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ZurückInternationale Finanzinvestoren und Konzerne befinden sich in Bereichen kritischer Infrastruktur wie Pflege, Gesundheit und Wohnraum auf dem Vormarsch. Der Gewerkschaftsverband Uni Global Europa machte zuletzt in einer Veranstaltung vor allem auf die Gefahren für Versorgungssicherheit, -qualität und Beschäftigte aufmerksam, die von Private Equity Investments ausgehen. Dort wurde auch die neue Studie der Arbeiterkammer präsentiert, die den Bedarf nach effektiven Frühwarnsystemen und Schutzvorkehrungen unterstreicht.
Der Bedarf an kritischer Infrastruktur wie Pflege, medizinischer Versorgung und Wohnraum ist definitionsgemäß stets gegeben. Im Zuge der letzten Krisen stieg er noch weiter an und wird wohl aufgrund des demografischen Wandels auch in Zukunft weiter zunehmen. Außerdem ist das Geschäft mit der kritischen Infrastruktur für einschlägige Finanzinvestoren und Konzerne nicht zuletzt wegen der Abschöpfungsmöglichkeiten öffentlicher Finanzierungen attraktiv. In den USA und auch in Großbritannien sind Finanzierungsformen mittels privatem Eigenkapital bereits ein gängiges Modell. Zunehmend wird auch in anderen Staaten in Europa darauf zurückgegriffen. Zum Beispiel sind strategische Investoren, die häufig einen Branchenbezug zu ihren Investitionsobjekten haben, auf dem Vormarsch. Private Equity-Unternehmen verfolgen eine kurz- bis mittelfristige Investmentstrategie, bei der direkt Eigenkapital in Unternehmen veranlagt wird. Diese werden dann häufig umstrukturiert, wieder verkauft und die Gewinne mitgenommen. Die profitmaximierenden Geschäftsmodelle wie zum Beispiel Gewinnabschöpfung, Steuervermeidung oder gewinnbringende Risikoauslese gefährden dabei Beschäftigte und jene, die auf die lebensnotwendigen Dienstleistungen angewiesen sind.
Private Kapitalinteressen als Ursache für katastrophale Situation in Pflegeheim
Im Rahmen einer von Uni Global Europa veranstalteten Konferenz wurde eine Diskussions- und Informationsplattform geschaffen, um die von Gewinninteressen ausgehenden Gefahren im Bereich kritischer Dienstleistungen zu diskutieren. Besonders eingängig war der Bericht der ehemaligen Pflegerin, Whistleblowerin und Aktivistin Andrea Würtz, die von den Missständen in der Seniorenresidenz Schliersee berichtete. Sie teilte ihre Erfahrungen mit einem Pflegesystem, das in Folge privater Kapitalinteressen zugrunde gewirtschaftet wurde. Pflegebedürftige wurden sogar akut in Lebensgefahr gebracht. Aber auch die Pflegekräfte litten unter dem immensen Druck. Personalschlüssel wurden nicht eingehalten und Dokumentationen gefälscht. Besonders kritisiert sie auch die mangelnden Kontrollsysteme in Deutschland, die es ermöglichen würden, dass private Kapitalfirmen Lücken finden und diese ausnutzen.
Im weiteren Verlauf der Veranstaltung wurden die Ergebnisse einer AK-beauftragten Studie über shareholderorientierte transnationale Investoren in der kritischen sozialen Infrastruktur vorgestellt. In einem einschlägigen Beispiel verdeutlichte einer der Autoren, dass Gewinnorientierung im Bereich der kritischen Infrastruktur dazu führen kann, dass sich die Qualität von Gütern und Dienstleistungen deutlich verringert. Zum Beispiel würden Wohnungen so gebaut, dass sie weniger den Bedürfnissen der Mieter:innen sondern vielmehr der Investoren entsprechen. Er weist drauf hin, dass Private Equity sich nicht nur auf den Dienstleistungssektor beschränkt, sondern viele Investoren auch eine immobilienbasierte Strategie verfolgen. Überteuerte Mieten, die dann weiterverrechnet werden, sind davon eine Folge.
Liberalisierung ebnet den Boden für Finanzinvestoren
In einem aktuellen Policy Brief der AK werden die Studienergebnisse zusammengefasst und Handlungsempfehlungen abgeleitet. Die Studie vergleicht die Entwicklungen in England, Deutschland und Österreich. In England wurde durch weitreichende Liberalisierungsmaßnahmen der Weg frei für transnationale Investoren gemacht. Inzwischen sind hochriskante Geschäftsmodelle weit verbreitet. Diese haben unter anderem auch zum Konkurs des größten Pflegeheimbetreibers geführt. In Deutschland ist die Privatisierungswelle mit weit mehr Kontrollmechanismen einhergegangen. Zusammen mit der föderalen Struktur erschwerte dies private Veranlagungsstrategien. Dennoch haben diese auch dort in den letzten Jahren gerade im Bereich der kritischen Infrastruktur immer mehr zugenommen. In Österreich gehen diese Entwicklungen aufgrund von strengeren Regularien bislang schleichender voran. Dennoch breiten sich auch hier zunehmend Veranlagungsstrategien aus, wie z.B. die Übernahme des österreichischen Pflegeheimbetreibers SeneCura durch den internationalen Pflegekonzern Orpea im Jahr 2015 gezeigt hat. Wie riskant die Geschäftsmodelle von shareholder-orientierten Investoren sein können, haben zuletzt auch die Finanz- und Pflegeskandale rund um den Orpea-Konzern gezeigt.
Öffentliche Investitionen in die kritische Infrastruktur sowie strengere Regularien benötigt
Um die kritische Infrastruktur vor den Interessen profitgetriebener Investoren zu schützen, fordern die Studienautoren eine Reihe von Maßnahmen. In Bereichen wie Gesundheit und Pflege müssen Betreiber an effektive Auflagen zur Gemeinnützigkeit gebunden und profitmaximierenden Strategien ein Riegel vorgeschoben werden. Zudem müssten Unternehmen zu mehr Transparenz und Offenlegung von Unternehmensstrukturen verpflichtet werden. Zur Verhinderung von Steuervermeidung braucht es eine strengere Regulierung konzerninterner Finanzströme. Öffentliche Dienstleistungen sollten von Binnenmarktregeln und Handels-, sowie Investitionsabkommen ausgenommen werden. Damit die soziale Infrastruktur in der gesamten Europäischen Union resilienter wird, braucht es ausreichend Finanzierungsmöglichkeiten für mehr Investitionen in die kritische Infrastruktur. Dies muss auch im Zuge der Überarbeitung der wirtschaftspolitischen Steuerung dringend berücksichtigt werden.
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA Policy Brief: Caring for Profit: How shareholder-oriented transnational investors are pushing into critical social infrastructures (Nur Englisch)
AK Wien: Das Geschäft mit Wohnen, Gesundheit und Pflege – Portal der Arbeiterkammer und des ÖGB-Verlags
UNI Europa: Private Equity in kritischen Dienstleistungen: Eine eintägige Konferenz
EPSU: New EPSU report chronicles the downfall of for-profit care giant Orpea (Nur Englisch)
A&W Blog: Wie private Kapitalinteressen unsere kritische Infrastruktur unterwandern
A&W Blog: Good old Daseinsvorsorge
Investigate Europe: Milliarden-Geschäft Altenpflege