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ZurückDer im Juni 2022 vorgestellte neue Ansatz der EU-Kommission für nachhaltigere Handelsabkommen kommt erstmals beim am 30. Juni 2022 abgeschlossenen EU-Neuseeland Handelsabkommen zum Einsatz. Die AK begrüßt höhere Nachhaltigkeitsambitionen grundsätzlich, befürchtet allerdings vorgeschobene Nachhaltigkeitsaspekte, um zu verdecken, dass in der europäischen Handelspolitik alles beim Alten bleibt.
Laut dem am 22. Juni 2022 vorgestellten neuen Ansatz der EU-Kommission für Handelsabkommen sollen Nachhaltigkeitsaspekte künftig stärker berücksichtigt werden. Einerseits enthalten neuere EU-Handelsabkommen bereits Kapitel, die Handel und nachhaltige Entwicklung (Trade and Sustainable Development – TSD) betreffen, andererseits fehlt in der Regel ein Durchsetzungsmechanismus. Handelspartner:innen verpflichten sich in TSD-Kapiteln zur Einhaltung international anerkannter Umwelt- und Sozialstandards, wie etwa dem Pariser Klimaabkommen und den grundlegenden Arbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Mit dem neuen Ansatz kündigt die EU-Kommission an, die zwischenstaatlichen Streitbeilegungsmechanismen von Handelsabkommen auf deren TSD-Kapitel auszuweiten. „Wir müssen sicherstellen, dass die Nachhaltigkeitsverpflichtungen nicht nur auf dem Papier stehen, sondern auch in der Praxis umgesetzt werden“, erklärte EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis bei der Vorstellung des neuen Kommissionsansatzes.
Sanktionen und eine wichtigere Rolle für die Zivilgesellschaft
In Zukunft sollen neu ausgehandelte TSD-Kapitel dem allgemeinen Streitbeilegungsmechanismus unterstellt werden. Nachdem dies jedoch nicht automatisch ihre Umsetzung garantiert, will die EU-Kommission bei neu ausgehandelten Abkommen zusätzlich Sanktionsmöglichkeiten gegen Vertragspartner:innen einführen, die fundamental gegen das Pariser Klimaabkommen oder die Kernarbeitsnormen der ILO verstoßen. Dombrovskis betonte jedoch, dass Kooperation vor Strafe ginge – Sanktionen würden nur als letztes Mittel bei eklatanten und anhaltenden Verstößen gegen zentrale TSD-Bestimmungen verhängt werden.
Zivilgesellschaft und Arbeitnehmer:innenorganisationen wie AK und ÖGB kritisieren die europäische Handelspolitik schon seit Langem als ausbeuterisch und umweltschädigend. Mit dem Vorstoß für mehr Nachhaltigkeit in Handelsabkommen geht die EU-Kommission erzwungenermaßen auf die Kritik von diesen Organisationen ein, indem sie ihnen beispielsweise die Möglichkeit gibt, Beschwerden gegen Verstöße gegen Nachhaltigkeitsverpflichtungen einzureichen. In diesem Zusammenhang fordert die AK, die Möglichkeit für Gewerkschaften und NGOs ein von den Vertragsparteien unabhängiges Verfahren in die Wege zu leiten, auch wenn die Möglichkeit Beschwerden einreichen zu können, noch nicht garantiert, dass diese aufgegriffen werden. Die grüne Abgeordnete des EU-Parlaments, Saskia Bricmont, begrüßte die Ankündigung der EU-Kommission als „Schritt in die richtige Richtung,“ bedauerte allerdings, dass Menschenrechte nicht explizit erwähnt und das Pariser Klimaabkommen sowie die Kernarbeitsnormen nicht ausdrücklich als vorrangig vor kommerziellen Überlegungen eingestuft wurden. Laut Aussagen der EU-Kommission ist es vorgesehen, dass die TSD-Prinzipien in allen neuen und einigen laufenden Handelsverhandlungen umgesetzt werden, wohingegen sie in alte Handelsabkommen nur bei deren Modernisierung mit aufgenommen werden sollen. Da die EU schon ein weites Netz an bilateralen Handelsabkommen aufgebaut hat, stellt sich die Frage, welche Wirkmächtigkeit in Zukunft dann überhaupt noch erzeugt werden kann, wenn als potenzielle Partner nur noch ein paar wenige Staaten übrig bleiben.
Starker Nachhaltigkeitsfokus im neuen EU-Neuseeland Handelsabkommen?
Das am 30. Juni 2022 abgeschlossene Handelsabkommen zwischen der EU und Neuseeland ist das erste Abkommen, das den neuen Ansatz der EU für Handel und nachhaltige Entwicklung beinhaltet. Beispielsweise enthält das Abkommen sanktionsfähige Verpflichtungen zur Einhaltung des Pariser Klimaabkommens sowie verbindliche Bestimmungen über Arbeitsnormen und ein Kapitel über Handel und Geschlechtergleichstellung. Zusätzlich haben beide Seiten vereinbart, das Übereinkommen über die biologische Vielfalt und das Übereinkommen über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen umzusetzen. Neben einer Reduzierung eines Großteils der verbleibenden Zölle zwischen den beiden Handelspartner:innen und der Beibehaltung von bestimmten Schutzmaßnahmen für landwirtschaftliche Erzeugnisse einigten sich die EU und Neuseeland auch auf höhere Quoten für Lebensmittelimporte bzw. -exporte, beispielsweise auf Rindfleisch, Milchpulver oder Käse.
Auch wenn das Handelsabkommen mit Neuseeland von der EU-Kommission wenig überraschend als eines mit den „ehrgeizigsten Nachhaltigkeitsbestimmungen“ gefeiert wird, wird es von Globalisierungskritiker:innen dennoch als problematisch eingestuft, da es mit einem Land abgeschlossen wurde, das hinsichtlich seiner Arbeits-, Klima- und Umweltschutzstandards der EU in Nichts nachsteht. Nachdenklich stimmt es vor allem vor dem Hintergrund des Klimawandels und den mit Handel verbundenen Treibhausgasemissionen, durch das Handelsabkommen zwischen der EU und Neuseeland beispielsweise Quoten auf Lebensmittelimporte bzw. -exporte erhöht und Zölle abgeschafft werden sollen. Konkret bedeutet das, dass zwei gleich entwickelte Handelspartner:innen zB Rindfleisch, Milchpulver, Käse oder ähnliches über weite Strecken der Erde austauschen. Eine Antwort, wie diese Transporte mit dem Grünen Deal und dem Ziel der Reduktion von CO2-Emissionen vereinbar sein sollen, bleibt das Handelsabkommen allerdings schuldig. Kritiker:innen hegen also den wohl nicht ganz unbegründeten Verdacht, dass hier ein umfassendes Nachhaltigkeitskapitel in den Vordergrund gerückt wird, um davon abzulenken, dass in der Handelspolitik der EU alles wie gehabt weitergeht. Der Klimaschädlichkeit des Handels selbst und insbesondere des internationalen Gütertransports schenkt die EU-Kommission jedenfalls im EU-Neuseeland-Abkommen keine Beachtung.
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA: Die EU als Vorreiterin für eine nachhaltigere und sozialere Handelspolitik
AK EUROPA: EU-Parlament möchte Produkte aus Zwangsarbeit vom EU-Markt verbannen
AK Wien Positionspapier: EU-Konsultation Handel und nachhaltige Entwicklung in EU-Handelsabkommen
Europäische Kommission: Kommission stellt neuen TSD-Ansatz für Handelsabkommen vor
Europäische Kommission: EU-NZ-Handelsabkommen nachhaltiges Wirtschaftswachstum erschließen