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ZurückIm Rahmen des Nachhaltigkeits-Omnibus bzw. Omnibus I arbeiten die EU-Institutionen derzeit daran, wesentliche Elemente der EU-Lieferkettenrichtlinie letztlich rückabzuwickeln, noch bevor diese Richtlinie in den Mitgliedstaaten überhaupt umgesetzt werden konnte. Über die potenziellen Auswirkungen des Omnibus I wurde diese Woche in einer gemeinsamen Veranstaltung von AK EUROPA, dem ÖGB Europabüro, EGB, ECCJ und FoEE diskutiert. Dass nur ein ambitioniertes Lieferkettengesetz den notwendigen Beitrag zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele der EU, von Menschenrechtsverpflichtungen und Klimaschutz leisten kann, zeigten die Beiträge der Panelist:innen deutlich auf.
Die Verabschiedung der EU-Lieferkettenrichtlinie (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, CSDDD) im Mai 2024 stellte einen Paradigmenwechsel dar. Über viele Jahre hatten Gewerkschaften und Organisationen der Zivilgesellschaft nachdrücklich gefordert, verbindliche Standards gegen Menschenrechtsverletzungen von Unternehmen einzuführen. Mit der EU-Lieferkettenrichtlinie bekannte sich die EU dazu, Profitstreben auf Kosten von Menschen und der Umwelt nicht länger zu ignorieren. Ein neuerlicher Paradigmenwechsel ist nun jedoch das im Februar 2025 vorgelegte Omnibus I Paket: Damit schlägt die EU-Kommission bedeutende Änderungen der CSDDD vor - mit weitreichenden Auswirkungen auf Unternehmen, Regierungen und die Gesellschaft. Darüber wurde im Zuge einer gemeinsamen Veranstaltung von AK EUROPA, dem ÖGB Europabüro, EGB, ECCJ und FoEE unter der Moderation von Sylvia Obregon (ECCJ) diskutiert.
Kehrtwende in der EU-Nachhaltigkeitsgesetzgebung
In seinem Eröffnungsstatement verwies Valentin Wedl (AK Wien) darauf, dass der aktuelle Gesetzgebungsprozess nur dem Titel nach der „Vereinfachung“ diene, in Wahrheit aber demokratieschädigend sei und sich durch Diskursverweigerung und die Strategie „Speed kills“ auszeichne. Es werde vor allem den Forderungen der Industrie und einflussreicher Lobbygruppen nachgegeben, beginnend mit der Aufweichung des Green Deal und dann – so sei zu befürchten – der Abschaffung sozial- und arbeitsrechtlicher Errungenschaften, insbesondere aus der letzten Legislaturperiode. Dass etablierte Elemente des EU-Rechtssetzungsprozesses außer Kraft gesetzt werden, sah Valentin Wedl kritisch. Ein Beispiel dafür sei, dass die Omnibus-Gesetzgebung direkt über eine nicht für inhaltliche Debatten vorgesehene Untergruppe der Antici-Gruppe abgewickelt würde, anstatt wie üblich über die inhaltlich zuständigen Ratsarbeitsgruppen. Dadurch würde auch der Input der fachlich zuständigen Ministerien und die Einbindung von Stakeholdern stark reduziert.
Isabelle Schömann (EGB) rief in Erinnerung, dass entsetzliche Anlassfälle wie der Einsturz der Fabrik Rana Plaza mit tausenden toten Arbeiter:innen der Grund für die Einführung einer EU-Lieferkettenrichtlinie waren. In keiner Weise ging es darum, Unternehmen zu bestrafen, sondern um die Sicherung eines fairen Wettbewerbs. Einheitliche EU-weite Standards seien letztlich auch im Sinne der Unternehmen und basierten auf den Erfahrungen der OECD-Guidelines sowie nationaler Gesetze in Deutschland und Frankreich. Das Argument der Überforderung von KMU durch die CSDDD sah Isabelle Schömann als unberechtigt. Zum einen bestehen in der Lieferkettenrichtlinie viele Ausnahmen, zum anderen ist der KMU-Test ein Standard-Instrument in der EU-Gesetzgebung. Im Hinblick auf die ebenfalls vom Omnibus I erfasste Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) verwies Isabelle Schömann darauf, dass in der EFRAG auf Vorgabe der Kommission gerade die Europäischen Nachhaltigkeitsberichtsstandards (European Sustainability Reporting Standards, ESRS) überarbeitet werden müssen. Dabei verhandle man über Standards, die unterhalb des internationalen Niveaus liegen. Auch die EZB hat jüngst in einer Stellungnahme zur CSDDD und CSRD-Gesetzgebung betont, welch hohe Bedeutung einheitlichen Standards zukommt und sich etwa gegen die von der Kommission vorgeschlagene Einschränkung des Anwendungsbereichs der CSRD ausgesprochen.
Narrativ der Wettbewerbsfähigkeit und Rechtmäßigkeitsprüfung
Auch Nele Meyer (ECCJ) unterstrich, dass die Lieferkettenrichtlinie Ergebnis jahrelanger Verhandlungen und ein gut ausgehandelter Kompromiss sei. Insbesondere kritisierte sie die immensen Rückschritte durch die Abschaffung der Sorgfaltspflicht über die direkten Lieferanten hinaus, sowie die Rücknahme der Einbeziehung von Stakeholdern und der zivilrechtlichen Haftung sowie die Abschwächung der Klimaverpflichtungen. Gerade vor dem Hintergrund, dass nur noch wenige Jahre verblieben, um Klima-Kipppunkte abzuwenden, sei es unverantwortlich eines der wenigen, verfügbaren Instrumente nicht zu nutzen. Anstatt Rechtssicherheit für die Opfer von Menschenrechtsverletzungen zu schaffen, werde Konzernen, wie etwa Exxon, nachgegeben. Zum jetzigen Zeitpunkt sei es wichtig, die Stimme gegen die Verwässerung der Nachhaltigkeitsgesetzgebung zu erheben: Es gelte, immer wieder das Narrativ zu hinterfragen, dass Deregulierung die Wettbewerbsfähigkeit fördere. Dementsprechend hatten auch viele Unternehmen die CSDDD unterstützt, etwa im Rahmen der Responsible Business Alliance.
Paul de Clerck (Friends of the Earth Europe) warf die Frage auf, ob der Omnibus I-Vorschlag zur CSDDD einer Rechtmäßigkeitsprüfung standhalte. Dies stellen auch zwei aktuelle Gutachten der schwedischen Anwaltskanzlei CIRIO und der französischen Anwaltskanzlei Baldon Avocats in Frage. Der CSDDD-Vorschlag der Kommission – so die Analyse – verletze die Grundrechte der EU-Bürger:innen, die Verpflichtungen des EU-Rechts und die eigenen Verfahrensvorschrift der Kommission. Verletzt würden unter anderem die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Rechtssicherheit, des Vertrauensschutzes und der Kohärenz. So ist etwa Regression nach der EU-Grundrechte-Charta nur erlaubt, wenn starke Argumente vorliegen und diese verhältnismäßig sind. Der neue CSDDD-Vorschlag würde in mehreren Schlüsselelementen jedoch ganz erhebliche Rückschritte vorsehen, etwa beim Zugang zum Recht oder der Verringerung der Treibhausgase. Problematisch ist auch, dass keine Folgenabschätzungen und Eignungsprüfungen von der Kommission durchgeführt wurden. Außerdem hat die Kommission keine Alternativen in Betracht gezogen, was ebenfalls das Verhältnismäßigkeitsgebot erfordern würde. Potentiell könnten Mitgliedstaaten daher den Omnibus-Vorschlag vor den EuGH bringen und zivilgesellschaftliche Organisationen könnten sich an nationale Gerichte wenden, und so Vorabentscheidungsverfahren anstoßen – dies zu vermeiden sollte auch im Sinne der Kommission sein.
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA: Rules to Protect. Kritik an den Omnibus-Paketen der Kommission und Alternativen zur Deregulierung
AK EUROPA: Omnibus I
A&W Blog: Omnibus: Wie die EU-Kommission Schutzvorschriften im Eiltempo loswerden will
ETUC: Joint European Trade Union Statement on the Omnibus Proposal: A Direct Attack on Workers’ Rights and Corporate Accountability (nur Englisch)
ECCJ (u.a.): Gemeinsame Erklärung zum Omnibus (nur Englisch)
AK EUROPA: Veranstaltungsfotos