beschäftigungsausschuss des Europäischen Parlaments Rede und Antwort bezüglich der überarbeitenden Richtlinie über die Entsendung von ArbeitnehmerInnen. Thema war die gleiche Behandlung der entsandten ArbeitnehmerInnen im Gastland, ebenso wie die soziale Sicherung der ArbeitnehmerInnen, die Lohn- und Sozialdumping Einhalt gebieten soll. Eine Frage wurde allerdings nicht behandelt: Was geschieht eigentlich, wenn eine Firma, die ArbeitnehmerInnen entsendet, im Heimatland in Konkurs geht und die entsandten ArbeitnehmerInnen auf ihren offenen Forderungen sitzenbleiben?
Mit diesem Thema hat sich Walter Gagawczuk, Arbeitsrechtsexperte der AK Wien, genauer beschäftigt. Weitere Informationen finden sich auch in einer von der AK in Auftrag gegebenen Studie, die Rechtslage in Slowenien, Ungarn und der Slowakei näher beleuchtet. Die folgenden zwei Beispiele illustrieren die Problematik:
Beispiel 1: Deckelung der Beiträge bei offenen Forderungen
Ein ungarischer Bauarbeiter wird von einer ungarischen Firma für einen Auftrag nach Österreich entsandt. Er arbeitet drei Monate in Österreich – für einen Gesamtbruttolohn von 2.700 €, also 900€ pro Monat. Der Arbeitnehmer nimmt Kontakt mit der AK und erfährt, dass der österreichische Mindestlohn 1.800 € beträgt, das Doppelte seines Gehalts. Er fordert die ihm zustehende Differenz von seinem ungarischen Arbeitgeber, der die korrekte Bezahlung ablehnt. Daraufhin reicht der ungarische Arbeitnehmer gegen seinen ungarischen Arbeitgeber in Österreich Klage ein. Dem klagenden Arbeitnehmer wird Recht gegeben, der ungarische Arbeitgeber meldet allerdings Insolvenz an. Auf Grund der Deckelungen des Höchstausmaßes der offenen Forderungen kommt der ungarische Insolvenzfonds nicht für den Zahlungsbetrag auf: Der Arbeitnehmer geht leer aus und muss sogar noch die Prozesskosten von 1.200 € selbst tragen.
Beispiel 2: Zeitliche Begrenzung für das Einklagen von Ansprüchen
Ein slowenischer Bauarbeiter arbeitet vom 19. März 2012 bis 14. September 2012 auf einer Baustelle in Österreich. Obwohl dem Arbeitnehmer für den Zeitraum seines Einsatzes der österreichische Mindestlohn zusteht, erhält er den geringeren slowenischen Lohn. Der Arbeitnehmer wendet sich an die AK Steiermark und klagt im Anschluss die ihm zustehende Lohndifferenz im Rahmen des Europäischen Mahnverfahrens ein. Der Klage wird am 12. November 2013 stattgegeben. Am 12. Februar 2014 verschwindet die slowenische Firma aus dem Unternehmensregister. Der slowenische Insolvenzfonds lehnt die Forderung des Arbeitnehmers ab. Warum? Laut slowenischer Gesetzgebung können Ansprüche nur 90 Tage nach Ende des Arbeitsverhältnisses geltend gemacht werden. Der Arbeitnehmer, der sein Recht eingeklagt hat, geht leer aus.
Fazit: Richtlinie bietet keinen umfassenden Schutz für ArbeitnehmerInnen
Die Richtlinie 2008/94/EG vom 22. Oktober 2008 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers regelt Fälle wie die oben beschriebenen Beispiele. Allerdings räumt die Richtlinie den Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, die Zahlungspflicht von Garantieeinrichtungen (Insolvenzfonds) zu begrenzen - wieviel Geld nachgezahlt werden muss, legen die Mitgliedsstaaten auf Basis von Durschnitts- oder Mindestlöhnen selbst fest. Aus Sicht der AK ist die Richtlinie, die den Schutz von ArbeitnehmerInnnen bei Zahlungsunfähigkeit im Namen trägt, nicht mehr auf der Höhe der Zeit und bedarf einer Überarbeitung. Die Höchstausmaße der offenen Forderungen sind zu niedrig angesetzt. Besonders bitter ist, dass selbst EuGH-Entscheidungen den Insolvenzfonds Recht geben und die offenkundigen Schwächen der Richtlinie damit zementieren. Für entsandte ArbeitnehmerInnen lautet das Signal, im Zweifelsfall von einem kostenverursachenden Rechtsstreit abzusehen und auf Forderungen zu verzichten, obwohl Rechtsanspruch bestünde. Dementsprechend fordert die AK eine Überarbeitung der Richtlinie und die Anpassung der höhenmäßigen und zeitlichen Limits in den Mitgliedsstaaten, um grenzüberschreitendes Arbeiten auch im Falle von Insolvenzen gerecht zu gestalten.
Weiterführende Informationen:
Study of worker postings and insolvency insurance in Slovenia, Slovakia and Hungary
Insolvenz-Entgeltsicherung in Slowenien, der Slowakei und Ungarn. Ausgewählte Rechtsfragen