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Deutliche Worte fanden kürzlich die TeilnehmerInnen einer Veranstaltung zum sozialen Wohnbau: Das gemeinnützige Wohnungswesen soll auch weiterhin Sache der Mitgliedstaaten bleiben. Unerfreulicher Anlass der vom Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss organisierten Veranstaltung sind Klagen und Entscheidungen der Europäischen Kommission, die das Modell des sozialen Wohnbaus gefährden könnten.
Bei der Veranstaltung berichteten Vertreter aus den Niederlanden, Schweden und Frankreich über Streitfälle, mit denen sie sich derzeit im sozialen Wohnbau mit der Europäischen Kommission auseinandersetzen müssten. So wird insbesondere die Einkommensschwelle kritisiert, die bei BewohnerInnen von Gemeindewohnungen zu berücksichtigen ist. Wer „zu viel verdient“ hat demnach kein Anrecht auf eine Wohnung im Rahmen des sozialen Wohnbaus. Der französische Vertreter, Thierry Bert, Vorsitzender der Vereinigung der Träger des sozialen Wohnbaus in Frankreich, kritisierte, dass weit mehr Parameter berücksichtigt werden müssten, als nur das Einkommen des Interessenten beziehungsweise Bewohners. Die Preise für Wohnungen differieren teilweise ganz erheblich, zudem seien in Frankreich die Immobilienpreise explodiert und steigen in Paris um 8 bis 9 Prozent jährlich. Auch bei einem verhältnismäßig guten Einkommen sei es oftmals schwierig, eine Wohnung am Privatmarkt zu finden.

Freek Ossel, der Alderman von Amsterdam für Wohnen und Nachbarschaften ergänzte zudem, dass es auch um die Qualität der Wohnungen gehe. Leute, die gerade über der Einkommensschwelle liegen und dadurch keinen Anspruch auf eine Gemeindewohnung haben, müssten desolate und abgewohnte Wohnungen mieten, weil sie sich normale Standardwohnungen am Privatmarkt nicht leisten könnten. Der schwedische Vertreter Kurt Eliasson führte außerdem an, dass es in Schweden Regierungssicht sei, dass der soziale Hausbau für jeden offen sein sollte und es keine Einschränkungen geben darf.

Naturgemäß anderer Meinung war Pierre de Bandt, Rechtsanwalt, der von der European Property Foundation zur Veranstaltung geschickt wurde. Der soziale Wohnbau stünde in direkter Konkurrenz zum Privatmarkt. Es gebe eine Wettbewerbsverzerrung. In den Genuss von Gemeindewohnungen sollten nur die Bedürftigsten kommen. Die Kommission mische sich auch nicht ein, wie andere RednerInnen behaupten würden, sondern sehe sich die Bedingungen an, die für den Bezug einer Gemeindewohnung gelten. Nur dort wo es Fehler bei den Voraussetzungen gebe, würde die Kommission aktiv.

Ein Vertreter aus dem Publikum, der die Stadt Wien vertrat, untermauerte jedoch die Position der Vertreter aus den Niederlanden, Schweden und Frankreich: Der soziale Wohnbau sei ein sehr wichtiger Beitrag zum sozialen Zusammenhalt. Es gebe keine Einschränkungen für Private – jeder habe die Möglichkeit eine Privatwohnung zu mieten oder zu bauen. Genauso wie der französische Vertreter kritisierte er die Einkommensschwellen. Es gebe schon in Österreich ganz erhebliche Einkommensunterschiede zwischen den Regionen, eine fixe Schwelle sei daher nicht sinnvoll. Eine Teilnehmerin aus Tschechien berichtete, dass die Wohnungen in Tschechien privatisiert worden seien. Nun sei Wohnen sehr teuer geworden und daher ein großes Problem in ihrem Land. Ähnliches ist auch in Ungarn passiert – dort wurden die Wohnungen ebenfalls privatisiert und erst jetzt entsteht wieder ein Bereich des sozialen Wohnbaus.

Barbara Steenbergen von der Internationalen Mieterallianz konfrontierte die Europäische Kommission mit einer aktuellen Eurobarometer-Umfrage. 43 % der Mieter hätten demnach per August 2012 Probleme ihre Miete zu bezahlen. 2 Jahre zuvor waren es nur 20 %. Will sich die Kommission angesichts dieser Zahlen wirklich gegen den sozialen Wohnbau stellen, fragte Steenbergen den Vertreter der Kommission bei der Veranstaltung. In den Niederlanden seien durch die Gerichtsentscheidung, die Einkommensschwelle runterzusetzen nun 650.000 Menschen an den Rand gedrängt worden. Wer mehr als 34.000 € pro Jahr verdiene, hätte keinen Anspruch. Gleichzeitig seien diese Personen aber auch vom privaten Wohnungsmarkt ausgeschlossen, weil die Mieten zu hoch seien. Steenbergen kritisierte die Kommission dafür heftig und hinterfragt, was denn das Ziel der Klagen der Kommission sei. Wolle die Kommission einen starken Anstieg der Mieten?

Der stellvertretende Generaldirektor Gert-Jan Koopman von der Generaldirektion Wettbewerb in der Europäischen Kommission zeigte sich leidenschaftslos: die Mitgliedstaaten hätten die Freiheit die Daseinsvorsorge und den sozialen Wohnbau selbst zu organisieren. Nur im Falle einer Fehlinterpretation könne sich die Kommission einschalten. Im Falle der Niederlande habe die Kommission nichts anderes gemacht, als die Schwelle, die von den Niederlanden selbst gemeldet wurde, zu akzeptieren. Ein niederländischer Vertreter konfrontierte den Kommissionsbeamten daraufhin direkt mit der Frage, ab welcher Einkommensschwelle die Kommission denn von einer Fehlinterpretation ausgehe. Darauf ging der Beamte jedoch nicht ein und meinte lediglich, dass die Niederlande ihre Regeln immer ändern könnten und die Kommission nur bei manifesten Fehlern tätig würde. Auf die nochmalige Frage des Niederländers meinte der Kommissionsbeamte jedoch bei einer Schwelle von 70.000 € würde die Kommission es wohl ablehnen. Im Übrigen müssten die Mitgliedstaaten Änderungen nicht notifizieren. Dennoch kämen die Mitgliedstaaten zur Kommission, um zu erfahren, ob ihre Regeln in Ordnung sind.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss wird eine Stellungnahme zum sozialen Wohnbau verfassen. Berichterstatter Raymond Hencks unterstrich am Ende der Veranstaltung, dass das Protokoll Nr. 26 des Lissabonner Vertrags gelte, der den Mitgliedstaaten einen weiten Ermessensspielraum bei Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse gibt. Der Markt habe im Wohnsektor versagt, viele hätten Probleme eine vernünftige Wohnung zu bekommen. Es müsse Wohnraum zu erschwinglichen Preisen geben.

Auch wenn kein Legislativvorschlag seitens der Kommission zum sozialen Wohnbau zu erwarten ist, müssen die jüngsten Entwicklungen genau verfolgt und kritisch hinterfragt werden. Die Kommission muss sich bewusst sein, dass sie sich mit Entscheidungen wie im Niederländischen Fall kaum Freunde machen wird und Länder und Kommunen gegen eine derartige Gangart Sturm laufen werden.