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Anfang dieses Jahres war die Welt für die Europäische Kommission noch in Ordnung: ACTA, das Abkommen zur Abwehr von Fälschungen, wurde im Januar von der Kommission sowie von 22 der 27 EU-Mitgliedstaaten in Tokio unterzeichnet. Dass das Abkommen bei der Bevölkerung einen Sturm der Entrüstung auslösen würde, damit rechneten weder Kommission noch Mitgliedstaaten. Eine Reihe von EU-Mitgliedsländern machte daraufhin einen Rückzieher. EU-Handelskommissar De Gucht kündigte im Februar widerstrebend an, das Abkommen vom Europäischen Gerichtshof prüfen zu lassen. Auch das Europäische Parlament steht auf der Bremse: ACTA wird vom Europäischen Hohen Haus voraussichtlich abgelehnt werden.
De Gucht war mit der Entscheidung, ACTA zur Prüfung an den Europäischen Gerichtshof zu übermitteln, dem Europäischen Parlament zuvor gekommen, das bereits gefordert hatte, das Abkommen auf die Kompatibilität mit dem EU-Recht prüfen zu lassen. Seit Inkrafttreten des neuen EU-Vertrags muss das Europäische Parlament Handelsabkommen zustimmen, eine neue Bestimmung, an die sich insbesondere die Europäische Kommission offensichtlich erst gewöhnen muss.

In einer Aussprache zu ACTA im Handelsausschuss stellte der federführende Berichterstatter David Martin von den Sozialisten & Demokraten ganz klar fest: Er empfiehlt, die Zustimmung zu ACTA zu verweigern. Es solle einen Wettbewerb mit Kreativität und geistigem Eigentum geben und der Schutz des geistigen Eigentums sollte hochgehalten werden. Jedoch stelle sich die Frage, ob ACTA diesen Schutz gewährleisten könne. Er denkt, dass dies nicht der Fall sei, denn ACTA vermische Äpfel mit Birnen. Es sind Dinge in dem Text enthalten, so Martin, die nicht in das Abkommen passen. Ein gewerbliches Ausmaß sei sicher nicht gegeben, wenn man sich einen Film aus dem Internet herunterlade und ansehe, und das andere eventuell auch tun. Zudem seien die beiden im Zusammenhang mit Fälschungen ganz wesentlichen Länder China und Indien bei dem Abkommen nicht dabei. Martin wünscht sich ein Abkommen, das sich global anwenden lässt. Ein deutscher Fraktionskollege unterstrich: ACTA bringt mehr Probleme als Lösungen. In Deutschland habe sich eine Abmahnindustrie entwickelt, wo Teenager mit Abmahnstrafen von 100.000 € belegt werden, weil sie ein Foto auf Facebook gestellt haben, das sie im Internet gesehen haben. So etwas könne nicht angehen.

Zurückhaltend äußerte sich der für die Europäische Volkspartei zuständige EU-Abg. Fjellner: Wie sollen Arbeitsplätze geschützt, wie Medikamente oder Kunst gesichert werden? Mit der Vernichtung von ACTA kommen wir nicht weiter, meint Fjellner. Aus Sicht der Europäischen Volkspartei wäre es besser, die Verhandlungen weiter zu führen. Insbesondere zwei Punkte gebe es bei ACTA, die noch besprochen werden müssten: Gewerbliches Ausmaß sowie die Bedingungen, die jemand außerhalb der EU erfüllen müsste, um unter ACTA zu fallen, müssten besser definiert werden. Es sei besser, ACTA zu reparieren als es abzulehnen.

Zu einer Entscheidung dürfte es bei ACTA auch bei den Liberalen gekommen sein. Der Fraktionssprecher für dieses Thema EU-Abg. Rinaldi berichtete, dass die Liberalen die Meinung von Berichterstatter Martin unterstützen. Er bittet die Europäische Kommission darum, das Abkommen zurückzuziehen. Die Kommission solle sich ein neues Mandat für sektorielle Abkommen holen, um die Produktpiraterie zu verbieten.
Ähnlich zurückhaltend wie Fjellner äußerte sich auch EU-Abg. Campbell Bannerman von den Europäischen Konservativen: Alle wollten einen Schutz gegen Markenpiraterie. Der Teufel stecke aber im Detail. Er gebe aber zu bedenken, was bei einer Ablehnung von ACTA passiere – ist es dann tot? Wenn die EU ACTA ablehne und die anderen Länder unterzeichnen – würde dies dazu führen, dass kreative Menschen aus der Europäischen Union wegziehen?

Die Grüne EU-Abg. Andersdotter betonte, dass ihre Fraktion immer davor gewarnt habe, dass die Verhandlungen in die falsche Richtung gehen. Eine Überarbeitung des Abkommens sei jedenfalls nötig.

Der stellvertretende Generaldirektor der Generaldirektion Handel in der Kommission Aguiar Machado war um eine Beruhigung in Sachen ACTA bemüht. Bei dem Abkommen gehe es um das größer werdende Problem der Verletzung der Eigentumsrechte in Europa. Der verursachte Schaden sei groß. ACTA werde keine Zensur für das Internet darstellen. Die Haupterrungenschaft von ACTA war, dass es für das europäische System maßgeschneidert sei, es seien keine Änderungen im EU-Recht notwendig. Der einfache Verbraucher werde auch nicht vor den Kadi gezerrt werden. ACTA wird laut Machado in der Europäischen Union nicht direkt anwendbar sein. Die einzigen Bestimmungen, die Anwendung fänden, würden auch heute schon angewendet. Es gehe bei ACTA nicht um Urheberrechtsbestimmungen, sondern um die Umsetzung der Bestimmungen. Der Europäische Gerichtshof werde nun darüber befinden, ob ACTA eine Gefährdung der Europäischen Grundrechte darstelle.

Die Abstimmung im EP-Handelsausschuss über ACTA soll nun im Juni stattfinden. Voraussichtlich im Juli wird das Europäische Parlament seine Entscheidung im Plenum treffen.