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Die Europäische Union befindet sich in der schwersten Krise ihrer Geschichte. Doch es handelt sich nicht nur um eine Krise der Finanzmärkte und der Wirtschaft, sondern auch des Vertrauens der BürgerInnen in die politischen Institutionen auf nationaler und EU-Ebene und ihre Fähigkeit, Lösungen zu den drängenden Fragen zu finden. Bei einer vom Europäischen Bürgerbeauftragten organisierten Diskussionsveranstaltung im EU-Parlament bezogen Kommissionspräsident Barroso, EU-Parlamentspräsident Schulz und die dänische Premierministerin Thorning-Schmidt Stellung dazu, wie das Vertrauen in die europäische Integration wiederhergestellt werden könnte.
BürgerInnen in vielen Mitgliedstaaten der EU verlieren ihr Vertrauen, meinte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso zu Beginn der Veranstaltung. Doch das Vertrauen schwinde womöglich nicht nur in Bezug auf Europa, sondern bezüglich politischer und finanzieller Eliten im Allgemeinen. Die Kluft zwischen EntscheidungsträgerInnen und BürgerInnen werde größer, BürgerInnen wüssten oftmals nicht, wie politische Entscheidungen zustande kommen. Eine stärkere Europäische Union sei notwendig, mahnte Barroso ein, jedoch nicht um mehr Macht nach Brüssel zu verlagern, sondern da es in Zeiten der Globalisierung unvermeidbar sei, ein hohes Maß an Integration etwa durch die gemeinsame Währung zu bewahren. Um Vertrauen wiederherzustellen, müsse klargemacht werden, dass Europa nicht nur aus Brüssel bestehe, sondern aus allen EuropäerInnen. Führungsstärke müsse von den EU-Institutionen gezeigt werden, aber diese könnten nationale Regierungen, Parlamente und im Besonderen gesellschaftliche Akteure wie Sozialpartner oder Universitäten in ihrem Engagement für Demokratie nicht ersetzen.

EU braucht Vertrauen der BürgerInnen, nicht nur der Märkte


Nicht nur die BesucherInnen der Veranstaltung, auch zahlreiche Internet-UserInnen meldeten sich über Twitter mit Fragen und Kommentaren zu Wort. Es entstehe der Eindruck, die Märkte stehen in der EU an erster Stelle, und nicht die BürgerInnen, lautete ein Kommentar. Dem entgegnete Barroso, dass für die EU die BürgerInnen die oberste Priorität ausmachen, was etwa durch das kürzlich vorgestellte Beschäftigungspaket bewiesen wurde. Es sei wichtig zu sehen, dass nicht die EU die gegenwärtige Krise verursacht habe, sondern unverantwortliches Handeln einiger Regierungen und der Finanzmärkte.

Auch in der tiefsten Krise sei die europäische Integration ein Geschenk, doch es werde zu wenig wertgeschätzt, meinte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. Für das Vertrauen in die EU-Institutionen sei problematisch, dass immer mehr Souveränität nach Europa übertragen werde, jedoch ohne Gewaltenteilung, den Rahmen von Souveränität auf der nationalen Ebene. Schulz gab zu bedenken, dass internationale Herausforderungen wie Umweltprobleme, Währungsspekulationen, Steuerflucht und globale Migrationsbewegungen nicht im nationalstaatlichen Rahmen bewältigt werden können. Europa werde nur dann bestehen, wenn es sich nicht zu Tode spart, mahnte der Sozialdemokrat. Wir bräuchten zwar Haushaltsdisziplin, aber kein Kaputtsparen. Auch die Jugendarbeitslosigkeit, von der in manchen Mitgliedstaaten bereits jeder zweite Jugendliche betroffen ist, bedroht das Vertrauen in die EU gravierend. Schulz meinte, er habe Verständnis, wenn BürgerInnen der EU vorwerfen, sie habe 500 Milliarden Euro zur Rettung der Banken zur Verfügung, aber nicht eine Milliarde Euro, um die Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen. An die Regierungschefs richtete Schulz den Appell, dass die Europäische Union nur so stark sein könne, wie die Mitgliedstaaten sie stark sein lassen wollen.

Helle Thorning-Schmidt, dänische Premierministerin und Präsidentin der rotierenden Ratspräsidentschaft, erinnerte daran, dass das Vertrauen der Öffentlichkeit wesentlich ist, um den EU-Institutionen Legitimität zu verleihen. Die Antwort auf die Krise müsse sein, konkrete Ergebnisse vorzulegen, die das Leben der Menschen direkt betreffen. Thorning-Schmidt sprach sich dafür aus, Wachstum in Europa durch eine Wiederbelebung des Binnenmarkts zu erzielen, in dem immer noch ein großes ungenutztes Potenzial stecke. Zur Kritik an der gegenwärtigen Austeritätspolitik meinte die dänische Premierministerin, nicht die EU würde die Sparpolitik vorantreiben. Vielmehr seien Kürzungen notwendig, da einige Länder mehr Geld ausgegeben hätten, als sie können. Bezüglich der Aufforderung, den Zugang zu Dokumenten von Treffen des Rats der EU auszuweiten, sagte Thorning-Schmidt, es werde immer geheime Sitzungen geben und es sei nicht fair zu verlangen, alle Ratstreffen sollten öffentlich stattfinden. Eine Meinung, der sich Schulz nicht anschloss: Tatsächlich geheim zu haltende Sachverhalte, wie sensible diplomatische Themen, sollten geheim bleiben. Diskussionen über die EU-Gesetzgebung im Rat sollten jedoch öffentlich stattfinden, damit BürgerInnen einsehen können, welche Regierungen wofür stehen und welche bestimmte Vorhaben blockieren, so Schulz.

Auf die Bedeutung der kürzlich eingeführten Europäischen Bürgerinitiative zur Erhöhung der Beteiligung der BürgerInnen verwies der Europäische Bürgerbeauftragte P. Nikiforos Diamandouros. Der öffentliche Dienst der EU sei sehr kompetent, ursprünglich sei er aber in erster Linie auf die Administration und weniger auf Dienstleistung für BürgerInnen ausgerichtet gewesen. Daher müsse die EU-Verwaltung ermutigt werden, ihren Fokus stärker auf die BürgerInnen zu lenken.