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ZurückÖkologische, soziale und wirtschaftliche Herausforderungen hängen eng miteinander zusammen und können nicht länger isoliert diskutiert werden. Auf Initiative von 20 EU-Abgeordneten aus fünf Fraktionen, und mit der Unterstützung von mehr als 60 Partnerorganisationen, fand von 15. bis 17. Mai 2023 im EU Parlament in Brüssel die Beyond Growth Konferenz statt. In 20 Focus Panels und 7 Plenardiskussionen sollten das konventionelle Verständnis von Wachstum und wirtschaftlichem Erfolg hinterfragt und gesellschaftliche Ziele gemeinsam mit den rund 4000 Teilnehmer:innen neu definiert werden. Klar ist: Soziales Wohlergehen und eine tragfähige wirtschaftliche Entwicklung erfordern die Beachtung der planetaren Grenzen.
Unter Beteiligung von Spitzenvertreter:innen der europäischen Institutionen wurde im Rahmen der dreitägigen Konferenz diskutiert, wie Wohlstand in Europa durch einen bisherige Grundsätze verändernden, transformativen Ansatz nachhaltiger gestaltet werden kann. Beim Eröffnungsplenum kamen auch die Präsidentinnen des Europäischen Parlaments und der EU-Kommission Roberta Metsola und Ursula von den Leyen zu Wort. Dabei stellte Letztere klar, dass das „auf fossile Brennstoffe ausgerichtete Wachstumsmodell schlicht überholt ist“. Die Themen der darauffolgenden Focus Panels reichten von zukunftsfitter Industrie- und Energiepolitik über finanz- und steuerpolitische Fragen bis hin zu notwendigen Veränderungen im Ernährungssystem oder in der Handelspolitik. Die Konferenz schaffte es dabei, ein breites Spektrum an Akteur:innen aus Wissenschaft, Politik, Sozialpartnerorganisationen, Unternehmen und Zivilgesellschaft miteinander ins Gespräch zu bringen. Aus interessenpolitischer Sicht waren vor allem die folgenden Diskussionen bereichernd.
Sozialmodelle und Arbeit neu denken: Universal Basic Services und Arbeitszeitverkürzung
Unter Universal Basic Services (UBS) versteht man Leistungen von allgemeinem Interesse, die essenziell für das Leben aller Menschen sind. Sie können den sozialen und ökologischen Übergang unterstützen. Für Anna Coote, Principal Fellow bei der New Economics Foundation, sind UBS ein moralischer Imperativ: Es gebe keine Rechtfertigung dafür, dass menschliche Grundbedürfnisse nicht befriedigt werden. Dennoch bestünden unionsweit und global weiterhin enorme Defizite, deren Grund sie auch im systemimmanenten Wachstumsstreben verortet. Als besorgniserregend empfindet sie die zunehmende Privatisierung und Liberalisierung von UBS, die oftmals mit sinkender Qualität und steigenden Kosten einhergeht.
Auch der Verkürzung der Arbeitszeit bzw. der Einführung einer 4-Tage-Woche zur Befreiung vom Wachstumszwangs war ein Focus Panel gewidmet. Die erst vor Kurzem überwundene Pandemie habe Forderungen nach einem neuen Gleichgewicht zwischen Erwerbsarbeit und sonstigen Lebensbereichen noch lauter werden lassen. Heute bestünde weitgehend Konsens darüber, dass die Potenziale digitaler Effizienzsteigerungen bei den Menschen ankommen müssen, auch im Sinne der physischen und mentalen Gesundheit. Nach Dominique Meda, Direktorin des Social Sciences Lab an der Universität Paris Dauphine, sind die Präsenz und Stärke von Gewerkschaften hierbei ausschlaggebend für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen.
Steuern und Gender Budgeting als Instrument der ökologischen und sozialen Gerechtigkeit
In der Debatte rund um ein ökologisch und sozial gerechtes Wirtschaftsmodell stellt die Entkoppelung der Sozialsysteme von Wachstum eine zentrale Herausforderung dar. Dabei ist auch die Konzentration von Reichtum, die durch den starken Rückgang der Spitzensteuersätze in den letzten Jahrzenten zusätzlich erhöht wurde, ein Problem des vorherrschenden Wirtschaftsparadigmas. Gleichzeitig erfährt die in zahlreichen Zusammenhängen diskutierte Vermögensbesteuerung eine immer breitere Unterstützung. Es sei daher an der Zeit, die ewige Debatte über Möglichkeiten und Grenzen ihrer Einführung auf die nächste Stufe zu heben. Die Notwendigkeit einer Vermögenssteuer muss im Zentrum stehen, wobei eine progressive Ausgestaltung unabdingbar sei. Hervorgehoben wurde auch, dass Reichtum innerhalb der reichsten 1% ebenso extrem ungleich verteilt ist.
Allerdings wird Geld nach wie vor oft als Tabuthema behandelt, obwohl – oder gerade weil – es dabei immer auch um Machtverhältnisse geht. In den öffentlichen Haushalten spiegeln sich politische Prioritäten und Werte unserer Gesellschaften wider: Dabei würden Frauenrechte und -themen nur selten als Priorität betrachtet. Die Panelistinnen kritisierten, dass zuallererst Daten fehlen würden, weshalb man beim Thema Gender Budgeting oft im Dunkeln tappe. Bildung, angemessene Repräsentation von Frauen in Entscheidungspositionen und wirksame, verbindliche Maßnahmen wären notwendig, damit Geschlechtergleichstellung zur Realität wird.
Ein glaubwürdiger Rahmen für einen gerechten Übergang und bessere Handelsbeziehungen
Im Panel zu Just Transition wurde auch diskutiert, wie sich eine demokratische Mehrheit für das notwendige Projekt gewinnen ließe. Just Transition müsse Antworten auf die zahlreichen Krisen finden, die sich seit der großen Finanzkrise aufstauen und sich heute auch in prekären Arbeitsverhältnissen und stagnierenden Löhnen sowie zuletzt stark steigenden Wohnkosten und Nahrungsmittelpreisen niederschlagen. Konzepte eines Green Deal müssten daher umfassend sein und soziale Gerechtigkeit im Kern adressieren. Éloi Laurent, Ökonom am Pariser Institut Sciences Po, betonte, dass Just Transition nur im Überschneidungsbereich zwischen dem Wohlfahrtsstaat und dem Green Deal erreicht werden könne. Der Wohlfahrtsstaat sei gerade im globalen Zusammenhang der größte Wettbewerbsvorteil Europas. Enge Konzepte eines gerechten Übergangs, die von den nordamerikanischen Ursprüngen abgeleitet sind, würden nicht ausreichen. Auch Ludovic Voet (EGB) forderte nicht nur konkrete, fair ausgestaltete Maßnahmen für betroffene Beschäftigte und die Demokratisierung der Arbeitswelt, sondern die systematische Integration von Just Transition in die Strategien der nächsten Legislaturperiode.
Das Panel zu Handelsbeziehungen zur Förderung nachhaltiger Entwicklung drehte sich auch um die Frage, wie man Erfolg messen kann. Olivier De Schutter, UN-Sonderberichterstatter für extreme Armut und Menschenrechte, warnte, dass die politisch ersehnte Steigerung von Handelsvolumina oft dazu beiträgt, Ungleichheiten innerhalb von Ländern zu verschärfen. Globale Arbeitsteilung habe zu oft Gewinner:innen und Verlierer:innen zur Folge. Kein Land dürfe dazu gezwungen sein, seine Wettbewerbsfähigkeit dadurch zu stärken, dass Gewerkschaften unterdrückt und Arbeitskräfte ausgebeutet werden. Auch Pedro Manuel Moreno, stellvertretender Generalsekretär der UNCTAD, plädierte für inklusivere Handelsbeziehungen, die qualitative Arbeitsplätze schaffen und den Schutz der Umwelt und des Planeten achten. In der Diskussion wurde allerdings auch betont, dass die Mitgliedschaft in internationalen Organisationen das nicht garantieren könne. Vielmehr müsse man Entwicklungsländern konkrete Hilfe anbieten, um ihre Kapazitäten zur Partizipation auszubauen.
Weiterführende Informationen:
Beyond Growth 2023 Konferenz (Nur Englisch)