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Die Steuerpolitik im gemeinsamen Währungsraum stand im Mittelpunkt der Vorträge und Diskussionen des Brüsseler Steuerforums 2012. Angesichts der Krisenphänomene stellt sich verstärkt die Frage, welchen Beitrag die Steuerpolitik zur Belebung von Wachstum und Beschäftigung leisten kann. Besonders eine Umschichtung der Steuern von Arbeit zu weniger verzerrenden Steuerarten wurde dabei diskutiert. Auch Möglichkeiten einer verstärkten Steuerkoordinierung standen auf dem Programm.
Die Einstimmigkeitsregel in Steuerfragen und konstante Interessenkonflikte haben schon bisher ambitionierte Ideen einer weitreichenden Steuerkoordinierung rasch im Keim erstickt. EU-Steuerkommissar Algirdas Šemeta zeigte sich beim diesjährigen Brüsseler Steuerforum aber überzeugt, dass die Krise die Einstellungen der Mitgliedstaaten zu Steuerpolitik geändert habe, Steuerentscheidungen könnten nicht mehr auf nationaler Ebene isoliert von anderen europäischen Ländern getroffen werden.

Einen entscheidenden und oftmals übersehenen Punkt brachte André Sapir, Ökonom an der Université Libre de Bruxelles, in die Diskussion ein. Nicht nur öffentliche Schulden haben die derzeitige Krise verursacht, ebenso wenig liege die Schuld ausschließlich bei den sogenannten GIIPS-Ländern (Griechenland, Irland, Italien, Portugal und Spanien). Vielmehr sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass es systemische Probleme in der Währungsunion gab, die lange ignoriert wurden. So hat es etwa vor der Einführung des Euro keinen gemeinsamen Stabilisierungsmechanismus gegeben. Vor der Euro-Einführung hatten die GIIPS-Länder keineswegs chronisch hohe Leistungsbilanzdefizite, nach höheren Defiziten konnten sie diese traditionell durch Abwertung ihrer Währungen ausgleichen, so Sapir. Dieses Mittel steht im gemeinsamen Währungsraum nun freilich nicht mehr zur Verfügung. Nach der Euro-Einführung wiesen die GIIPS-Länder hohe Leistungsbilanzdefizite auf- im Gegensatz zu den stark gestiegenen Überschüssen Deutschlands und anderer nördlicher Länder. Der kürzlich unterzeichnete EU-Fiskalpakt werde die Krise nicht lösen und darüber hinaus die Vorstellung noch verstärken, dass das Problem nur in exzessiven öffentlichen Schulden bestünde, was Wettbewerbsfähigkeit und private Schulden außer Acht lasse.

Einen breiten Bogen über die steuerpolitischen Trends der Nachkriegszeit spannte Vito Tanzi, ehemaliger Direktor der Abteilung Öffentliche Finanzen des Internationalen Währungsfonds (IWF). Nach der Erfahrung mit wirtschaftlicher Stagnation und hoher Inflation in den 1970er Jahren setzte die Revolution der angebotsseitigen Ökonomie ein, die für niedrige Steuersätze und einen Rückzug des Staats auf seine Kernaufgaben eintrat. Durch den mit der wirtschaftlichen Globalisierung einsetzenden Steuerwettbewerb zwischen Staaten kam es zu Problemen in der Ausgewogenheit von Steuersystemen: Nationalstaaten unterschieden zunehmend zwischen der Besteuerung von mobilem Kapital, das immer geringer besteuert wurde, und anderen Steuerquellen, die eine größere Last tragen sollten. Während auf der internationalen Ebene eine Reihe von wichtigen Organisationen geschaffen wurden, fehle aber nach wie vor eine internationale Steuerorganisation, die sich darum kümmern könnte, den unfairen Steuerwettbewerb einzudämmen.

Mit der Frage, wie Steuerpolitik zu mehr Wettbewerbsfähigkeit beitragen kann, setzte sich Ruud de Mooij vom IWF auseinander. Sein Patentrezept: die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung sollten gesenkt und im Gegenzug die Mehrwertsteuer erhöht werden, was zumindest seiner Meinung nach kurzfristig die Nettoexporte in die Höhe schnellen lassen soll. Was de Mooij allerdings nicht bedacht haben dürfte: Die Sozialversicherungsbeiträge der ArbeitnehmerInnen unangetastet zu lassen und ihnen gleichzeitig eine höhere Mehrwertsteuer aufzubrummen, macht auch makroökonomisch keinen Sinn. Dies würde lediglich für weniger Kaufkraft vor allem bei NiedrigverdienerInnen sorgen, was wohl kaum zu dem dringend benötigten Wachstumsschub beitragen wird.

Auch EU-Beschäftigungskommissar Andor spricht sich für eine Verringerung der steuerlichen Belastung des Faktors Arbeit aus. Das könnte laut dem Kommissar helfen, die derzeit enorm hohe Arbeitslosenrate von 10,7% beziehungsweise 24,3 Millionen Unbeschäftigten zu reduzieren. Eine Reduzierung der Einkommensteuerbelastung hätte außerdem positive Effekte auf den Konsum. Insbesondere bei den NiedrigverdienerInnen sei wegen der relativen höheren Konsumrate mit positiven Auswirkungen zu rechnen.