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ZurückPrekäre Arbeit ist seit Jahren auf dem Vormarsch in Europa. Auch die EU-Kommission verfolgt mit der Richtlinie über verlässliche und transparente Arbeitsbedingungen das Ziel, das Phänomen der prekären Arbeit zu bekämpfen. Dies müsste aber mit einer Re-Definition des ArbeitnehmerInnenbegriffs im EU-Recht einhergehen, um auch alle Arbeitsmodelle abdecken zu können. Dazu fand am 16. Oktober 2018 eine von der Arbeiterkammer (AK EUROPA), Österreichischer Gewerkschaftsbund (ÖGB), Europäischer Gewerkschaftsbund (EGB) und Europäisches Gewerkschaftsinstitut (EGI) veranstaltete Diskussion statt.
AK-Präsidentin Renate Anderl eröffnete den Abend mit einem Plädoyer für ein soziales Europa, welches nicht die Unternehmen in den Mittelpunkt stellt, sondern die Menschen, die es tagtäglich durch ihre Arbeit am Laufen halten. Diese Menschen würden sich auch zurecht Schutz von der EU erwarten. Der österreichische Ratsvorsitz setze jedoch keine Initiative, damit die Europäische Säule sozialer Rechte mehr wird als eine feierliche Proklamation. Dies zeige sich etwa am fehlenden Engagement bei der Europäischen Arbeitsbehörde. In der EU dränge derzeit ein Lager darauf, dass die Marktfreiheiten und strenge Sparpolitik im Mittelpunkt stehen, während andere Kräfte auf Nationalismus setzen. Mit diesen beiden Ausrichtungen entferne man sich davon, was die EU eigentlich leiste sollte, nämlich sozialen Fortschritt und die Verbesserung der Lebensverhältnisse von Millionen EU-BürgerInnen voranzubringen.
Phillipe Pochet, Direktor des Europäischen Gewerkschaftsinstituts, wies vor dem Hintergrund der Verhandlungen um die Richtlinie über verlässliche und transparente Arbeitsbedingungen darauf hin, dass die Studie von Martin Risak und Thomas Dullinger genau zum richtigen Zeitpunkt erscheine. Das Thema stehe nun auf der politischen Agenda der EU und es gelte auf europäischer Ebene eine klare und einheitliche Definition zu finden, weder „soft law“ noch die nationale Ebene sei ein geeigneter Ansatz.
Martin Risak stellte im Anschluss seine für die AK erstellte Studie zum „ArbeitnehmerInnenbegriff im EU-Recht“ vor. Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung ein eigenständiges Verständnis des AN-Begriffes entwickelt: Dieses knüpft hauptsächlich am Kriterium der persönlichen Abhängigkeit an. Diesen Ansatz kritisierte Risak jedoch als nicht mehr zeitgemäß und plädierte für einen neuen Begriff, der auch atypische und prekäre Arbeitsverhältnisse sowie Scheinselbstständigkeit miteinbezieht. Die Studie schlägt bei zukünftigen regulatorischen Schritten eine ausweitende Definition des AN-Begriffes vor, es gelte auch das Kriterium der wirtschaftlichen Abhängigkeit zu berücksichtigen.
Der Berichterstatter für die Richtlinie über verlässliche und transparente Arbeitsbedingungen Enrique Calvet Chambon, informierte über den Verhandlungsstand knapp vor der Abstimmung im Beschäftigungsausschuss am 18. Oktober 2018. Die Arbeiten zu den Kompromiss-Änderungsanträgen im Parlament seien weit fortgeschritten. Widerstand sah er vor allem von Abgeordneten der EVP-Fraktion. Einige Abgeordnete würden ihre Ablehnung gegen eine Ausweitung des ArbeitnehmerInnen-Begriffs mit der Subsidiarität begründen. Die Gegner der Richtlinie würden daraufhin arbeiten, die Abstimmung zu verzögern. Im derzeitigen knappen Zeitrahmen mit den kommenden EU-Wahlen würde eine Verzögerung aber einer Ablehnung des Berichts gleichkommen.
Esther Lynch, Leitende Sekretärin des Europäischen Gewerkschaftsbundes, zeigte sich ebenso besorgt über das mögliche Ende der Richtlinie durch Verzögerungstaktiken bei der Abstimmung. Zwar sei die Richtlinie aus Sicht der Gewerkschaften keineswegs perfekt, zumindest gewährleiste die Richtlinie aber ein gewisses Ausmaß an Basisrechten für ArbeitnehmerInnen in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Auch ginge es darum, dass die Europäische Säule sozialer Rechte auch legislativ umgesetzt werden würde und die Richtlinie wäre dafür ein Anfang.
Josef Muchitsch, Bundesvorsitzender der Österreichischen Gewerkschaft Bau-Holz, ergänzte die Diskussion um Praxisbeispiele in Österreich. Dort würden Unternehmen gezielt Arbeitskräfte aus Ländern mit niedrigerem Lohnniveau anwerben und diese mit Gewerbescheinen für einfache Tätigkeiten ausstatten, um sie so in Schein-Selbständigkeit zu drängen. Man konnte diese Lücke im Gewerberecht aber schließen und so weiteres Lohndumping verhindern. Solche Fälle zeigen jedoch, dass jede Lücke, die man in Gesetzen belässt, ausgenutzt wird. Deswegen sei es wichtig in der Richtlinie für transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen auch Null-Stunden-Verträge explizit zu verbieten. Vor dem Hintergrund der aktuellen „Gold Plating“-Debatte äußerte Muchitsch die Sorge, dass höhere nationale Standards in Frage gestellt werden könnten. Bei der Probezeit sehe etwa die Richtlinie 6 Monate vor, in Österreich ist nur höchstens ein Monat zulässig.
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA: The concept of `worker' in EU law
AK Positionspapier: Transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union