Nachrichten
ZurückEiner breiteren Öffentlichkeit ist die Existenz des Regulatory Scrutiny Boards (RSB) – des Ausschusses für Regulierungskontrolle der EU-Kommission – und dessen Arbeit wohl nicht bekannt. Doch hat dieses Gremium weitreichende Befugnisse im europäischen Rechtssetzungsprozess. Aufmerksamkeit erhielt die Arbeit des RSB im Zuge des Kommissionsvorschlages zum EU-Lieferkettengesetz, der durch das RSB verzögert und verwässert wurde. Eine von der Arbeiterkammer und LobbyControl beauftragte Studie beleuchtet nun die Rolle des RSB im EU-Gesetzgebungsprozess und ortet Reformbedarf. Auf Einladung von MEP René Repasi (S&D) und MEP Anna Cavazzini (Grüne) wurde die Studie am 7. Juni 2023 im EU-Parlament vorgestellt.
Die Einrichtung des Regulatory Scrutiny Boards führt auf die Agenda für bessere Rechtssetzung (Better Regulation Agenda) aus dem Jahr 2015 zurück. Das RSB besteht aktuell aus sechs Expert:innen. Sie bewerten die Qualität von Entwürfen zu Folgenabschätzungen und Eignungsprüfungen, die im Vorfeld von wichtigen EU-Rechtsvorschlägen durchgeführt werden. Somit hat es großen Einfluss darauf, welche Rechtsakte von der Kommission letztlich vorgelegt werden, sowie auf deren inhaltliche Ausgestaltung. Fällt eine Stellungnahme des RSB negativ aus, muss die Initiative durch die zuständigen Abteilungen der EU-Kommission grundlegend überarbeitet werden. Im von der Studie untersuchten Zeitraum war das im 1. Durchgang bei 39% der Prüfungen der Fall. Im Falle einer zweiten negativen Beurteilung kommt dem RSB sogar eine De-facto-Vetomacht zu: Dann kann nur der für institutionelle Beziehungen und Vorausschau zuständige Vizepräsident der EU-Kommission eine Weiterverfolgung der Initiative erwirken.
Studie: Intransparente Arbeitsweise und ökonomische Schlagseite
Wie Prof. Brigitte Pircher, Autorin der von der Arbeiterkammer und LobbyControl beauftragten Studie, feststellt, ist sowohl bei der inhaltlich im RSB-Gremium abgedeckten Expertise, als auch bei den herangezogenen Bewertungskriterien eine überwiegende Berücksichtigung ökonomischer Auswirkungen erkennbar. Eine echte Unabhängigkeit des Gremiums erscheint laut der Studie fraglich. Dass Expertise und Bewertungskriterien etwa in den Bereichen Soziales, Ökologie oder Verbraucher:innenpolitik fehlen, ist nicht zuletzt vor dem Hintergrund der ehrgeizigen Nachhaltigkeitsziele der EU, des European Green Deal und der Umsetzung der Europäischen Säule sozialer Rechte besorgniserregend. Neben dem EU-Lieferkettengesetz waren das Recht auf Reparatur, die Lohntransparenz und der Gewaltschutz weitere Rechtsvorschläge, die vom RSB kritisch beurteilt wurden.
Doch nicht nur der starke Fokus auf ökonomische Kriterien, auch die intransparente Arbeitsweise des RSB wird in der Studie problematisiert. Weder die Öffentlichkeit, noch die Abgeordneten des EU-Parlaments haben Zugang zu den Entscheidungsprozessen. Im Verborgenen bleiben oft auch die Kontakten des Gremiums mit Lobbyist:innen; das nährt die Befürchtung, dass die EU-Gesetzgebung „durch die Hintertür“ im Interesse großer Industrien beeinflusst wird. Vor diesem Hintergrund fordert Prof. Pircher eine Revision des RSB und legt konkrete Politikempfehlungen vor. Diese umfassen (1) ein Überdenken der Better Regulation Agenda und der RSB-Toolbox, (2) eine Auflösung der Unterscheidung zwischen positiven und negativen Stellungnahmen zu Folgenabschätzungen, (3) eine Abschaffung der De-facto-Vetomacht des RSB sowie (4) mehr Transparenz und den erleichterten Zugang zu RSB-Dokumenten.
Europäische Entscheidungsträger:innen: Großer Handlungsbedarf gegeben
Die Unzulänglichkeiten und Gefahren im Zusammenhang mit dem Regulatory Scrutiny Board werden auch schon des Längeren von den beiden Abgeordneten des EU-Parlaments (MEPs) René Repasi (S&D) und Anna Cavazzini (Grüne) thematisiert, die zu der gemeinsamen Veranstaltung einluden. MEP René Repasi betonte, dass die Entscheidung, wer bestimmte „Lasten“ zu tragen hat, beim Gesetzgeber liegen müsse; das könne nicht an Gremien ohne demokratische Legitimation delegiert werden. MEP Anna Cavazzini forderte, die gesammelten Ideen zu einer Evaluierung des RSB im EU-Parlament weiterzuverfolgen und auf hoher Ebene mit der EU-Kommission zu diskutieren.
Auch die EU-Ombudsfrau Emily O'Reilly prüft derzeit die Arbeiten des RSB. Die laufende Untersuchung betrifft neben der Interaktion mit Interessenvertreter:innen auch die Zusammensetzung des Gremiums. Ergebnisse der laufenden Untersuchungen erwartet O'Reilly für Ende Juni 2023. Aus Sicht der AK ist jedenfalls klar, dass Rolle und Funktion des Regulatory Scrutiny Board sowie das übergreifende Konzept der Better Regulation Agenda gründlich zu überdenken sind. Schließlich ist das RSB seit acht Jahren im Einsatz, eine unabhängige Evaluierung lässt seither jedoch auf sich warten, so Frank Ey von der AK Wien.
Weiterführende Informationen
EU-Kommission: Ausschuss für Regulierungskontrolle
EU-Ombudsstelle: Zusammensetzung des Ausschusses für Regulierungskontrolle der Europäischen Kommission und seine Interaktion mit Interessenvertretern
A&W Blog: Das Regulatory Scrutiny Board: Wie groß ist der Einfluss auf die EU Gesetzgebung?
AK EUROPA Positionspapier: Bessere Rechtsetzung
AK Wien & LobbyControl: The EU’s Commission Regulatory Scrutiny Board — Better Regulation or Biased Influence on Legislation? (Nur Englisch)