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Barroso reißt der Geduldsfaden. Zurzeit geht es im politischen Brüssel drunter und drüber. Anlassfall ist wieder einmal die Finanzkrise, die sich schon längst zur Beschäftigungskrise ausgeweitet hat. Der portugiesische Kommissionspräsident Barroso sorgt für Aufsehen, indem er die Mitgliedstaaten vor nationalen Alleingängen bei der Bewältigung der Krise warnt und mit den Wettbewerbsregeln droht. Immer deutlicher zeigt sich, dass die Kommission ihrer Koordinierungs- und Führungsrolle bei der Bewältigung der Krise nur mangelhaft gerecht wird. Sie hat sich augenscheinlich von den Ereignissen überraschen lassen und hinkt seither den Entwicklungen hinterher.
Bankenrettungspakete greifen nicht, Kommission warnt vor Kreditmärktekollaps
Beispiel Bankenrettungspakete. Nachdem die Kommission als Antwort auf die erste Welle der nationalen Bankenrettungspläne im Oktober nur mit einer sehr allgemein gehaltenen Mitteilung (sogenannte „Bankenmitteilung“) antwortete, musste sie auf Druck der Wirtschafts- und Finanzminister nur zwei Monate später mit detaillierteren Regeln nachbessern. Doch damit nicht genug: Die Bankenrettungspakete der Mitgliedstaaten wirken nicht so wie erhofft. Die Banken sind nach wie vor unwillig, ihre eigentliche Aufgabe, nämlich die Vergabe von Krediten an Unternehmen und Haushalte, zu erfüllen. Sie betrachten eher die steuerfinanzierten staatlichen Milliarden als willkommene Gabe der öffentlichen Hand, um ihre erschöpften Reserven wieder aufzufüllen. Reserven, die im vorangegangenen Boom der Sorg(falts)losigkeit geplündert wurden, um sich an den Wetten des Casinokapitalismus zu beteiligen. Der Widerstand der Banken, Kredite zu vergeben, hat dabei schwerwiegende Folgen für alle: Gesunde Unternehmen kommen nicht an die finanziellen Mittel, um ihre Investitionsprojekte zu finanzieren. Dadurch verschärft sich der wirtschaftliche Abschwung und die Arbeitsmarktkrise spitzt sich weiter zu. Eine gefährliche Situation, die Fachleute als „Kreditklemme“ bezeichnen, und die den spanischen Wirtschaftskommissar Almunía veranlasst hat, in historisch einmaliger Diktion vor einem Zusammenbrechen der Kreditmärkte in Europa zu warnen.

Staatliche Deponien für Bankenmüll
Die Mitgliedstaaten müssen also noch einmal von vorne anfangen. Derzeit stehen dabei zwei Optionen zur Debatte. Bei der ersten engagiert sich der Staat selbst noch stärker und die öffentliche Hand vergibt die notwendigen Kredite an die Unternehmen. Die zweite Option sieht die Gründung einer sogenannten „Bad Bank“ vor. Eine „Bad Bank“ wird oft mit einer staatlichen Mülldeponie verglichen. Alle Banken könnten nach diesem Plan ihre „toxischen Wertpapiere“, also jene Wertpapiere, die sie in der Zeit der deregulierten Finanzeuphorie aufgekauft haben, ohne sie einer eingehenden Risikoprüfung zu unterziehen und die heute faktisch unverkäuflich und wertlos sind, in der „Bad Bank“ deponieren. Konkret bedeutet das, sie dem Steuerzahler zu verkaufen. Damit wären die Banken auf einen Schlag ihren Schrott los und – so zumindest die Hoffnung der Politiker und Experten – könnten wieder von vorne anfangen. Eine Idee, über deren Umsetzung gerade in den USA debattiert wird und die in abgewandelter Form auch in Großbritannien umgesetzt wird. Entscheidender Nachteil der Idee: Wie soll die Politik so etwas den BürgerInnen erklären? Während Jahrzehnten haben Banken, Finanzindustrie und ihre Manager die zum Teil exorbitanten Gewinne eingestrichen, und jetzt soll die Öffentlichkeit ihnen ihre unverkäuflichen Schrottpapiere abkaufen, und alles beginnt wieder von vorne, während die ArbeitnehmerInnen unter den Folgen von Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit und Kaufkraftrückgang leiden?

Statt Kommission übernimmt EZB die Führung
Neben den politischen Problemen gibt es auch technische Probleme. Es gibt wieder mal keine europäische Anleitung, wie so eine „Bad Bank“ gestaltet werden soll, damit nicht ein Mitgliedstaat seine Banken besser behandelt als ein anderer. Zu diesem Zweck wurden diesmal gleich die europäischen Währungshüter ins Spiel gebracht. Die Europäische Zentralbank arbeitet nämlich - in Abstimmung mit der Europäischen Union - an Leitlinien für „Bad Banks“, die europaweit Geltung haben sollen.

Tohuwabohu bei Automobilhilfen

Zweites Beispiel: die Krise in der Automobilbranche. Industriekommissar Verheugen bat die Wirtschaftsminister Mitte Januar nach Brüssel, um über nationale und europäische Antwortmöglichkeiten zu diskutieren. Die Ergebnisse der Sitzung waren allerdings nicht konkret. Verheugen sagte für die Kommission zu, dass man die nationalen Maßnahmen – beispielsweise Verschrottungsprämien – unterstützen wolle, dass es aber keine europäischen Regeln gebe, wie solche Maßnahmen aussehen müssten, damit sie nicht gegen die Regeln des Binnenmarkts verstoßen. Und wieder hat die Realität die Europäische Kommission eingeholt. Verschiedene Mitgliedstaaten haben – so wie auch bei den Bankenrettungspaketen - unterschiedliche Maßnahmenpakete für ihre Automobil- und Zulieferindustrien aufgelegt. Und schon fordert der tschechische EU-Vorsitz, dass die Kommission einheitliche Regeln für den Automobilsektor vorlegen solle, um einen Wettlauf der Mitgliedstaaten untereinander zu verhindern.
Alles in allem wahrlich kein Grund für die Kommission, sich selbst zu feiern. Eine Kommission, deren Amtszeit bisher vom leichtgläubigen Credo an Liberalisierung, Deregulierung und Wettbewerb um jeden Preis gekennzeichnet war und die, anders als Kommissionen in der Vergangenheit, die Führungsrolle in Europa verspielt hat.