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ZurückIm April 2021 nahm die Kommission das sogenannte "One-In-One-Out"-Prinzip (OIOO) erneut in ihre Mitteilung zur „Besseren Rechtsetzung“ auf. Hierdurch sollen "Belastungen" im bestehenden Recht in gleichem Maße beseitigt werden, wie neue "Belastungen" oder Gesetze eingeführt werden. 2022 wird sich auch das EU-Parlament mit dem Thema Bessere Rechtsetzung und dem OIOO-Prinzip befassen. Bei einem gemeinsamen Webinar von AK EUROPA, dem ÖGB Europabüro, dem EGB und der BEUC wurde mit Vertreter:innen der EU-Institutionen und Interessenvertreter:innen diskutiert.
Eingangs stellte Prof. Franz Leidenmühler (Universität Linz) seine Studie „Das One-In-One-Out-Prinzip im Europäischen Rechtsetzungsprozess: Weniger ist nicht immer mehr“ vor. Das OIOO-Prinzip wurde immer wieder auf EU-Ebene eingebracht (z.B. durch die Stoiber-Gruppe) und auch als Deregulierungskonzept bereits in mehreren Mitgliedstaaten implementiert. Prof. Leidenmühler problematisierte, dass der Fokus von OIOO auf dem Bürokratieabbau für die Wirtschaft liege, wobei Regulierung primär als Kostenfaktor betrachtet wird. Gesellschaftliche und ökonomische Vorteile von Rechtssetzung werden hingegen nur unzureichend berücksichtigt. Dadurch drohe gesetzgeberischer Stillstand in wichtigen Bereichen wie etwa der sozialen Sicherung und des Klimawandels. Das OIOO-Prinzip sah Prof. Leidenmühler auch im Konflikt mit dem EU-Primärrecht, in welchem sich die EU dazu verpflichtet hat, nach hohen Standards im Bereich der sozialen Sicherung und des Arbeitnehmer:innenschutzes zu streben.
Michael Wimmer, der für Bessere Rechtsetzung zuständige Direktor der EU-Kommission, betonte, dass die Kommission das OIOO-Prinzip nicht als Deregulierungsinstrument verstehe. Es gehe nicht darum, regulatorische Ziele generell in Frage zu stellen, sondern darum, diese mit minimalen Kosten zu erreichen. Die Anwendung des Prinzips basiere jeweils auf einer ganzheitlichen Kosten-Nutzen-Analyse, in welcher Kosten und Nutzen der jeweiligen Rechtssetzung gegeneinander abgewogen werden. Wimmer wies darauf hin, dass die Senkung von Kosten und der Abbau von Bürokratie nicht nur im Sinne der Unternehmen geschehen würden, sondern zugunsten aller Bürger:innen in der EU seien.
Tiemo Wölken, der für die Bessere Rechtsetzung zuständige Berichterstatter im EU-Parlament, steht dem OIOO-Prinzip kritisch gegenüber. Rechtssetzung sei nicht auf eine quantitative Dimension reduzierbar. Einige Politikbereiche – wie die Klima- und Gesundheitspolitik – bräuchten mehr und nicht weniger Gesetzgebung. Wölken bedauerte, dass die Kommission das Parlament im Vorfeld der Arbeit zur Mitteilung zur Besseren Rechtsetzung nicht konsultiert habe und forderte, dass der OIOO-Rechner der Kommission, welcher für die Kosten-Nutzen-Analysen herangezogen wird, öffentlich gemacht werde. Wenn ein Gesetz aufgehoben wird, sollte dies auch nicht hinter verschlossenen Türen geschehen, sondern im Rahmen eines transparenten Prozesses.
Isabelle Schömann (Europäischer Gewerkschaftsbund) kritisierte, dass der Fokus von OIOO auf der Wirtschaft und nicht auf dem Wohlergehen der Gesellschaft liege. Ein zentraler Mangel des Prinzips sei, dass die Kosten einer Nicht-Regulierung in der Analyse keine Beachtung fänden: Der Einsparung kurzfristiger wirtschaftlicher Kosten würde hierbei gegenüber langfristigem gesellschaftlichem Nutzen Priorität eingeräumt, so Schömann. Zudem sei fragwürdig, warum dieses Prinzip gerade in Zeiten der Coronakrise und großer politischer Herausforderungen reaktiviert wurde.
Ursula Pachl (Europäischer Verbraucher:innenverband) bezeichnete den Vorstoß der Kommission zu OIOO als politischen Rückschritt und rief ein Zitat von Frans Timmermans in Erinnerung: „Quantitative Ziele für den Regulierungsabbau seien so, als würde man Mozart kritisieren, weil er zu viele Noten hat – welche möchten Sie streichen?“. Die Anwendung des Prinzips stehe im Konflikt mit den Zielen und Verpflichtungen der EU gegenüber den Verbraucher:innen. Es gelte das Narrativ grundsätzlich zu ändern und die gesellschaftlich wünschenswerten Effekte von Rechtssetzung zu betonen, auch für Unternehmen, welche beispielsweise von der Harmonisierung des EU-Binnenmarktes profitieren.
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA Policy Brief: “One In, One Out” in EU Legislation - More Risks than Opportunities (nur Englisch)