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Es war die erste große Veranstaltung in Brüssel zum Kommissionsprojekt einer „Säule der sozialen Rechte“ in der EU, die von ÖGB, AK, DGB, der Friedrich-Ebert-Stiftung und Solidar veranstaltet wurde. Neben dem Leitenden Sekretär des ÖGB, Bernhard Achitz, diskutierten hochrangige TeilnehmerInnen wie Luxemburgs Arbeitsminister Schmit und die EU-Abgeordneten Thomas Händel und Udo Bullmann bei der ganztägigen Konferenz. Christof Cesnovar vom AK Europa-Büro unterstrich die Wichtigkeit von Investitionen in den Sozialstaat. Im Mittelpunkt der Konferenz stand die Frage, was von dieser Kommissionsinitiative zu erwarten ist und welche Forderungen die Gewerkschaften aufstellen.

Feigenblatt oder Kurswechsel?

Die Finanzkrise hat in der EU zu einer massiven Legitimations- und Vertrauenskrise geführt. Fast ein Viertel der EuropäerInnen lebt laut der OECD an oder unter der Armutsgrenze. Die meisten der DiskutantInnen stimmten darin überein, dass das Vertrauen der Menschen nur zurückgewonnen werden kann, wenn die EU ihre Handlungsfähigkeit beweist und die sozialen Standards in den Mitgliedsstaaten anhebt. Könnte die soziale Säule einen politischen Kurswechsel einläuten oder ist sie nur ein weiteres soziales Feigenblatt der EU-Kommission? Der Kommissionsvorschlag wurde im März vorgestellt und wird derzeit in einer öffentlichen Konsultation diskutiert, die noch bis zum Jahresende läuft.

ÖGB-Achitz: „Berechtigte Skepsis“

„Angesichts der schlechten Erfahrungen mit sozialen Initiativen der EU-Kommission ist Skepsis angebracht“ fasste Bernhard Achitz die erste Reaktion der Gewerkschaften zusammen. Dennoch werden die Gewerkschaften sich aktiv in die Diskussion einbringen, denn „wir haben in der EU nicht zu viele, sondern zu wenige verbindliche soziale Mindeststandards“, widersprach Achitz der Vertreterin von Businesseurope, Rebekah Smith. Neue soziale Standards dürften sich aber nicht am niedrigsten Niveau in der EU orientieren. Den Fokus auf niedrigere Leistungen für Arbeitslose oder auf die weitere Schwächung des Pensionssystems zu legen, sei hierbei der völlig falsche Ansatz. „Entscheidend für den Erfolg der Initiative wird sein, ob wir starke Sozialsysteme nur als Kostenfaktor sehen oder als notwendige Absicherung und Investition in die Zukunft.“ Im Übrigen könne die Beschränkung auf die Eurozone nur ein erster Schritt sein, denn soziale Standards müssten für alle EU-Staaten gelten, forderte der Leitende Sekretär des ÖGB.

„Sozialer Aufbruch oder Abbruch Europas?“

Die beiden EU-Abgeordneten Udo Bullmann (SPD) und Thomas Händel (Die Linke) begrüßten die Kommissionsinitiative zumindest im Grundsatz. „Wichtig ist, dass Sozialkommissarin Thyssen im EU-Parlament auch legislative Maßnahmen angekündigt hat“, so Händel, der Vorsitzender des Beschäftigungsausschusses ist. Er fordert die Durchsetzung des Prinzips „gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“. Die meisten RednerInnen waren sich einig, dass verbindliche Standards nötig seien, damit der soziale Pfeiler in der EU wirklich gestärkt werden kann. Das sehen offenbar auch einige Regierungen so: „Ein sozialer Knigge reicht nicht, wir brauchen nach der Konsultation auch weitergehende Vorschläge für konkrete Richtlinien“, so Susanne Hoffmann vom deutschen Arbeitsministerium. Verbesserungswürdig ist ihrer Ansicht nach die Einbindung der Sozialpartner, wenn im Kommissionsdokument von Löhnen und Produktivität gesprochen werde. Andreas Botsch vom DGB kritisierte die von der Kommission empfohlene automatische Koppelung von Pensionsalter und Lebenserwartung. „Schaffen wir mit der sozialen Säule endlich den sozialen Aufbruch oder brechen wir Europa ab?“, das sei die entscheidende Frage, so Botsch.

Sozialinvestitionen stärken

Zum Abschluss betonten die TeilnehmerInnen die Wichtigkeit von Sozialinvestitionen. Der luxemburgische Sozialminister Nicolas Schmit kritisierte die Vorgangsweise der EU-Kommission: „Man diktiert Budgetregeln und überlässt die sozialen Aufgaben allein den Nationalstaaten.“ Ohne verstärkte Investitionen in den Sozialstaat sei die Stabilität des europäischen Sozialmodells akut gefährdet. Christof Cesnovar vom AK Europa Büro betonte die Mehrfachdividende von zukunftsgerichteten Sozialinvestitionen. So haben Studien der Arbeiterkammer Wien klar gezeigt, dass verstärkte Investitionen in die Kinderbetreuung positive Auswirkungen auf Beschäftigung und sozialen Zusammenhalt haben.

Der Europäische Gewerkschaftsbund wird in der nächsten Woche ein umfangreiches Forderungs- und Positionspapier zu dieser Kommissionsinitiative beschließen.