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Diese Woche fand im Europäischen Parlament eine öffentliche Anhörung über die geplanten neuen Regeln für Ratingagenturen statt. Während die Agenturen nach Belieben ihren Daumen heben oder senken und damit schon angeschlagene Länder noch tiefer in den Abgrund reißen, zeigten sich einige Euro-Parlamentarier überraschend nachsichtig mit ihnen.
Ratingagenturen bisher ohne jegliche öffentliche Aufsicht

Der Wirtschafts- und Währungsausschuss des Europäischen Parlaments hatte ExpertInnen eingeladen, den ParlamentarierInnen ihre Bewertung des im November vorgelegten Vorschlags der Kommission darzustellen. Es handelt sich dabei um den dritten Anlauf der Kommission, dem bisher ungeregelten Treiben der Ratingagenturen Grenzen zu setzen. Die zwei vorangegangenen Vorschläge der Kommission hatten sich lediglich auf Formalien wie die Vorschrift, dass Ratingagenturen sich in der EU registrieren lassen müssen, beschränkt. Die Ratingagenturen, von denen 3 hauptsächlich von der Wall Steet kontrollierte Unternehmen nahezu 90% des weltweiten Geschäfts mit Ratings kontrollieren, zeigten sich unbeeindruckt.

Kommission präsentiert verwässerten Vorschlag


Im November des letzten Jahres legte der französische Kommissar Michel Barnier dann nach. Er präsentierte einen umfassenden Vorschlag, der viele der gegenwärtigen Probleme mit den Agenturen in den Griff bekommen sollte. Allerdings mit einem dicken Wermutstropfen: Zwei ursprünglich geplante Kernvorhaben, nämlich das Verbot für die ohnehin marktbeherrschenden Riesen, kleinere Agenturen aufzukaufen, und das Verbot von Ratings für Länder, die in finanziellen Schwierigkeiten stecken, konnte der Franzose nicht einmal bei seinen KommissionskollegInnen durchsetzen. Sie wurden ersatzlos gestrichen. Auch von der Etablierung einer Europäischen Ratingagentur als Gegengewicht zu den US-amerikanisch dominierten Agenturen ist im Vorschlag der Kommission nichts zu lesen.

Das Europäische Parlament ist jetzt am Zug

Der Entwurf der Kommission muss jetzt gemäß den geltenden EU-Regeln vom Europäischen Parlament und den Mitgliedstaaten im Mitentscheidungsverfahren diskutiert werden. Änderungen am Entwurf der Kommission sind dabei möglich, wenn sich alle einig werden können. Vor diesem Hintergrund fand auch die Anhörung im Europäischen Parlament statt. Die Abgeordneten wollten sich einen Einblick verschaffen, bevor es in die heiße Phase der Verhandlungen geht, die bis in den Frühsommer abgeschlossen sein sollen.

Europäische Aufsichtsbehörde: Uns fehlen die Ressourcen!

Verena Ross, die Chefin der neu eingerichteten europäischen Aufsichtsbehörde ESMA, die auch für die Überwachung von Ratingagenturen zuständig ist, äußerte sich grundsätzlich positiv zum Vorschlag der Kommission. Allerdings übte sie Bedenken, ob ihre Behörde die notwendige Muskelkraft und die Ressourcen hat, um die Bewertungsmodelle der Ratingagenturen zu überprüfen und notfalls auch zu beanstanden. Die Agenturen bewerten Unternehmen und Staaten mit mathematischen Modellen, die sie bislang strikt geheim gehalten haben. Für die Außenwelt ist es deshalb nicht möglich, nachzuvollziehen, inwieweit die Bewertungen der Agenturen auf objektiven Kriterien beruhen. Der Vorschlag der Kommission will das ändern, indem die Agenturen ihre Modelle offenlegen müssen und die ESMA diese Modelle überprüfen soll.

Bezug zu Ratings muss aus allen Gesetzen raus


Ein weiteres grundlegendes Problem, das von vielen der eingeladenen ExpertInnen, so auch dem französischen Ökonomen Norbert Gaillard, bemängelt wurde, ist der durchgängige Bezug und Verweis auf Ratings in einer Vielzahl von nationalen und europäischen Gesetzen bis hin zu Regulativen der Europäischen Zentralbank. Dadurch wurde den Bewertungen der Agenturen, die eigentlich für sich in Anspruch nehmen, nur Meinungsäußerungen zu veröffentlichen, von der Politik ein quasi-rechtlicher Status verliehen. Gaillard sprach sich dafür aus, dass Banken, Versicherungen und Pensionsfonds selbst dafür verantwortlich sein müssen, das Risiko einer Geldanlage zu bewerten, anstatt blindlings und automatisch den Ratings der Agenturen zu folgen. Gaillard forderte außerdem eine verpflichtende Veröffentlichung der Fehler- und Trefferquoten der Agenturen.

Ratingagenturen sollten ein Interesse am Überleben von Unternehmen und Staaten haben

Einen vielsagenden Einblick auf kulturelle Unterschiede gab Makoto Utsumi, Präsident der japanischen Ratingagentur JCRA. In Japan hätten die US-dominierten Großen 3 nicht viel zu lachen, 80% der japanischen Staatsanleihen würden von japanischen Agenturen bewertet. Auch Europa sollte eine eigene Ratingagentur haben, die die kulturellen und sozialen Gegebenheiten besser berücksichtigen könne. Generell vertrat er die Ansicht, dass Ratingagenturen, auch wenn sie privatwirtschaftliche und gewinnorientierte Unternehmen seien, eine öffentliche Verpflichtung hätten, die sie nicht vergessen sollten. Sie sollten ein Interesse daran haben, dass Unternehmen und Staaten überleben und sie nicht mutwillig zugrunde richten.

Buchstabenwirrwarr

Ein neuer Vorschlag wurde von Thierry Philipponnat, dem Generalsekretär der neugegründeten NGO Finance Watch, die von der Finanzlobby unabhängige Expertise zur Finanzmarktregulierung bereitstellen will, präsentiert. Er schlug vor, die derzeit übliche Notenvergabe in Form von Buchstabenkombinationen (z.B. AAA) abzuschaffen und durch schriftliche Berichte und die Angabe eines Zahlenwertes für die Wahrscheinlichkeit, dass ein Schuldner zahlungsunfähig wird, zu ersetzen.

Auf dem Weg zu einer Europäischen Ratingagentur?

Mit Spannung wurde auch die Wortmeldung von Markus Krall, einem Vertreter der deutschen Unternehmensberatung Roland Berger, erwartet. Bekanntlich arbeitet Roland Berger gerade daran, eine nicht-gewinnorientierte europäische Ratingagentur aus dem Boden zu stampfen. Krall begrüßte die im Kommissionsvorschlag vorgesehene Regel, dass Ratingagenturen in Zukunft für grob fahrlässige Fehler haftbar gemacht werden sollen. Er schlug außerdem vor, dass nicht diejenigen, die benotet werden, für die Noten der Agenturen zahlen sollen. Stattdessen arbeite Roland Berger an einem Modell, wo die Investoren für die Analyse der Ratingagentur zahlen müssen. Dadurch ließen sich Interessenkonflikte und Verflechtungen zwischen Ratingagenturen und ihren KundInnen vermeiden.

Industrie, konservative und liberale Abgeordnete für weitere Verwässerung


Ein zentraler Punkt des Kommissionsvorschlags wurde von WirtschaftsvertreterInnen, aber auch von konservativen und liberalen Abgeordneten auffällig deutlich attackiert. Auch hier geht es um Interessenskonflikte zwischen Ratingagenturen und ihren KundInnen. Die Kommission schlägt vor, dass Unternehmen nach einer gewissen Zeit die Ratingagentur wechseln und zukünftig auch zusätzlich das Urteil einer zweiten Agentur einholen sollen. Dies hätte zum einen den Vorteil, dass die Unternehmen sich keine „Haus- und Hofagentur“ halten können, die im Notfall mal beide Augen zudrückt. Andererseits würde auch neuen oder kleineren Ratingagenturen ermöglicht, in den oligopolistischen Markt der Großen Drei einzudringen. Gegen diese Regel sprach sich die Vertreterin einer der Großen Drei, Susan Launi von Fitch Ratings, aus. Sie meinte, dass die von der Kommission vorgeschlagene Rotation Fitch benachteiligen würde, da die Ratings dann nur noch zwischen den zwei größten Anbietern Standard & Poor‘s und Moody’s aufgeteilt würden. Ähnlich kritisch und überraschend deutlich sprach sich auch der Schattenberichterstatter der EVP-Fraktion, der französische EU-Abgeordnete Jean-Paul Gauzès, gegen das Rotationsprinzip aus, so wie auch der Schattenberichterstatter der Liberalen (ALDE), der Deutsche Wolf Klinz.

Anfang Februar wird der italienische Berichterstatter, EU-Abgeordneter Leonardo Domenici von den Sozialisten & Demokraten, seinen Berichtsentwurf präsentieren, dann beginnt die heiße Phase der Verhandlungen im Europäischen Parlament.

Link: Vorschlag der Kommission zu Ratingagenturen