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ZurückÜber 130 Personen haben sich am 24. September 2018 in den Räumlichkeiten der Ständigen Vertretung der Republik Österreichs zur EU eingefunden, um der von AK EUROPA, dem Europabüro des ÖGB und der Allianz für Lobbytransparenz und ethische Regeln in der EU (ALTER-EU) veranstalteten Podumiumsdiskussion „Corporate Capture in Europe: The influence of corporations in policy making and what to do about it“ beizuwohnen. Die Frage des Einflusses von Wirtschaftsinteressen auf die Gesetzgebung in der Europäischen Union wurde dabei hitzig diskutiert.
Den Anfang machte Olivier Hoedeman vom „Corporate Europe Observatory“ und ALTER-EU, der eine Einführung in den Begriff der „Gekaperten Gesetzgebung“ („Corporate Capture") gab. Darunter ist die enge Verästelung von Wirtschaftsinteressen und den EU-Institutionen zu verstehen, die durch informelle Kommunikationskanäle und „Revolving Doors“, also Drehtüren, die von der Politik in die Wirtschaft und umgekehrt führen, erleichtert werden. Aber auch in Beratungsgremien würden immer öfter AkademikerInnen sitzen, die teilweise für Gruppen mit Wirtschaftsinteressen arbeiten und so Industrieinteressen in die wissenschaftlichen Debatten einführen würden („academic capture“). Dies wirkt sich natürlich auf Vorschläge und Gesetze der Union aus. Daraus würde aber auch öffentliches Misstrauen entstehen. Deswegen braucht es eine demokratische Kontrolle und Transparenz in der EU, aber auch den Institutionen der Mitgliedsstaaten, um das Ungleichgewicht zwischen Politik im Sinne der Konzerne und dem allgemeinen gesellschaftlichen Interesse zurechtzurücken.
Auch Mariana Prats, Forscherin der Abteilung Integrität im öffentlichen Leben der OECD, sprach vom asymmetrischen Verhältnis im Zugang zu PolitikerInnen durch UnternehmerInneninteressen. Es gäbe drei Maßnahmen, die mit „Corporate Capture“ aufräumen könnten. (I) Gewerkschaften und die Zivilgesellschaft müssten gestärkt werden, um faire Voraussetzungen zu schaffen. (II) die Rolle von beratenden Gremien müssen überdacht werden, weil diese wenig reguliert sind und (III) müsse es eine weitreichende Regulierung von politischer Finanzierung geben.
Anschließend wies Frank Ey von der Arbeiterkammer Wien auf die extreme Ungleichgewichtung von InteressensvertreterInnen in den Gremien der EU hin, besonders während der Finanzkrise 2008 war dies auffällig gewesen. Die beratenden ExpertInnen kamen zu diesem Zeitpunkt nur aus dem Finanzsektor. In manchen Bereichen gäbe es – vor allem auch durch Druck aus der Zivilgesellschaft – mittlerweile Fortschritte. Als Beispiel für das Aufeindertreffen unterschiedlicher (Lobby)Interessen führte er die REFIT-Plattform an, in welcher 50% WirtschaftslobbyistInnen versammelt seien und die anderen 50% auf „alle anderen“ Interessen fielen, etwa auf jene der Zivilgesellschaft, VerbraucherInnen, Umwelt und ArbeitnehmerInnen. Auch hier könne man nicht von einer ausgewogenen Besetzung sprechen. In Brüssel wären – gemäß Angaben des EU-Parlaments – 80.000 Menschen in EU-Lobbying involviert, das würde heißen, jede/r EU-Abgeordnete würde im Schnitt von mindestens 100 Personen lobbyiert werden. Davon wären grade einmal 1,5% GewerkschafterInnen und KonsumentInnenschützerInnen.
MEP Ana Gomes von der S&D-Fraktion sowie stellvertretende Vorsitzende des TAX3-Sonderausschusses zu Finanzkriminalität, wies auf die wichtige Rolle der Zivilgesellschaft hin, deren Engagement es überhaupt erst möglich gemacht hätte, dass es das Transparenzregister der EU gibt. Jedoch würde das bei weitem nicht reichen, wie sie eindrücklich an dem Fall José Manuel Barroso, der von der EU-Kommission zu Goldman-Sachs wechselte, illustrierte. Der Finanzsektor sei allgemein einer der am stärksten lobbyierenden Interessensgruppen und würde seit Jahren Gesetze zu deregulativen Maßnahmen mitverfassen. Um dem überhaupt entgegentreten zu können, forderte sie einen europäischen „Glass/Steagall“-Act, also die Separierung von Kredit- und Investmentbanken.
Paul de Clerck von Friends of the Earth & ALTER-EU sprach von TTIP als klassischen Fall von „Corporate Capture“. Verhandlungen hinter verschlossenen Türen, ein Handelsvertrag der nur auf die Maximierung von Profiten zugeschneidert war und durch ein „Was können wir für Sie tun?“-Verhältnis der Politik und der Wirtschaft gekennzeichnet war. TTIP hätte alle „Corporate Capture“-Kriterien erfüllt. Es brauche, laut de Clerck, einen drastischen Wandel in der politischen Kultur Brüssels, aber auch auf mitgliedsstaatlicher Ebene.
Die Autorin des Buches „Shadow Sovereigns: How global corporations are seizing power“, Susan George, zeichnete ein düsteres Bild und verwies auf eine Studie aus dem Jahr 2011, die eine enge Verästelung der multinationalen Unternehmen untereinander aufzeigte. Würde ein Konzern Bankrott gehen, würden im Domino-Effekt alle fallen. Das würde wiederum eine größere Krise zur Folge haben als jene von 2008 nach der Lehman Brothers Pleite. Es wäre also an der Zeit zu handeln, bevor die Realökonomie in einer Art beschädigt werden würde, die heute noch gar nicht vorstellbar ist.
Eine Lösung der verschiedenen aufgezeigten Probleme des Podiums wird nur durch weitere erhöhte Transparenz in der EU und ihren Institutionen möglich sein. Es gilt also für Gewerkschaften, ArbeitnehmerInneninteressensverbände und die Zivilgesellschaft, weiter um Transparenzbestrebungen zu kämpfen, um so die EU sozialer und fairer gestalten zu können.
Weiterführende Informationen:
AK: Lobbying in Brüssel. Die Übermacht der Unternehmen brechen
Corporate Capture in Europe. When big business dominates policy-making and threatens our rights
A&W Blog: Wer in Brüssel das Sagen hat – zu den politischen Kräfteverhältnissen auf EU-Ebene
The Fire Power of the Financial Lobby – A Survey of the Size of the Financial Lobby at the EU level