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Die Rede zur Lage der Union von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat durchaus soziale Initiativen erkennen lassen. Ob diese aber für den dringend benötigten sozialen Kurswechsel in der EU ausreichen, bleibt abzuwarten. Insbesondere für die Europäische Säule Sozialer Rechte gab es in Junckers Rede auf den ersten Blick kaum neue Impulse. Damit die Proklamation sozialer Rechte nicht zum reinen Lippenbekenntnis verkommt und die berechtigten Erwartungen auf soziale Mindeststandards in der EU nicht enttäuscht werden, sind jetzt noch stärkere Anstrengungen notwendig. Zwei Tage vor Junckers Rede debattierte auch der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss, wie unabdingbar die soziale Dimension für die Zukunft Europas ist.

 

In einer öffentlichen Anhörung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA) zur Europäischen Säule Sozialer Rechte wurde grundlegend über die Zukunft der Union diskutiert. Berichterstatterin Gabriele Bischoff betonte dabei den Zusammenhang zwischen der sozialen Dimension Europas und der Zukunft der EU: Ohne ein stärkeres soziales Fundament sieht sie keine Zukunft für die Europäische Union. Insbesondere nach Brexit und Trump müsse endlich allen klarwerden, dass das europäische Projekt realistischerweise scheitern kann, sollte nicht endlich ein Kurswechsel hin zu einem sozialen Europa mit verbindlichen sozialen Mindeststandards und einer Abkehr von neoliberaler Wirtschaftspolitik eingeleitet werden.

 

Die Europäische Säule Sozialer Rechte sollte eigentlich das soziale Prestigeprojekt der EU-Kommission unter Jean-Claude Juncker werden. Mit einer langen Vorlaufzeit und umfangreichen öffentlichen Konsultationen wurde sowohl Spannung aufgebaut als auch hohe Erwartungen geweckt. Doch aus Sicht der AK blieb der Entwurf für die Soziale Säule weit hinter diesen Erwartungen zurück. Sowohl in der Empfehlung der Kommission als auch in der von ihr vorgeschlagenen Proklamation des Europäischen Rats sollen keine neuen, verbindlichen und durchsetzbaren sozialen Rechte geschaffen werden. Der Entwurf beschränkt sich lediglich auf bereits existierende Rechte und auf Prinzipien, die rechtlich unverbindlich bleiben und darüber hinaus oft sehr allgemein formuliert sind.

 

Diese Kritikpunkte wurden auch von vielen RednerInnen im EWSA geteilt. Der Hauptredner, Professor Vandenbroucke von der Universität Amsterdam, betonte dabei den Zusammenhang zwischen Binnenmarkt und dem europäischen Sozialmodell. Er argumentierte, dass Binnenmarkt und Währungsunion eine gewisse Divergenz der Sozialmodelle erfordern. Professor Vandenbroucke sieht deshalb „resiliente Wohlfahrtsstaaten“, die sich durch soziale Absicherung und öffentliche Investitionen auszeichnen, als zentral für ein gutes Funktionieren von Binnenmarkt und Währungsunion – sowie für die Zukunft Europas.

 

Auch Sotiria Theodoropoulou, die Vertreterin des Europäisches Gewerkschaftsinstitutes ETUI, verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass die Vertrauens- und Legitimationskrise der EU nur durch eine Stärkung der sozialen Dimension erreicht werden könne. Durch die neoliberale Austeritätspolitik der letzten Jahre habe die Autonomie der Mitgliedsstaaten in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik jedoch stark abgenommen – dieser Gestaltungsspielraum wurde aber auf EU-Ebene nicht annähernd ausgeglichen. Dadurch öffnete sich eine Lücke, der im Interesse aller europäischen ArbeitnehmerInnen dringend geschlossen werden muss. Ein Zukunftsszenario, indem sich die EU ausschließlich auf den Binnenmarkt beschränkt, könne aber diesen Gestaltungsspielraum im Interesse der ArbeitnehmerInnen nicht zurückerobern, argumentierte Theodoropoulou.

 

Esther Lynch, die Generalsekretärin des Europäischen Gewerkschaftsbundes, plädierte für entschlossenes Handeln und nannte das Ende von Null-Stunden-Verträgen, Verbesserungen für atypische Beschäftige und Datenschutzregelungen als Beispiele für konkrete Maßnahmen, die sofort auf EU-Ebene umgesetzt werden könnten. Die Zeit des Redens ist vorbei, es müssen endlich konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen in der EU umgesetzt werden, so die Gewerkschaftsvertreterin.

 

Die AK nutzt die Diskussion um die Soziale Säule, um für einen generellen sozialen Kurswechsel in der EU einzutreten. Anstatt unverbindlicher Prinzipien braucht es die Ausweitung ambitionierter und verbindlicher sozialer Mindeststandards, wie im Positionspapier der AK klar dargelegt. Für diesen Kurswechsel braucht es darüber hinaus eine Neuausrichtung hin zu einer ausgewogenen wohlstandsorientierten Wirtschaftspolitik. Dazu müssen als erster Schritt die restriktiven Fiskalregeln und ihre Auswirkungen auf die soziale Dimension Europas hinterfragt werden, damit die Mitgliedstaaten mehr Spielraum für zukunftsorientierte Investitionen bekommen. Druck in diese Richtung scheint nach dieser Rede Junckers wichtiger denn je!

 

Weiterführende Informationen:

AK Positionspapier zur Europäischen Säule Sozialer Rechte

AK EUROPA: Die Europäische Säule Sozialer Rechte: Soziales als Mittel zum Zweck?

AK EUROPA: Kommission erkennt Notwendigkeit von Investitionen

EWSA Public Hearing: Impact of the social dimension and the European Pillar of Social Rights on the Future of the European Union

Rede zur Lage der Union von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker

Eine „soziale Säule“ mit vielen Fragezeichen: Warum in Widersprüchen eingebettete Symbolpolitik für einen Kurswechsel in der EU nicht ausreicht