Nachrichten

Zurück
Die fehlende Offenheit der Verhandlungen zum Anti-Piraterie-Handelsabkommen ACTA (Anti-Counterfeiting Trade Agreement), die für heftige Kritik sorgte, soll nun einer Transparenzoffensive des Europäischen Parlaments weichen. Unter reger Beteiligung interessierter BürgerInnen präsentierten EU-Handelskommissar Karel De Gucht und ExpertInnen in einem Workshop am 1. März ihre Einschätzungen bezüglich der Folgen des umstrittenen Abkommens. Die vagen Bestimmungen des Vertragstexts bereiten nach wie vor vielen ExpertInnen Sorge.
Der Druck einer breiten Öffentlichkeit, die fürchtet, die unklaren Formulierungen des Anti-Piraterieabkommens ACTA könnten Tür und Tor für die Beschränkung der Freiheit von Internet-UserInnen öffnen, war offenbar zu groß geworden. Am 22. Februar hatte EU-Handelskommissar Karel De Gucht vorgeschlagen, die Vereinbarkeit des Abkommens mit den EU-Grundrechten und -freiheiten durch den Gerichtshof der EU prüfen zu lassen. Dennoch zeigt sich der Kommissar beim ACTA-Workshop von dem Abkommen überzeugt. Der Erfolg der europäischen Kreativindustrien hänge von der Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte ab. Einmal mehr betonte De Gucht, das derzeit geltende Urheberrecht in der EU müsse durch ACTA nicht geändert werden, die Teilnahme an ACTA solle lediglich sicherstellen, dass es auch außerhalb Europas durchgesetzt werden kann. Sorgen in der Bevölkerung, ACTA könnte die Meinungsfreiheit im Internet beeinträchtigen, weist De Gucht zurück: „ACTA ist kein Angriff auf Ihre Freiheit, sondern eine Verteidigung Ihres Wohlstands.“

Kritik an mangelnder Transparenz und unklaren Bestimmungen

Deutlich kritischer wurde das umstrittene Abkommen von einigen der eingeladenen ExpertInnen bewertet. So sei der Schaden, den ACTA bewirkt, wesentlich größer als dessen Nutzen, meinte Martin Geist von der University of Ottawa. Den ACTA-Verhandlungen könne mangelnde Transparenz vorgeworfen werden, was schwerwiegenden Schaden am Vertrauen der Bevölkerung nach sich ziehe. Problematisch sei auch, dass mit Abkommen wie ACTA versucht werde, multilaterale Foren wie die Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) zu umgehen. Für die Beziehungen zu den Entwicklungsländern bedeute ACTA einen Rückschritt, da die Industriestaaten den Ländern des Südens keine Zugeständnisse wie den Zugang zu Bildung und Medikamenten gewährten, um sie ins Boot zu holen. Sollte ACTA in Kraft treten, könnten Entwicklungsländer künftig gedrängt werden, einem Abkommen beizutreten, auf deren Entstehung sie keinen Einfluss hatten. Auch warnt Geist davor, dass die ACTA-Vertragsparteien in der Praxis flexible Bestimmungen als verbindliche Regeln auslegen könnten. So sind die teilnehmenden Länder nicht gezwungen, Internetprovider zu verpflichten, Informationen über ihre UserInnen preiszugeben, aber es werde wohl massiven Druck auf Staaten geben, diese Bestimmungen als verbindlich zu interpretieren.

Christophe Geiger von der Universität Strassburg meint, die EU-Mitgliedstaaten sollten genau prüfen, wie sich ACTA auf ihre nationalen strafrechtlichen Regelungen zu geistigem Eigentum auswirkt. Da der Text des Abkommens viele vage Bestimmungen enthält, müssten Erläuterungen im Anhang aufgenommen werden, sollte die EU das Abkommen annehmen. Wissenschaftliche Expertise trugen auch zwei der Autoren einer Studie bei, die vom EU-Parlament in Auftrag gegeben wurde. Anselm Kamperman Sanders und Dalindyebo Shabalala von der Universität Maastricht kamen zum Schluss, dass der Vertragstext keine massive Verschiebung des EU-Rechtsstands darstellt, allerdings gebe es keine Garantie, dass die Umsetzung mit derzeit geltendem EU-Recht konform sein werde. Auch seien keine großen Auswirkungen auf die Innovations- oder Wettbewerbsfähigkeit der Union zu erwarten, und der Vertragstext sei vorteilhafter für Rechteinhaber als das TRIPS-Abkommen. Angesichts einiger unklarer Bestimmungen empfehlen die Studienautoren den EU-ParlamentarierInnen, ACTA nicht vorbehaltlos zuzustimmen. Der ACTA-Berichterstatter im Handelsausschuss David Martin (S&D) spricht sich dafür aus, dass das Parlament eine eigene Fragestellung zu den offenen Punkten an den EuGH richten soll.

Weiterführende Informationen:

Studie „The Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA): An Assessment“ (englisch)