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ZurückBei einer gemeinsamen Veranstaltung von Eurofound und der Internationalen Arbeitsorganisation wurden neue Berichte zu systemrelevanten Berufen vorgestellt. Dabei wurde klar: Die gesellschaftliche Unterbewertung jener Berufe, auf die wir alle angewiesen sind, erfordert Handlungsbedarf. Gefordert sind eine Neubewertung dieser Arbeit und mehr Investitionen vor allem auch in die Gesundheitsinfrastruktur. Die Arbeitsbedingungen in diesen Berufen müssen sich wesentlich verbessern.
Berufe, die unser System am Laufen halten, sind häufig unsichtbar. Mit der Covid-Krise hat sich das Bewusstsein für die hohe Relevanz dieser Berufe und die gesellschaftliche Wertschätzung etwas erhöht. Die Pandemie hat deutlich gemacht, wie sehr wir auf die Beschäftigten in systemrelevanten Branchen angewiesen sind. Dennoch ist die Arbeit in diesen Branchen nach wie vor mehrheitlich unterbezahlt. Es mangelt an Arbeitskräften und viele Berufe sind für zukünftige Generationen oftmals nicht mehr attraktiv. Nicht zuletzt in Anbetracht weiterer möglicher Krisen gibt der Zustand in den systemrelevanten Berufen Anlass zur Sorge.
Dringender Verbesserungsbedarf im Bereich der Arbeitsbedingungen
Im Rahmen einer gemeinsamen Veranstaltung von Eurofound und der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) unter dem Titel „How to ensure decent work and job quality for essential workers“ wurden konkrete Maßnahmen diskutiert, um die Arbeitsbedingungen in systemrelevanten Berufen zu verbessern. Während ein neuer ILO Bericht allgemein auf systemrelevante Berufe eingeht, beschäftigt sich die neue Eurofound Publikation ausschließlich mit den Arbeitsbedingungen während der Pandemie.
Zu Beginn der Veranstaltung machte Sozialkommissar Nicolas Schmit auf Missstände in der Pflege aufmerksam. Der Arbeitskräftemangel ist gerade dort spürbar. So reduziere einerseits der demografische Wandel die verfügbare Zahl an Pfleger:innen. Andererseits steigt der Bedarf nach qualifizierten Pflegekräften. Schlechte Arbeitsbedingungen und niedrige gesellschaftliche Wertschätzung führen dazu, dass sich immer weniger Menschen für Care-Arbeit entscheiden. Der Kommissar gibt zu bedenken: „Wir leben in einer Gesellschaft, in der Menschen, die unser Geld verwalten, mehr wertgeschätzt werden als Menschen, die unsere Kinder betreuen.“
ILO-Studie verweist auf geringe Entlohnung und weitere Mängel
Im Bericht der ILO mit dem Titel „The value of essential work“ wird definiert, welche Berufe als systemrelevant eingestuft werden. Grundlage dafür bilden die nationale Einstufung jener Berufe, welche während der Pandemie von Beschränkungen ausgenommen waren. Insgesamt gelten weltweit 52 Prozent der Beschäftigten als systemrelevant. Dabei arbeiten die Menschen in einer Vielzahl von Branchen, etwa in der Lebensmittelproduktion, im Transportsektor, in der Verwaltung oder im Gesundheitsbereich.
Der Bericht zeigt, dass gerade diese Menschen während der Pandemie höhere Sterblichkeitsraten aufwiesen. Besonders hoch war die Gesamtsterblichkeit im Transportbereich, wo Beschäftigte unter einem besonders niedrigen Gesundheitsschutz litten. Aber auch insgesamt sind Menschen in systemrelevanten Berufen von einem erhöhten Gesundheitsrisiko betroffen. Darüber hinaus sind sie übermäßig oft über befristete Verträge angestellt. Lange und unregelmäßige Arbeitszeiten, niedrige Bezahlung und ein unterdurchschnittlicher gewerkschaftlicher Organisationsgrad prägen ebenso das Bild. Die Studie zeigt außerdem eine nicht erklärbare Lücke zwischen den Löhnen von system- und nicht-systemrelevanten Beschäftigten in der Höhe von etwa 9 Prozent. Dies macht noch einmal deutlich, wie die Arbeit von Beschäftigten in systemrelevanten Berufen gesellschaftlich unterbewertet wird.
Konkrete Maßnahmen auf mehreren Ebenen notwendig
Die Internationale Arbeitsorganisation empfiehlt folgende Maßnahmen, um die Arbeitsbedingungen für Beschäftigte in systemrelevanten Berufen zu verbessern: Sicherheit und Gesundheitsschutz für alle Beschäftigten unabhängig vom Beschäftigungsstatus, Gleichbehandlung bei allen vertraglichen Vereinbarungen, sichere und planbare Arbeitszeiten, Löhne, die den gesellschaftlichen Beitrag der Beschäftigten widerspiegeln, universeller sozialer Schutz inklusive bezahltem Krankenstand, Weiterbildungsmöglichkeiten sowie Investitionen in Gesundheit und Langzeitpflege.
Auch die AK fordert seit Ausbruch der Pandemie konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in systemrelevanten Berufen. Für Beschäftigte, die für die Arbeit in ein anderes EU-Land reisen, braucht es zur Vermeidung von Sozialdumping dringend einen digitalen Zugang zur Sozialversicherung. Gerade im Transportbereich oder in der Altenpflege arbeiten Beschäftigte oft nicht in ihren Heimatländern, sondern sind grenzüberschreitend oder in anderen Ländern tätig. In einem Positionspapier zur Europäischen Strategie für Pflege und Betreuung fordert die AK unter anderem europaweite Mindeststandards für Arbeitsbedingungen in der Langzeitpflege und in der Gesundheitsversorgung.
Weiterführende Informationen:
Eurofound: How to ensure decent work and job quality for essential workers (Nur Englisch)
AK EUROPA: Grenzübergreifend systemrelevant: Nachholbedarf bei Regelungen für mobile Arbeitnehmer:innen
AK EUROPA Positionspapier: Europäische Strategie für Pflege und Betreuung
A&W Blog: Systemrelevant und trotzdem am Arbeitsplatz benachteiligt
A&W Blog: Missed Nursing Care: viel mehr als Pflegepersonalknappheit
ILO Report: The value of essential work
Eurofound Policy Brief: Job quality of COVID-19 pandemic essential workers (Nur Englisch)