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ZurückDie Rechtsprechung des EuGH hat die Marktfreiheiten in Deregulierungshebel der Unternehmen verwandelt, was zu steigendem Druck auf öffentliche Dienstleistungen, soziale Rechte und Löhne führte. Bei einem von AK EUROPA und den Gewerkschaftsbünden aus Österreich, Deutschland und Schweden sowie dem Europäischen Gewerkschaftsbund organisierten Webinar wurden Alternativen zum neoliberalen Binnenmarktmodell diskutiert.
2016 haben ÖGB, DGB und die schwedische Gewerkschaft LO gemeinsam mit den sozialdemokratischen Parteien der drei Länder den Europäischen Pakt für Sozialen Fortschritt vorgestellt, eine Alternative zum neoliberalen Binnenmarktmodell der EU. Im Zuge der Konferenz zur Zukunft Europas hat nun Prof. Florian Rödl im Auftrag von AK Wien eine Studie erstellt, welche den Pakt juristisch analysiert.
Im Webinar wurde das grundlegende Problem klar: Die Verfassungsstruktur des EU-Binnenmarktes befördert einen transnationalen Arbeitskostenwettbewerb. Rödl schilderte im Webinar ausführlich, wie vom EuGH die Marktfreiheiten zu unternehmerischen Freiheitsrechten weiterentwickelt und nicht als Gleichheitsrechte verstanden wurden. Der Europäische Pakt für sozialen Fortschritt hat die Verankerung von sozialen Errungenschaften der Beschäftigten in den Mitgliedstaaten und des Grundsatzes „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ in die EU-Binnenmarktverfassung zum Ziel. Weiters plädiert Rödl in seiner Studie für einen Rückbau der Marktfreiheiten in Gleichbehandlungsrechte.
Der stellvertretende Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbunds Claes-Mikael Ståhl sah die systematische Bevorzugung der Wirtschaft als Hauptproblem des neoliberalen Binnenmarktsystems. Es sei notwendig, soziale Rechte zu schützen und das europäische Projekt wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Ziel sei es, zu gewährleisten, dass im Konfliktfall die sozialen Rechte Vorrang vor den wirtschaftlichen Freiheiten haben. Die Konferenz zur Zukunft Europas habe das Potential, Veränderungen zu bewirken und ein Gleichgewicht zwischen Wirtschaft und Sozialem herzustellen.
Wolfgang Katzian, Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbunds, schilderte die Konsequenzen der Deregulierung des Binnenmarktes auf die Arbeitswelt der Menschen und veranschaulichte sie anhand des EuGH-Urteils „Henry am Zug“. In diesem hatte der EuGH den Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ nicht beachtet und ungarische Mindestlohnbestimmungen in Zügen, die in Österreich operieren, für geltend erklärt. Im Hinblick auf die Konferenz zur Zukunft Europas setzte sich Katzian für die Einführung der goldenen Investitionsregel um den sozial-ökologischen Umbau zu finanzieren, eine Reform der fiskalischen Rahmenbedingungen, eine faire Besteuerung großer Vermögen sowie für eine Mindestharmonisierung sozialer Schutzrechte ein.
Die Vizepräsidentin des Schwedischen Gewerkschaftsbunds, Therese Guovelin, unterstrich die Forderung ihrer Organisation nach einem Sozialen Fortschrittsprotokoll. Sie führte zahlreiche Beispiele aus Schweden an, etwa aus dem Baubereich, wo vielerorts Verstöße gegen die Entsende-Richtlinie festgestellt wurden. So hätten bis zu 30% der Bauarbeiter:innen in Stockholm keine Arbeitserlaubnis, und 80% der meist osteuropäischen Unternehmen verletzten gesetzliches Arbeitsrecht oder Tarifverträge. Bei der Bekämpfung sozialer Ungleichheiten komme Gewerkschaften eine außerordentliche Bedeutung zu. Hier gehe es darum, dass Arbeitnehmer:innen aus unterschiedlichen Mitgliedstaaten nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Susanne Wixforth vom Deutschen Gewerkschaftsbund forderte dazu auf, die Rolle der EU in der Entwicklung hin zum neoliberalen System differenziert zu betrachten. So seien nicht allein die EU-Institutionen dafür verantwortlich, sondern auch die Mitgliedstaaten selbst, welche oft auch ohne Druck seitens der EU neoliberale Maßnahmen umsetzen. Um dem entgegenzuwirken, sollten Gewerkschaften und der soziale Dialog, sowohl auf EU- als auch auf nationaler Ebene gestärkt werden. Die Rolle des EuGH sah Wixforth nicht ausschließlich negativ, so zeichnete sich der EuGH in der Vergangenheit oftmals als Hüter und Weiterentwickler sozialer Rechte aus, beispielsweise bei der Wahrung sozialer Sicherheit für Wanderarbeiter:innen. Wixforth unterstrich auch die Europäische Säule sozialer Rechte als wichtigen Schritt für ein soziales Europa.