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Die Geduld von Europäischer Kommission und dem Europäischen Parlament mit dem Rat und deren Krisenmanagement dürfte ziemlich erschöpft sein. Sowohl EU-Kommissionspräsident Barroso als auch die meisten EU-Abgeordneten reagieren zunehmend ungehalten auf die Nacht und Nebel-Aktionen des Rates im Rahmen der Krisenbewältigung auf EU-Ebene. Barroso hat es offensichtlich satt, dass Kommission und Europäisches Parlament in letzter Zeit von den VertreterInnen des Rates zur Seite geschoben wird. Die EU-Abgeordneten wiederum wollen nicht zusehen, wie die Europäische Union von den RatsvertreterInnen an die Wand gefahren wird und fordern vom Europäischen Rat, sich endlich den wesentlichen Fragen zum Krisenmanagement zuzuwenden.
Eigentlich hätte sich die Aussprache des Europäischen Parlaments mit der Kommission und dem Rat auf den nächsten EU-Haushaltsrahmen konzentrieren sollen. Tatsächlich nutzten sowohl Kommission als auch EU-Abgeordnete die Gelegenheit, um ihren Unmut über das Verhalten des Rates gegenüber den beiden anderen EU-Institutionen Luft zu machen.

Barroso: Ohne Beteiligung des Europäischen Parlaments wollen wir nicht mehr weitermachen

EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso hob zwar eingangs hervor wie wichtig die bisher getroffenen Maßnahmen zur Bewältigung der EU-Krise seien. Auf der Beschäftigungsseite stünde man aber vor einer gewaltigen Herausforderung. Im Europäischen Sozialfonds seien Maßnahmen enthalten, die sich der Jugendbeschäftigung annehmen sollen, so der Kommissionspräsident. Ebenso müsse die steigende Armut bekämpft werden. Im zweiten Teil seiner Rede wurde Barroso deutlicher: Ein interinstitutionelles Abkommen zum Wachstum müsse abgeschlossen werden und zwar angesichts der Dringlichkeit sehr rasch. Es müssten hier Schlüsselentscheidungen getroffen, eine starke Botschaft nach außen gesendet werden. Ganz wesentlich sei bei der Wachstumsinitiative die Beteiligung des Europäischen Parlaments – „ohne dem geht es nicht und ohne dem will die Kommission nicht mehr weitermachen“, so Kommissionspräsident Barroso überraschend kämpferisch.

Auch über die Ratsverhandlungen über den mehrjährigen EU-Finanzrahmen ab 2014 zeigte sich der Kommissionspräsident wenig erfreut. Eine rasche Verabschiedung des nächsten Haushaltsrahmens sei im Sinne des Wachstums dringend nötig. Einige Mitgliedstaaten betrachten den EU-Haushalt aber als Extravaganz und wollen den Rahmen um 100 Mrd. € kürzen – das sei falsch, gerade jetzt seien Mittel für Wachstum und Beschäftigung dringend notwendig. Das zeigen auch Zahlen aus dem Jahr 2009: In Ungarn seien in diesem Jahr 97 % der öffentlichen Investitionen EU-Gelder gewesen, 78 % in Litauen, in Polen mehr als 50 %, in vielen anderen Ländern sei es ähnlich gewesen. Wie würde es ohne EU-Budget in diesen Staaten aussehen, stellte der Kommissionspräsident eine rethorische Frage. Neue Eigenmittel wie die Finanztransaktionssteuer würden die Position des EU-Budgets verbessern und die Mitgliedstaaten entlasten.

Zur allgemeinen wirtschaftlichen Lage erwähnte Barroso zudem, dass eine Bankenunion notwendig sei, die aber auch mit einer Finanzunion einhergehen müsse. Auch in der Steuerpolitik sei mehr Koordination nötig.

EU-Abgeordneter Daul ermahnt seine ParteikollegInnen im Europäischen Rat

Ein überraschendes Statement gab der Fraktionsführer der Europäischen Volkspartei, Joseph Daul ab: Der Europäische Rat müsse sich endlich den wesentlichen Problemen zuwenden und nicht nur einzelne Hilfsaktionen beschließen. Das gelte insbesondere für die VertreterInnen seiner eigenen Partei, der Europäischen Volkspartei. In den letzten 60 Jahren hatte Europa mit der Gemeinschaftsmethode für Frieden und Wohlstand gesorgt, so Daul. Wir wollen ein Sozial- und Fiskalmodell. Am 28. und 29. Juni beim Europäischen Rat müssten sich die Staats- und Regierungschefs für eine Integration entscheiden, die wirklich funktioniert. Feuerwehraktionen für einzelne Mitgliedstaaten reichten hier nicht aus. Es solle nicht wieder zu wenig und zu spät agiert werden – „wir wollen nicht gegen die Wand fahren“, so Daul in einem dramatischen Appell an den Rat. Der Fraktionsführer der Europäischen Volkspartei machte weiters deutlich, dass sich das Europäische Parlament deutlich äußern werde, sollte sich der Europäische Rat den wesentlichen Fragen wieder nicht zuwenden sollte.

Der Präsident des Europäischen Parlaments müsse in den Gremien des Rates mitvertreten sein und nicht jedes Mal, wenn es um Schlüsselfragen geht den Saal verlassen müssen. Es gehe nicht an, dass der Präsident der Europäischen Zentralbank voll eingebunden sei, der EP-Präsident jedoch nicht, so die heftige Kritik Dauls.

EU-Abgeordneter Hannes Swoboda: Eine Wachstumsinitiative muss auch Substanz haben

Überrascht von den Aussagen war auch der Präsident der Sozialisten und Demokraten im Europäischen Parlament, Hannes Swoboda. Er hoffe, dass Daul für die gesamte Europäische Volkspartei spreche und dass es nicht nur seine Meinung sei. Seinen Applaus für Dauls Rede habe er jedenfalls. Ein interinstitutionelles Abkommen für Wachstum wie von Barroso vorgeschlagen, sei zwar gut, es müsse aber auch Substanz haben. Was soll man den Jugendlichen sagen, die keinen Job haben? Man müsse das Schuldenproblem gemeinsam lösen, es fehle aber leider der Mut dazu.

Das EU-Budget ist für Swoboda ein Element der Wachstumsstrategie. Daher wäre es auch unsinnig den EU-Haushalt zu kürzen, denn er bringe mehr Wachstumspotential als manche nationale Haushalte. Er spreche sich auch für hohe Effizienz aus, aber Mittel für Kohäsion und Infrastruktur seien nötig. Das EU-Budget habe ohnehin nur ein sehr geringes Volumen. Wenn es aber keine Einigung mit dem Rat gebe, dann werde der (höhere) laufende EU-Finanzrahmen einfach fortgeschrieben, gibt sich Hannes Swoboda gelassen. Das Europäische Parlament könnte damit leben, er hofft das sei beim Rat ebenfalls so.

EU-Abgeordneter Verhofstadt verlangt von der Kommission rasch Legislativvorschläge

Der liberale Sprecher Guy Verhofstadt meinte er könne zu Vorredner Daul nicht viel hinzufügen. Er ermahnte den Rat jedoch, dass Entscheidungen wie die Bankenunion und eine Fiskalunion mit einem Schuldentilgungsfonds jetzt getroffen werden müssten. Die Kommission müsse Legislativvorschläge dazu veröffentlichen. Eine systemische Lösung sei notwendig, nicht einzelne Unterstützungsmaßnahmen. Es bleibe nicht die Zeit wieder auf Wahlen in irgendeinem Mitgliedstaat zu warten. Zum EU-Haushalt meinte Verhofstadt, dass in jedem Land der Welt das Parlament bei den Eigenmitteln im Budget mitentscheide nur das Europäische Parlament nicht. Er fordert ein Mitspracherecht und drohte anschließend dem Rat, dass seine Fraktion den mehrjährigen Finanzrahmen ablehnen werde, sollten keine Eigenmittel im EU-Haushalt vorgesehen sein.

Die einzigen Fraktionen, die sich gegen die Meinungen von Daul, Swoboda und Verhofstadt stellten, waren die von den BritInnen dominierte Europäische Konservative Fraktion und die Fraktion Europa der Freiheit und Demokratie. Sie sehen Europa vor der nächsten schweren Krise und den Euro vor dem Scheitern. Beim EU-Budget gebe es darüber hinaus Missmanagement, Verschwendung und Betrug. Sie wollen nicht noch mehr „schlecht ausgegebenes“ Geld.

In rund 2 Wochen wird sich herausstellen, ob die Staats- und Regierungschefs die Kritik von Kommission und Europäischem Parlament ernst nehmen. Sollte es beim Europäischen Rat wieder nur bei Einzelmaßnahmen bleiben, droht der Geduldsfaden von Kommission und Parlament dann endgültig zu reißen.