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Am 5. November tagte der Wirtschafts- und Währungsausschuss des Europäischen Parlaments zu „Erfolgen und Fehlern in den Krisenländern“. Auf der Tagesordnung stand die Arbeit der Troika, zusammengesetzt aus Internationalem Währungsfonds (IWF), Europäischer Zentralbank (EZB) und der Kommission. Im Europäischen Parlament traf die neoliberale technokratische Ideologie der Troika auf kritische Fragen der Abgeordneten.
Sind Gewerkschaften und hohe Löhne schuld an der Krise?

Die Anhörung im Ausschuss wurde möglich durch das sogenannte Two-Pack, zwei Richtlinien, die die Economic Governance weiter vertiefen und unter anderem die Beziehung der sogenannten Programmländer zu den europäischen Institutionen regeln. Das Programm der Anhörung bestand zunächst aus kurzen Vorträgen von 4 Wirtschaftswissenschaftern, die als Sachverständige geladen waren. Danach wurden Vertreter von Kommission und EZB angehört und befragt. Nicht anwesend waren hingegen Vertreter des IWF, der zwar eine wichtige Rolle in der Troika spielt, es aber ablehnte, sich vor den direkt gewählten EU-Abgeordneten zu verantworten.

Die vier Ökonomen Paul Jorion, Fernando Fernandez, Xavier Timbeau und Gilles Saint-Paul stellten ihre Beiträge zum Zusammenhang von Bankenkrise und Schuldenkrise, sowie zu den wirtschaftlichen Entwicklungen in der Eurozone unter dem Stichwort „Wettbewerbsfähigkeit“ vor. Vor allem die letzten Beiträge von Prof. Timbeau und Gilles Saint-Paul machten deutlich, dass auch im EP wenig Platz für arbeitnehmerfreundliche ökonomische Ansätze ist. Die beiden Akademiker unterschieden sich nur bei einer Frage, nämlich wie stark die Löhne in den Krisenländern noch weiter fallen müssen.

Die ganze Verachtung für Gewerkschaften und die Situation von ArbeitnehmerInnen kam in dem Vortrag des französischen Ökonomen Saint-Paul zum Ausdruck. Nicht nur beschwerte er sich darüber, dass die bescheidenen sozialen Maßnahmen mit Mitteln der europäischen Strukturfonds und der Weltbank in Griechenland negativ seien, weil sie die „Wettbewerbsfähigkeit“ untergraben. Er zeigte auch, wie wenig Demokratie in der technokratisch neoliberalen Ideologie und in so manchem „wissenschaftlichen“ Stübchen wert ist. Saint-Paul untermauerte seine These, dass hohe Löhne und Gewerkschaften an der Krise schuld seien, mit einem bemerkenswerten und bezeichnenden historischen Beispiel. Unter Francos Diktatur in Spanien hätte es keine Arbeitslosigkeit gegeben, da die Löhne niedrig waren. Nach dem Ende dier Diktatur seien die Löhne wegen der Gewerkschaften allerdings gestiegen und als Folge liege die Arbeitslosigkeit heute bei über 20%, ließ er die etwas erstaunten Abgeordneten wissen.

Kommission und EZB unter Beschuss

Der letzte Teil des Ausschusses war dann ganz den Vertretern der Troika gewidmet. Von der Kommission war der Vize-Generaldirektor für Wirtschaft und Währung Servaas Deroose, von der EZB der Abteilungsleiter der Länderabteilung der EZB Klaus Masuch, erschienen.

Gleich zu Beginn der Anhörung stellte der österreichische Abgeordnete Otmar Karas (ÖVP) einige der wesentlichen Fragen: Welche Rolle spielen die unterschiedlichen Institutionen? Wem berichtet die Troika? Wie werden die vereinbarten Maßnahmen entwickelt? Was ist die Grundlage für die Entscheidungen der Troika? Woher rührt die Diskrepanz zwischen öffentlichen Wahrnehmung und ihrer? Welche Verbesserungsvorschläge hätten sie?
Von anderen Abgeordneten, vor allem aus den Krisenländern, wurden noch kritische Fragen zur Legitimität der Troika, aber auch zu der wirtschaftspolitischen Ausrichtung gestellt.

Die Abgeordnete der europäischen Linken Marissa Matias aus Portugal rief noch einmal die soziale Dimension der Krise und Maßnahmen der Troika in Erinnerung: Austerität sei ein großer Fehler, der zu Rekordarbeitslosigkeit geführt hat, weshalb jedes Monat tausende Menschen Portugal verlassen.

Viele Abgeordnete, wie z.B. der französische Sozialdemokrat Liem Hoang Ngoc brachten die schweren Fehler in den Wirtschaftsprognosen zur Sprache.

Die beiden Vertreter der Troika übergossen sich zunächst mit Eigenlob. Mehrmals argumentierten sie, dass die Anpassungsprogramme ohne Alternative waren, womit sie sich im Prinzip schon jeder substantiellen Debatte entzogen. Nach Sparmaßnahmen und Strukturreformen sei jetzt endlich wieder Wachstum am Ende des Tunnels zu sehen. Zugleich versuchten sie, Verantwortung abzuwälzen indem sie immer wieder betonten, dass letztendlich nicht sie für ihre Taten verantwortlich seien, sondern die Eurogruppe (also die FinanzministerInnen der Eurozone), die als Geldgeber das letzte Wort hätten. Die vor allem zu Beginn der griechischen Krise häufigen falschen Vorhersagen wurden mit der Unvorhersehbarkeit der Situation begründet. Obwohl sich die Vertreter von Kommission und EZB geduldig den Fragen und der Kritik der Abgeordneten stellten, waren sie nicht im Geringsten bereit, von ihrer politischen Linie abzuweichen. Auf die Frage, was sie heute anders machen würden, antwortete der Vertreter der Kommission, dass man wohl früher damit anfangen hätte müssen, sich auf das Senken der Löhne im privaten Sektor zu konzentrieren.

Die Anhörung im Parlament hat dafür gesorgt, dass die Troika ihre Politik jetzt auch öffentlich rechtfertigen muss. Eine Änderung der Politik ist davon noch nicht zu erwarten, aber weitere Anhörungen und Kritik werden folgen. Es bleibt zu hoffen, dass daraus zumindest eine demokratische Debatte über die richtige Wirtschaftspolitik für Europa entsteht.