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AK EUROPA, das Brüsseler Büro der Bundesarbeitskammer Österreich, das ÖGB Europabüro, das Brüsseler Büro des Österreichischen Gewerkschaftsbundes und das European Social Observatory (OSE) luden diese Woche zu einer Veranstaltung unter dem Titel „Wirtschaftskrise und Sparmaßnahmen in Südeuropa: Bedrohung oder Chance für den Aufbau eines nachhaltigen Wohlfahrtsstaates?“ Gerade der Wohlfahrtsstaat in den südeuropäischen Ländern Europas wurde durch die Wirtschaftskrise und die Austeritätspolitik besonders stark getroffen. Vor diesem Hintergrund analysierten die DiskutantInnen die in den Ländern beschlossenen Maßnahmen vor und nach der Krise und gingen auf die damit vielfach einhergehende Erosion der sozialen Rechte ein.

GUILLÉN: Austeritätspolitik führte zu sinkende Löhnen, Arbeitslosigkeit und einem starken Anstieg der Armutsquote

Ana M. GUILLÉN, Professorin für Soziologie an der Universität von Oviedo in Spanien, gab zunächst einen Überblick über die Entwicklung der Sozialsysteme in Südeuropa. Zwar hätten in Portugal, Spanien, Italien und Griechenland grundsätzlich verschiedene Ausgangsituationen vorgelegen, doch hatte die Austeritätspolitik ähnliche Effekte auf ihre wohlfahrtsstaatlichen Strukturen. So wurden in allen Ländern in erster Linie im Bereich der sozialen Sicherheit und der öffentlichen Leistungen Ausgaben massiv gekürzt, um zu einer Konsolidierung der Haushalte beizutragen. Gleichzeitig kam es zu Steuererhöhungen. Resultate waren sinkende Löhne, Arbeitslosigkeit und ein starker Anstieg der Armutsquote. Ana Guillén zeigte auch, dass die ExpertInnenregierung in Italien unter Mario Monti deutlich weniger Einschnitte in die Sozialleistungen vornahm als Länder mit politischen Parteien an der Spitze. Offensichtlich war Monti eher in der Lage der Politik der Troika Widerstand zu leisten und nicht ausschließlich im Sozialbereich zu sparen.

PETMESIDOU: Kürzungen im Gesundheitsbereich werden sich noch als Bumerang für die Haushalte entpuppen

Maria PETMESIDOU, Professorin für Sozialpolitik an der Demokrit-Universität Thrakien (Griechenland), berichtete von den Auswirkungen der Austeritätspolitik auf die Gesundheitsversorgung in Südeuropa. In Italien, Griechenland, Spanien und Portugal wurden die öffentlichen Mittel für Gesundheit nach dem Ausbruch der Krise gekürzt. Die Kosten wurden in vielen Fällen auf die Patienten übergewälzt. Gleichzeitig wurde der Zugang zu Behandlungen und Medikamenten erschwert und Krankenhauspersonal eingespart. Die Einsparungen wiederum hatten massive Auswirkungen auf die PatientInnen. In Griechenland etwa verzehnfachte sich die HIV-Infektionsrate von Drogensüchtigen aufgrund fehlender Behandlungen. Petmesidou warnte aber auch vor negativen Auswirkungen auf die Wirtschaftsleistung der betroffenen Staaten. In Folge der verschlechterten Volksgesundheit würden sich die Sparmaßnahmen als Bumerang entpuppen und die Haushalte langfristig noch stärker belasten.

MARTERBAUER: Austeritätspolitik war folgenschwerer Fehler

Markus MARTERBAUER, Leiter der Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der AK Wien, nahm den Titel der Veranstaltung zum Anlass, um darauf hinzuweisen, dass noch viele Bedrohungen und damit Einschnitte in den Wohlfahrtsstaat zu befürchten sind. Gerade in Südeuropa wurden Einschnitte im Wege von Strukturreformen durchgeführt, die z.B. zur Zerschlagung von Kollektivvertragssystemen geführt haben, die letztlich zur Auswirkung hatten, dass es zu einer eigentlich ungewollt höheren ökonomischen Volatilität kam. In diesem Zusammenhang zitierte er auch den liberalen belgischen Ökonom Paul de Grauwe, der erst vor kurzem ein Ende der Strukturreformen verlangte und sich klar für öffentliche Investitionen aussprach. Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) kam erst vor kurzem zum Schluss, so Marterbauer, dass die Austeritätspolitik ein folgenschwerer Fehler war, denn damit wurde die Verschuldungsproblematik in der Eurozone nicht gelöst, sondern sie verschlimmerte sich noch zusätzlich. Abschließend wies er auch auf die USA hin, die gerade mit Investitionen viel besser aus der Krise kam.

PINELLI: Die Austeritätspolitik kam nicht aus dem heiteren Himmel

Dino PINELLI, Senior Economist in der Generaldirektion Wirtschaft- und Finanzen der Europäischen Kommission, ging gleich auf die angesprochen Austeritätspolitik ein und gab zu bedenken, dass diese ja nicht aus dem heiteren Himmel kam. Vielmehr war sie eine Antwort zur Beruhigung der Finanzmärkte, damit sich die Mitgliedstaaten wieder finanzieren konnten. Schuld an der schlechten Situation in Südeuropa trugen auch die Staaten selber, denn sie hatten es über Jahre verabsäumt die notwendigen Reformen durchzuführen, sei es im Pensionsbereich oder bei der Finanzierung der Sozialsysteme generell. Trotzdem gestand er ein, dass es vielleicht für die Staaten Südeuropas einen nicht so schmerzhaften Weg aus der Krise gegeben hätte, die Alternativen aber nicht so leicht zu finden gewesen wären.

Weiterführende Informationen:

PowerPoint Präsentation von Ana M. GUILLÉN (nur auf Englisch verfügbar)

PowerPoint Präsentation von Maria PETMESIDOU (nur auf Englisch verfügbar)

PowerPoint Präsentation von Dino PINELLI (nur auf Englisch verfügbar)

Special Issue: Economic Crisis and Austerity in Southern Europe: Threat or Opportunity for a Sustainable Welfare State? Edited by Maria Petmesidou & Ana M. Guillén (nu auf Englisch verfügbar)

Fotos der Veranstaltung