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Die Wirtschafts- und Finanzkrise ab 2008 brachte die größten ökonomischen Verwerfungen seit der Großen Depression in den 1930er Jahren. Aktuell beginnt sich die europäische Wirtschaft endlich spürbar zu erholen. Doch welche Wege gibt es nun um ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu fördern, das am Ende des Tages allen Menschen unserer Gesellschaft zugutekommt? Darüber wurde im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung von AK EUROPA, dem ÖGB Europabüro und dem Europäischen Gewerkschaftsinstitut ETUI am 19. September in Brüssel debattiert.

 

Die allmählich einsetzende wirtschaftliche Erholung in der Europäischen Union steht alles andere als auf soliden Fundamenten. Zwar weisen die ökonomischen Daten auf ein stabiles Wachstum hin, jedoch sind Investitionszahlen und Lohnentwicklung eher dürftig. Ein entscheidendes Element für nachhaltiges Wachstum stellen steigende Löhne dar. Die Schaffung neuer Arbeitsplätze mit prekären Beschäftigungsverhältnissen, wie z.B. Teilzeit- oder Leiharbeit, trägt nicht zur Steigerung des Lohnniveaus bei. Die Frage nach Wegen hin zu einer nachhaltigen ökonomischen Entwicklung wurde von den vier Podiumsteilnehmern diskutiert.

 

José Leandro, Direktor in der Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen bei der Europäischen Kommission, gab ein Eingangsstatement zur aktuellen wirtschaftlichen Lage der EU ab. Als Beispiele für positive Entwicklungen nannte Leandro den Anstieg der Nettoexporte und den Rückgang der Arbeitslosigkeit in der EU (derzeit bei 9,1%). Er ließ jedoch keinen Zweifel aufkommen, dass dieser zarte Aufschwung alles andere als stabil ist. Sowohl die Investitionen, als auch die Lohnentwicklung bleiben auf einem niedrigen Niveau. Um tatsächlich nachhaltiges Wachstum zu erzielen, schlägt Leandro die Steigerung öffentlicher Investitionen in die Sozial- und Bildungssystem vor. Darüber hinaus wäre die Übertragung von Fiskalkompetenzen von der nationalen auf die EU-Ebene ein wünschenswerter Schritt, um zukünftige Stabilität gewährleisten zu können.

 

Markus Marterbauer, Leiter der Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der AK Wien, sieht ebenfalls die Notwendigkeit einer Festigung des aktuellen wirtschaftlichen Aufschwungs. An dieser Stelle spart er nicht mit Kritik an den EU-Institutionen, die unzureichende Maßnahmen während der Wirtschafts- und Finanzkrise durchgeführt haben. Seiner Ansicht nach müssen für ein nachhaltiges Wachstum die Binnennachfrage gestärkt, ökonomisch schwache Regionen in der EU gefördert und Arbeitsplätze, speziell für junge Menschen, MigrantInnen und Frauen, geschaffen werden. Als möglichen Weg sieht auch er die Intensivierung öffentlicher Investitionen, da diese oft als Katalysator für private Investitionen wirken. In diesem Zusammenhang spricht er sich für eine Goldene Investitionsregel aus. Darüber hinaus plädierte Marterbauer für einen Fokus auf Weiterbildungsmaßnahmen für Erwerbsarbeitslose, sowie eine Steigerung der Löhne, in Form von Mindestlöhnen.

 

Auch Matthieu Méaulle, Experte für Finanz- und Wirtschaftspolitik beim Europäischen Gewerkschaftsbund, kritisierte die Europäische Kommission für ihre Krisenpolitik. Die Austeritätspolitik der letzten Jahre war ein Grund für die schwache wirtschaftliche Leistung der Union. Ein wesentlicher Punkt für nachhaltiges Wachstum sind Investitionen. Die geringen Profitaussichten sind jedoch ein entscheidendes Problem, da Unternehmen somit keinen Anreiz für Investitionen sehen. Im Zuge der Austeritätspolitik wurden auch öffentliche Investitionen stark zurückgefahren, was ebenfalls einen Beitrag für das geringe Wirtschaftswachstum leistete. Das niedrige Lohnniveau ist für Méaulle nicht nur aus ökonomischen, sondern auch politischen Gründen problematisch. Die Hinwendung von Teilen der ArbeiterInnen zu rechtspopulistischen Parteien ist für ein gemeinsames Europa potenziell gefährlich.

 

James Watson, Wirtschaftsdirektor bei BusinessEurope, sieht die aktuelle wirtschaftliche Erholung positiv. Aus ArbeitgeberInnensicht plädierte er für eine Reihe von Reformen, um dem Wachstum eine solide Basis zu geben. Watson schlägt weitere Arbeitsmarktreformen, wie zum Beispiel die Öffnung von regulierten Dienstleistungen, vor. Um Investitionen anzukurbeln müssten Fiskalmaßnahmen den Boden bereiten. Hierfür ist für Watson die Fortbildung von Erwerbsarbeitslosen essentiell, um den Unternehmen eine breite Auswahl an qualifizierten Arbeitskräften bieten zu können.

 

Die aktuell positive Entwicklung der Wirtschaftsdaten der Europäischen Union garantiert momentan kein längerfristiges und nachhaltiges Wachstum. Die Diskussionsteilnehmer waren sich bei der Notwendigkeit einer Ankurbelung von Investitionen und einer Lohnsteigerung größtenteils einig. Die Wege zu nachhaltigem Wachstum sind jedoch unterschiedlich. Klar dürfte indes eines sein: Falls die wirtschaftliche Erholung nicht bei der breiten Masse der Bevölkerung ankommt, könnte dies mitunter zu politischen Verwerfungen führen.

 

Weiterführende Informationen:

Fotos von der Veranstaltung

ETUI: What drives wage gaps in Europe?

AK-Studie: Die Implementierung der Goldenen Regel für öffentliche Investitionen in Europa

AK-Publikation: Sozialer Aderlass in Europa: Arbeit und soziale Sicherung unter Druck

Blog.arbeit-wirtschaft: Aus der Krise lernen: ein magisches Vieleck wohlstandsorientierter Wirtschaftspolitik