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Am Mittwoch den 13. November stellte die Europäische Kommission ihren Jahreswachstumsbericht vor, in dem sie die wirtschaftspolitischen Prioritäten für das kommende Jahr festlegt. Gleichzeitig präsentierte sie den sogenannten Warnmechanismusreport, der einen Überblick über bestehende Ungleichgewichte in der Eurozone gibt und es der Kommission ermöglicht, gegen einzelne Länder ein Verfahren zu eröffnen. Zusammen läuten diese Veröffentlichungen das „Europäische Semester“, den Prozess der wirtschaftspolitischen Koordinierung über das gesamte nächste Jahr, ein.
Der Jahreswachstumsbericht

Der Jahreswachstumsbericht dient dazu, die wirtschaftspolitischen Prioritäten der Kommission für das jeweils kommende Jahr festzusetzen. Auch die Mitgliedsstaaten sollen sich in ihren nationalen Reformprogrammen daran orientieren. Die Kommission bewertet schließlich die Mitgliedsstaaten in ihren sogenannten „länderspezifischen Empfehlungen“ auf Grundlage des Jahreswachstumsberichtes. Obwohl der Bericht keine bindende Wirkung hat, mutet es doch eigenartig an, dass die Kommission alleine und ohne das Europäische Parlament die wirtschaftliche Strategie für die EU vorgeben kann.

Wer glaubt, dass die Kommission nach 5 Jahren der Krise und drei Jahren des Kaputtsparens nun andere wirtschaftspolitische Prioritäten setzt, der muss leider enttäuscht werden. Die Kommission machte gleich zu Beginn klar, dass man die 5 Prioritäten des vergangenen Jahres beibehalten wolle und nur Nuancen ändern werde. Die schwachen Anzeichen eines Wirtschaftswachstums deutet die Kommission als Bestätigung ihres bisherigen Weges. Dabei müsste es offensichtlich sein, dass das geringe Wachstum, das bislang ohne nennenswerte Schaffung von anständigen Beschäftigungsverhältnissen von statten geht, trotz der Sparpolitik und nicht wegen ihr begonnen hat.

Die fünf Prioritäten der Kommission sind: „Wachstumsfreundliche Haushaltskonsolidierung“, „Wiederherstellung einer normalen Kreditvergabe an die Wirtschaft“, „Förderung von Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit“, „Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“, „Modernisierung der Verwaltung“.

Liest man das Kleingedruckte, dann wird klar, dass selbst noch unter dem Deckmantel der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Angriffe auf ArbeitnehmerInnenrechte vorgeschlagen werden. Die Kommission sieht die Ursachen der Arbeitslosigkeit nicht so sehr in der größten Wirtschaftskrise seit den 1930ern, sondern bei den ArbeitnehmerInnen selbst, die ausgestattet mit zu vielen Rechten und zu hohen Löhnen den Arbeitsmarkt „rigide“ machen. Daher fordert sie konsequent eine Aufweichung dieser Rechte und moderate Lohnabschlüsse. Auch wird vorgeschlagen, die Steuerlast von Einkommen auf den Konsum zu verschieben. Auch wenn eine steuerliche Entlastung von (vor allem unteren und mittleren) Arbeitseinkommen natürlich positiv wäre, so würde eine höhere Besteuerung des Konsums die unteren Einkommensschichten nur umso härter treffen. Schließlich will die Kommission mit ihrer „REFIT“ Initiative auch Unternehmen von sogenannten „administrativen Bürden“ befreien. Dass das auch für diverse Arbeits- und Umweltsstandards eine Bedrohung ist, erklärt sich wohl von selbst.

Insgesamt zeigt sich, dass die Kommission sich wirtschaftspolitisch nicht neuorientiert, sondern auf dieselben gescheiterten Konzepte des Neoliberalismus setzt.

Der Warnmechanismus-Report und Deutschland im Fokus

Gleichzeitig mit dem Jahreswachstumsbericht wurde der Warnmechanismus-Report präsentiert. Bei diesem Bericht handelt es sich um einen Teil der seit 2011 verschärften wirtschaftspolitischen Koordinierung. Da richtig erkannt wurde, dass die Krise auch das Ergebnis starker wirtschaftlicher Ungleichgewichte zwischen und in den Mitgliedsstaaten ist, wurde ein sogenannter Scoreboard aus 11 Indikatoren eingeführt. Anhand dieser Indikatoren und darauf aufbauender Grenzwerte will die Kommission erkennen, ob Ungleichgewichte bestehen. Zu den Indikatoren zählen bspw. Leistungsbilanzüberschüsse- und defizite, die private und die öffentliche Verschuldung, und die Entwicklung der Lohnstückkosten. Werden einer oder mehrere dieser Grenzwerte überschritten, so kann die Kommission zunächst eine vertiefte Analyse des betroffenen Landes veranlassen. Kommt sie danach zum Schluss, dass ein übermäßiges Ungleichgewicht besteht, muss der Mitgliedsstaat diese Entwicklung korrigieren. Unternimmt der betroffene Staat nichts, kann auch eine Geldbuße am Ende eines solchen Prozesses stehen. Österreich, das vergangenes Jahr einer solchen Analyse unterzogen wurde, konnte bspw. dieses Jahr den Prozess wieder verlassen, nachdem die Kommission infolge der vertiefenden Analyse zu dem Schluss kam, dass trotz dem Überschreiten einiger Grenzwerte kein übermäßiges Ungleichgewicht besteht.

Mit besonderem Interesse wurde dieses Mal die Entscheidung der Kommission zu Deutschland erwartet. Deutschland wurde seit Ausbruch der Krise dafür kritisiert, dass seine aufgrund seiner Exportstärke massiven Leistungsbilanzüberschüsse der Eurozone insgesamt schaden. Verursacht, so die KritikerInnen, würden diese Ungleichgewichte durch jahrelange zu geringe Lohnsteigerungen in Deutschland. Nachdem Deutschland mit einem Leistungsbilanzüberschuss von über 6% des BIP auch heuer wieder den ohnehin schon hohen Grenzwert der Kommission überschritt, entschied sich die Kommission endlich dazu, eine vertiefende Analyse zu Deutschland anzustellen.

In der deutschen Öffentlichkeit wurde diese Entscheidung mit viel Gezeter begleitet. In der deutschen Wahrnehmung will die EU nun Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit zurückschrauben. Kommissionspräsident Barroso und Wirtschafts- und Währungskommissar Rehn bemühten sich auf der Pressekonferenz der Kommission darum, diese Sichtweise auszuräumen, und Barroso forderte gar, dass Europa mehr Deutschland brauche. Letzteres zeigt das falsche wirtschaftspolitische Verständnis der Kommission. Eine Eurozone, die nur aus Nettoexporteuren besteht, ist nicht möglich. Selbst wenn alle Staaten der Eurozone nur in Drittländer exportieren würden, dann hätte das für die Weltwirtschaft immer noch negative Auswirkungen. Nur der Kommissar für Soziales und Beschäftigung Andor nahm sich kein Blatt vor den Mund. Aus seiner Sicht seien die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse kein Zeichen von Wettbewerbsfähigkeit, sondern von mangelnden Investitionen.

Erst der kommende Bericht der Kommission wird zeigen, ob die Ungleichgewichte in der Eurozone endlich differenziert angegangen werden, oder die Defizitländer weiter zu einem fatalen und einseitigen Anpassungskurs gezwungen werden.

Weitere Informationen:

Jahreswachstumsbericht

Warnmechanismusbericht