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ZurückNach dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union bleibt den beiden Vertragsparteien nicht mehr viel Zeit, sich auf ein zukünftiges Abkommen zu einigen. Nun hat die britische Regierung angekündigt, dass mit der EU geschlossene Austrittsabkommen einseitig ändern zu wollen.
Mit dem 31. Dezember 2020 endet der zwischen der EU und Großbritannien vereinbarte Übergangszeitraum. Während diesem bleibt Großbritannien – auch nach dem mit Ende Jänner 2020 erfolgten Austritt aus der EU – Teil der Zollunion und des EU-Binnenmarktes. Gibt es danach kein Abkommen über die zukünftigen wirtschaftlichen Beziehungen, fallen diese auf das Niveau des WTO-Regelwerks zurück. Eine bis zum 30. Juni 2020 mögliche Verlängerung des Übergangszeitraumes um bis zu zwei Jahre wurde von Seiten Großbritanniens abgelehnt. Mit Blick auf die für den Gesetzgebungsprozess benötigte Zeit ist allerdings auch ein entsprechender Puffer einzuplanen. Der britische Premierminister Boris Johnson hat deswegen den 15. Oktober 2020 als Termin festgelegt, bis zu dem eine Einigung erzielt werden müsste. Eine solche Einigung ist jedoch nach der Ankündigung der britischen Regierung, den Ausstiegsvertrag einseitig ändern zu wollen, in weite Ferne gerückt.
Neues britisches Binnenmarktgesetz
Hintergrund ist ein neues Binnenmarktgesetz, welches vom britischen Nordirland-Minister Brandon Lewis am 8. September 2020 angekündigt wurde. Wird dieses tatsächlich ratifiziert, würde das eine einseitige Abänderung des 2019 mit der EU geschlossenen Austrittsabkommens und somit einen Bruch internationalen Rechts darstellen. Das Gesetz würde einige der im Abkommen festgeschriebenen Regeln zum künftigen Umgang mit Nordirland verletzen, etwa bei Zöllen und Staatsbeihilfen für britische Unternehmen. Gemäß dem Vertrag gelten die EU-Wettbewerbsregeln nämlich auch für den Warenhandel zwischen Großbritannien und Nordirland. Damit soll eine „harte“ Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland verhindert werden. London müsste dementsprechend die EU-Kommission über Staatshilfen informieren, wenn diese nordirische Unternehmen betreffen und Letztere müssten Exporterklärungen ausfüllen, wenn Waren nach England, Schottland oder Wales geliefert werden.
Dass Johnson mit diesem Gesetz jenen Vertrag brechen will, den er selbst ausverhandelt hat, wird nicht nur von zahlreichen seiner AmtsvorgängerInnen – unter anderem auch seiner unmittelbaren Vorgängerin und Parteikollegin Theresa May – kritisiert, sondern auch von Abgeordneten in den eigenen Reihen. Dennoch wurde der Gesetzesentwurf in einer ersten Abstimmung im britischen Unterhaus angenommen. Findet er dort auch bei der finalen Abstimmung in rund einer Woche eine Mehrheit, muss er noch das Oberhaus passieren. Dort haben allerdings auch konservative Abgeordnete schon ihren Widerstand angekündigt.
Scharfe Kritik von Seiten der EU
Die Reaktion der EU auf den geplanten Rechtsbruch fiel scharf aus. Der zu Krisengesprächen nach Großbritannien gereiste Kommissions-Vizepräsident Maroš Šefčovič sprach von „einer extrem schwerwiegenden Verletzung der Austrittsvereinbarungen und des internationalen Rechts“. Šefčovič forderte die britische Regierung dazu auf, dass Gesetz bis Ende September 2020 wieder zurückzunehmen. Für den Fall, dass dies nicht geschehen sollte, stellt er rechtliche Schritte in Aussicht. Laut Medienberichten hat die EU bereits die Prüfung solcher Schritte, etwa eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof oder die Anrufung des im Austrittsvertrag verankerten Streitschlichtungsgremiums, eingeleitet. In ihrer Rede zur Lage der Union am 16. September 2020 fand auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen deutliche Worte. Sie betonte die Wichtigkeit von Vertrauen als „Fundament jeder starken Partnerschaft“ und stellte klar, dass die EU vom ausverhandelten Abkommen nicht abrücken werde.
Der Rechtsbruch könnte für die britische Regierung aber auch abseits der bilateralen Verhandlungen mit der EU negative Konsequenzen nach sich ziehen. Mit Blick auf das Vorgehen der britischen Regierung betonte etwa die Sprecherin der US-DemokratInnen, Nancy Pelosi, dass der Kongress ein Handelsabkommen mit Großbritannien auf jeden Fall verhindern wird, wenn dieses sich nicht an international gültige Verträge hält.
Unionsrechtliche Standards müssen beibehalten werden
Dass die Verhandlungen um ein mögliches Abkommen zwischen der EU und Großbritannien nicht einfach werden würden, zeichnete sich schon seit Langem ab. In den letzten Monaten kristallisierten sich vor allem die Themen Fischerei und Wettbewerbsregeln – Stichwort Level Playing Field – als zentrale Konfliktpunkte heraus. Einen fairen Wettbewerb zu gleichen Ausgangsbedingungen und unter Aufrechterhaltung der unionsrechtlichen Standards fordert auch die Arbeiterkammer. Um das zu garantieren und durchzusetzen, braucht es einen effektiven Mechanismus, weshalb alle in diesem Zusammenhang erlassenen Bestimmungen dem allgemeinen Streitbeilegungsmechanismus unterstellt werden sollten. Denn auch wenn die Arbeiterkammer eine zukünftig enge Zusammenarbeit mit Großbritannien prinzipiell begrüßt, muss um jeden Preis verhindert werden, dass Rechtsstandards verwässert und ArbeitnehmerInnen zusätzlich belastet werden.
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA Positionspapier: Eine neue Partnerschaft mit dem Vereinigten Königreich
AK EUROPA: EU und Großbritannien: Zähes Ringen um zukünftige Handelsbeziehungen