Nachrichten

Zurück
Seit 2013 verhandeln die EU, die USA und 22 weitere Staaten über ein neues Handelsabkommen für Dienstleistungen, das sogenannte „Trade in Services Agreement“ (TiSA). Mit dem geplanten Abkommen könnten öffentliche Dienstleistungen unter verstärkten Druck geraten. Eine kontroverse Debatte über die Bedeutung der TiSA-Verhandlungen für öffentliche Dienstleistungen fand unlängst im Rahmen einer Konferenz im Europäischen Parlament statt. AK-Experte Nikolai Soukup warnte dabei davor, dass durch TiSA staatliche Handlungsspielräume im Bereich der Leistungen der Daseinsvorsorge weiter eingeschränkt werden könnten.

Die Konferenz zu TiSA wurde von der Arbeitsgruppe zu öffentlichen Dienstleistungen im Rahmen der Intergroup „Common Goods and Public Services“ des Europäischen Parlaments organisiert. Die sogenannten Intergroups des Europäischen Parlaments sind von EU-Abgeordneten initiierte informelle Diskussionsforen, die auch den Austausch mit der Zivilgesellschaft fördern sollen. Neben dem Vertreter der AK waren Ignacio Iruarrizaga Díez, Leiter der Abteilung für Dienstleistungshandel in der Generaldirektion Handel der Europäischen Kommission, EU-Abgeordneter Georges Bach (EVP), Luisa Santos vom europäischen Unternehmensverband BusinessEurope und Rainer Plaßmann von den Stadtwerken Köln auf dem Podium vertreten.

Deutliche AK-Kritik an TiSA-Verhandlungen

AK-Experte Nikolai Soukup hob die hohe Bedeutung der öffentlichen Dienstleistungen hervor, da es sich hierbei um einen Kernbestandteil des europäischen Wohlfahrtsmodells handle. Während Dienstleistungen der Daseinsvorsorge in den letzten Jahrzehnten durch marktschaffende Initiativen auf verschiedenen politischen Ebenen unter Druck gerieten, treffen Liberalisierungsprojekte jüngst auf verstärkten Widerstand der europäischen Bevölkerung. Dies sei nicht zuletzt mit den zahlreichen negativen Erfahrungen mit Liberalisierungen öffentlicher Dienstleistungen verbunden, welche oftmals etwa mit Arbeitsplatzverlusten, Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen und gesunkener Qualität der Leistungen einhergingen. Vor diesem Hintergrund sei es essenziell, die regulatorischen Handlungsspielräume von Staaten im Bereich der Daseinsvorsorge zu gewährleisten, auch um künftig politische Richtungsänderungen vornehmen und gescheiterte Liberalisierungen und Privatisierungen rückgängig machen zu können. In diesem Zusammenhang sei zu beachten, dass die Verpflichtungen in Handelsabkommen nach Inkrafttreten eines Abkommens nur unter besonders schwierigen Bedingungen wieder zurückgenommen werden können.

Aus dem multilateralen Abkommen zum Dienstleistungshandel GATS wurden öffentliche Dienstleistungen nicht generell ausgenommen. Bislang gab es auch keine Reformen, die auf eine Verbesserung des Schutzes für öffentliche Dienstleistungen im GATS abzielten. Vielmehr zielen die TiSA-Verhandlungen darauf ab, aufgrund der Konflikte innerhalb der WTO auf ein neues Verhandlungsterrain auszuweichen, um dort verschärfte Liberalisierungsziele zu realisieren. Forderungen nach einer Herausnahme öffentlicher Dienstleistungen aus Handelsabkommen werden damit weiter untergraben. Auch in den aktuellen TiSA-Verhandlungen seien die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Ausnahmebestimmungen unzureichend, führte Soukup aus. Sehr problematisch sei zudem, dass in einem Teil des TiSA-Abkommens der Negativlistenansatz angewandt wird, demzufolge die entsprechenden Liberalisierungsverpflichtungen automatisch für alle Sektoren gelten, wenn keine Ausnahmen explizit eingetragen werden. Darüber hinaus müsse davor gewarnt werden, dass mit TiSA Bestimmungen zu dienstleistungsbezogenen Regulierungen geschaffen werden könnten, die staatliche Handlungsspielräume einschränken, etwa durch die Festlegung, dass solche Regulierungen „nicht belastender als notwendig“ sein sollen.

Gefahr von Rechtsunsicherheit für öffentliche Dienstleistungen

Rainer Plaßmann machte in seinem Beitrag darauf aufmerksam, dass die Regelungen des EU-Rechts zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse hart erkämpft wurden. Es bestehe die Gefahr, dass internationale Handelsabkommen diesen Rechtsrahmen beeinträchtigen könnten. Der hybride Ansatz aus Positiv- und Negativlisten in TiSA mache es nur äußerst schwer möglich, das Ausmaß der Verpflichtungen des Abkommens zu erfassen. Plaßmann kritisierte zudem, dass Begriffe in Handelsabkommen nicht ausreichend klar seien, wie etwa der Begriff der „public utilities“. Auch würde durch das Zusammenspiel zwischen den verschiedenen Handelsabkommen wie CETA, TTIP und TiSA eine Reihe offener Fragen bestehen, die Rechtsunsicherheit schaffen. Plaßmann gab zudem zu bedenken, dass öffentliche Dienstleistungen für private InvestorInnen als sichere Anlage sehr attraktiv seien.

EU-Kommission versucht zu beruhigen

Der Vertreter der EU-Kommission, Ignacio Iruarrizaga Díez, betonte die ökonomische Bedeutung des Dienstleistungshandels und hob hervor, dass die EU einen Handelsbilanzüberschuss im Handel mit Dienstleistungen aufweise. Er versuchte, Bedenken gegenüber TiSA auszuräumen und verwies auf verschiedene Ausnahmebestimmungen im Bereich der öffentlichen Dienstleistungen in bestehenden Abkommen, die die EU auch in TiSA integrieren wolle. Darüber hinaus lobte er die Transparenz der Verhandlungen, da Rat und EU-Parlament Kopien aller Verhandlungsdokumente erhalten würden.

EU-Abgeordneter Georges Bach nahm in Vertretung von Viviane Reding (EVP) an der Diskussion teil und stellte die Positionen der TiSA-Berichterstatterin im Europäischen Parlament vor. So befürworte Reding generell die TiSA-Verhandlungen, spreche sich aber dafür aus, öffentliche Dienstleistungen aus den Verhandlungen auszunehmen. Die besondere Bedeutung der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse sei in den Verträgen der EU verankert, diese würden zur „DNS“ der EU gehören und müssten besonders geschützt werden. In diesem Bereich gebe es noch Nachschärfungs- und Verhandlungsbedarf. Noch in diesem Jahr werde das EU-Parlament einen Bericht mit seinen Positionen zu TiSA verabschieden.

Offensive Interessen der Unternehmen

Luisa Santos brachte die Erwartungen des Unternehmensverbandes BusinessEurope an die TiSA-Verhandlungen zum Ausdruck und sprach sich für eine Ausweitung der Marktöffnung aus. Sie würde es begrüßen, wenn weitere Länder wie China und Brasilien den TiSA-Verhandlungen beitreten würden. Im Kontext der TiSA-Verhandlungen sei es zudem wichtig, Regulierungskosten zu senken und, wo dies möglich sei, Standards zu harmonisieren. Sie trat für weitere Liberalisierungen im Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens und hinsichtlich der temporären Arbeitsmigration zur grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung ein. Aus Sicht von BusinessEurope sei sichergestellt, dass öffentliche Dienstleistungen nicht Gegenstand der TiSA-Verhandlungen seien. Allerdings wies sie darauf hin, dass privat finanzierte Dienstleistungen, wie etwa im Bildungs- oder Gesundheitsbereich, den Liberalisierungsverpflichtungen unterliegen sollen.

Weiterführende Informationen:

Veröffentlichte Texte der Europäischen Kommission zu TiSA (nur auf Englisch verfügbar)

AK-Positionspapier zum plurilateralen Dienstleistungsabkommen TiSA (nur auf Englisch verfügbar)

Dokumentation des Seminars „Challenging the liberalisation of public services in TTIP and beyond”, organisiert von AK, ÖGB, EPSU und ETUCE

AK-Positionspapier zu TTIP und CETA

AK Wien infobrief eu & international 2/2013, Artikel „GATS reloaded“, Seite 25ff

Studie zu TiSA von Public Services International (PSI)