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ZurückDie Freizügigkeit von ArbeitnehmerInnen in der EU ist ein hohes Gut, das allerdings durch nationale Alleingänge und Grenzschließungen im Zuge der Coronakrise auf eine harte Probe gestellt wird. Entsandte ArbeitnehmerInnen, GrenzgängerInnen und SaisonarbeiterInnen spüren die Folgen: Neben der stark eingeschränkten Arbeitskräftemobilität steht auch ihre sozialrechtliche Sicherung auf dem Spiel.
Mit 1,5 Millionen EU-BürgerInnen, die in einem Mitgliedstaat leben und in einem anderen der Arbeit nachgehen, befindet sich eine große Gruppe an Beschäftigten in einer unsicheren Situation. “Viele von ihnen haben Jobs, welche wichtig sind, um uns alle durch diese Krise zu bringen” verlautbarte Ursula von der Leyen. So lebt etwa - nur um ein Beispiel zu nennen - ein Großteil des Krankenhauspersonals von Luxemburg in Frankreich oder Belgien. Nachdem bereits die Kommission zuvor eine Leitlinie zum Grenzmanagement sowie zeitliche Restriktionen für nicht-essentielle Reisen in der EU veröffentlichte, bestand weiterhin der Bedarf nach Regelungen für GrenzgängerInnen und entsandte ArbeitnehmerInnen.
Reaktion der Kommission
Am 30. März 2020 reagierte die Kommission mit der Veröffentlichung von Leitlinien zur Ausübung der Freizügigkeit der Arbeitskräfte während der Coronakrise. Darin werden die Mitgliedstaaten angehalten, die Freizügigkeit von GrenzgängerInnen und entsandte ArbeitnehmerInnen in Bezug auf “Arbeitskräfte in kritischen Sektoren” nicht einzuschränken. Sofern deren Tätigkeit als essentiell erachtet wird und in den jeweiligen Mitgliedstaaten immer noch ausgeübt wird, soll der Grenzübergang weiterhin ermöglicht werden. Die Leitlinien definieren, welche ArbeiternehmerInnen von dieser Ausnahme eingeschlossen werden sollen. Die Liste ist durchaus divers und umfasst unter anderem Gesundheitspersonal, Pflegekräfte, technisches Personal, Personal im Transport, in öffentlichen Institutionen, aber auch etwa FischerInnen. Beim Grenzübertritt sollen dieselben Gesundheits-Screenings angewendet werden wie bei anderen BürgerInnen des jeweiligen Mitgliedstaates. Die Leitlinien nehmen auch Bezug auf die hohe Abhängigkeit mancher Mitgliedstaaten von SaisonarbeiterInnen in der Landwirtschaft aus dem europäischen Ausland, die bereits in mehreren Ländern beklagt wird. Die SaisonarbeiterInnen sollen in diesen Fällen den kritischen Arbeitskräften gleichgestellt werden und damit weiterhin Grenzen passieren können. Die ArbeitgeberInnen sollen zudem von den Mitgliedstaaten angehalten werden, für einen adäquaten Gesundheitsschutz dieser ArbeitnehmerInnen zu sorgen.
Vielfältige Problemlagen für mobile ArbeitnehmerInnen
Auch GrenzgängerInnen, die nun im Home-Office arbeiten können, sind negativ von Grenzschließungen und dem unkoordinierten Vorgehen einzelner Mitgliedstaaten betroffen. Schließlich stellen Home-Office-Regelungen eine Herausforderung für die Anwendung der sozialrechtlichen Vorschriften dar, welche durch die Verordnung über die Koordinierung der Sozialversicherungssysteme und die Entsenderichtlinie geregelt sind. Wenn Arbeitszeit im Beschäftigungsstaat wegfällt, wie zur Zeit der Fall, und ArbeitnehmerInnen im Wohnsitzstaat im Home-Office arbeiten, müssen nationale Zuständigkeiten bezüglich Sozialleistungen inklusive Kurzarbeit oder Lohnfortzahlung im Krankheitsfall geklärt werden. Überdies stellt sich die Frage, welcher Staat das Einkommen besteuern darf, das im Rahmen desHome-Office erzielt wurde. Die soziale Sicherung kann sich folglich in einen anderen Staat “verschieben”. Im schlimmsten Fall sieht sich weder Wohnsitzstaat noch Beschäftigungsstaat zuständig. Der ÖGK verweist jedoch darauf, dass es aufgrund vorübergehender Maßnahmen zur Coronakrise grundsätzlich zu keiner Änderung bei der Zuständigkeit des Landes und des Sozialversicherungsträgers kommt, solange beabsichtigt ist, nach Aufhebung der Maßnahmen die vorherige Arbeitssituation wieder fortzusetzen.
GrenzgängerInnen sowie Menschen, die für Privatpersonen in einem anderen Staat arbeiten, etwa im Bereich der Sorgearbeit, sind oftmals von der aktuellen Situation besonders hart betroffen. Sie profitieren teilweise von keinerlei Hilfsmaßnahmen oder Transferleistungen, weder im Wohnsitzstaat, noch im Beschäftigungstaat.
Auch geltende 14-tägige Quarantäne-Regelungen für “RückkehrerInnen” verschärfen die Situation, denn auch mobile ArbeiterInnen sind davon eingeschlossen, obwohl deren Grenzüberquerung zum Arbeitsalltag gehört. In Österreich wurden Ende März über 200 24h Betreuungskräfte eingeflogen, ohnehin ein Tropfen auf den heißen Stein, welche sich ebenfalls nun in Quarantäne befinden. Die bereits zuvor äußerst prekären Arbeitsbedingungen in der 24h-Betreuung verschärfen sich noch zusätzlich, etwa durch den Druck, monatelang ohne Ablösung weiterzuarbeiten.
Forderungen des EGB
Bilaterale und zügig angepasste Regelungen zwischen Staaten konnten bereits teilweise Abhilfe und Sicherheit für Betroffene schaffen, etwa hinsichtlich Steuerregelungen oder des Bezuges von Kurzarbeitersgeld. Dennoch muss unabhängig davon die besonders vulnerable Situation von mobilen ArbeitnehmerInnen, der Schutz ihrer Gesundheit, ihre soziale Sicherung und das Prinzip der Gleichbehandlung europaweit sichergestellt werden. Auch nach der Veröffentlichung der Leitlinien sieht der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) weiterhin Handlungsbedarf und warnt vor einer Aushöhlung geltenden Rechts zu Lasten von ArbeitnehmerInnen. Ein koordinierter Ansatz auf europäischer Ebene, welcher die Gleichbehandlung der ArbeitnehmerInnen und deren soziale Sicherung gewährleistet, ist weiterhin zentral.
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