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Eingriffe in die Medienfreiheit, Gefährdung der Unabhängigkeit der Justiz und der Nationalbank und bedenkliche Entwicklungen bei den Minderheitenrechten in Ungarn sind nur einige Punkte, die diese Woche zu einer ungewöhnlich heftigen Diskussion im EU-Parlament führten. Während Sozialdemokraten, Liberale, Grüne und Linke nicht mit Kritik an der neuen ungarischen Verfassung sparten, zeigten Orbáns ParteikollegInnen von der Volkspartei, die national orientierte Fraktion „Europa der Freiheit und Demokratie“ und einige rechtsgerichtete fraktionslose Abgeordnete Verständnis und unterstützen teilweise auch Orbáns politische Vorgehensweise. Der Europäischen Kommission ist einstweilen der Kragen geplatzt, sie hat drei Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn eingeleitet.
Dass der ungarische Premierminister Viktor Orbán mit seiner konservativen Partei Fidesz aufgrund der mit 2/3- Mehrheit gewonnenen ungarischen Wahl einen sehr großen politischen Gestaltungsspielraum bekommen hat, steht unzweifelhaft fest. Ob die ungarische Regierung mit ihrer neuen Verfassung aber den Bogen nicht deutlich überspannt hat, war Gegenstand der Debatte im Europäischen Parlament.

Ungewöhnlich kritische Worte der EU-Kommission

Die dänische Präsidentschaft und die Europäische Kommission stellten gleich zu Beginn der Diskussion klar: Alle Mitgliedstaaten hätten den EU-Vertrag einzuhalten. Die EU-Kommission sieht nach der ungarischen Verfassungsänderung jedoch Vertragsverletzungen bei einer Reihe von wichtigen Grundsätzen des EU-Vertrags. Bereits im Vorfeld hätte die Kommission Schreiben an die ungarische Regierung geschickt, so Kommissionspräsident Barroso und Justizkommissarin Reding, der letzte sei erst am Dienstag von Kommissarin Kroes wegen Bedenken bezüglich der ungarischen Medienfreiheit an Ungarn gesandt worden. Konkret hat die Kommission nun drei Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn eingeleitet. Sie sieht einen Verstoß gegen das EU-Recht bei der Unabhängigkeit der Justiz, bei der Kontrolle der Zentralbank und beim Datenschutz.

Ministerpräsident Orbán: Haben viele Reformen umgesetzt


Ungarn habe viele Neuerungen durchgezogen, die dringend notwendig gewesen wären. Sein Land hätte zu Beginn noch vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch gestanden. Nun sei die Leistungsbilanz positiv, der Haushalt stabil und die Verwaltung reformiert. In der Bildung, Gesundheit, Steuern und Renten gebe es ebenfalls Neuerungen. Minderheiten seien nun besser geschützt, so der ungarische Ministerpräsident

VertreterInnen der Europäischen Volkspartei halten sich mit Kritik zurück


Der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europäischen Parlament Joseph Daul betonte, dass die ungarischen Wähler Orbán ein klares Mandat erteilt haben. Er und andere Abgeordnete der EVP unterstrichen, dass eine neue Verfassung dringend notwendig gewesen sei, da die alte noch aus stalinistischer Zeit aus den 1940er Jahren stamme. Der deutsche EU-Abg. Posselt sagte in einer emotionalen Wortmeldung, dass die ungarische Verfassung nun das beste Minderheitenrecht habe.

Kritikhagel von den anderen Fraktionen

Der Vorsitzende der Sozialdemokraten Hannes Swoboda informierte, dass die Unabhängigkeit mehrerer öffentlicher Einrichtungen infrage stehe. Enttäuscht zeigt er sich über die Stellungnahme von Daul – er hätte es in der Hand seinem Parteikollegen zu sagen, was Recht und was Unrecht ist. Man müsse sich ein Beispiel an Havel nehmen, der gegen den Kommunismus, aber für die Freiheit gekämpft hat. Der liberale Parteichef Verhofstadt führte eine Reihe von Verstößen des ungarischen Rechts gegen den EU-Vertrag an wie den Datenschutz, Medien, Nationalbank, Kirchengesetz, etc. Die Liste stamme nicht etwa von Nichtregierungsorganisationen, sondern von offiziellen Stellen wie dem IWF, dem Europarat oder der Kommission. Der grüne EU-Abg. Cohn-Bendit attackierte Orbán scharf: Die ungarische Verfassung sei autoritär. Juden und Intellektuelle müssten sich fürchten. Sogar die Europäischen Konservativen kritisieren Orbán hart: EU-Abgeordneter Bokros informierte, dass es noch weitere bedenkliche Gesetzesänderungen gebe, zum Beispiel bezüglich des Ombudsmanns, bei den Medien, etc. Die alte Verfassung sei übrigens zehn Mal verändert worden und daher schon lange nicht mehr stalinistisch gewesen. Den nächsten Regierungen sollen mit neuer Verfassung die Hände gebunden werden, glaubt Bokros. Investoren hätten kein Vertrauen mehr.

Frau von EU-Abg. Szájer entscheidet alleine über Richterbesetzungen


In Reaktion auf Abg. Cohn-Bendit unterstrich der ungarische EU-Abg. Szájer von der Fidesz-Partei, dass Gedenktage für den Holocaust eingeführt worden sind, Juden könnten sich in Ungarn sicher fühlen. Er verbitte sich Anschuldigungen des Antisemetismus wie Cohn-Bendit sie gemacht habe. Er sei als junger Jurist gegen ein kommunistisches, diktatorisches Regime angetreten und heute sei Ungarn eine verfassungsmäßige Demokratie. Sollte die Kommission Probleme sehen, sei Ungarn selbstverständlich gesprächsbereit. Anschuldigungen aus den Medien seien nicht wahr. Orbán habe die Demokratie nicht geschwächt, sondern gestärkt.

Heftig reagierte die EU-Abgeordnete Weber auf die Aussagen Szájers: Szájers Frau sei nun Chefin des nationalen Justizbüros und könne aufgrund der neuen Rechtslage ganz alleine darüber bestimmen, wer als Richter berufen werde. Darüber hinaus sei sie für neun Jahre ernannt und danach könne ein Nachfolger nur mit 2/3-Mehrheit bestimmt werden. Sehe für ihn Demokratie so aus, fragte Weber. Szájer führte in einer Reaktion die Besetzung seiner Frau auf ihre langjährige juristische Erfahrung zurück.

Die EU-Abgeordneten führten weitere Punkte an: Während in Ungarn ein Pensionsalter von 70 Jahren gelte, sei es bei Richtern auf 62 Jahre herabgesetzt worden, die Trennung von Kirche und Staat sei infrage gestellt. Die Rechte von Homosexuellen und Roma seien beschnitten. Bei den Medien gebe es Berichte, dass Funkfrequenzen aufgrund der neuen Rechtslage eingestellt würden und so kritische Sender mundtot gemacht werden. Kritische JournalistInnen seien darüber hinaus bereits aus ihren Unternehmen hinausgeworfen worden. EU-Abg. Lambsdorff von den Liberalen zeigte sich schockiert darüber, dass die Flat Tax in den Verfassungsrang gehoben wurde. Er sei zwar ein Verfechter für eine Flat Tax, aber man könne nicht zukünftigen Regierungen jeglichen Entscheidungsspielraum nehmen. Der Liberale Louis Michel sprach gar von einer Tyrannei der Mehrheit, die sich in Ungarn entwickle und die totbringend für die Demokratie sei.

Kommissarin Reding: Unabhängigkeit der Justiz unabdingbar für die Ausübung der Unionsrechte

Kommissarin Reding unterstrich am Ende der Debatte, dass die Unabhängigkeit der Justiz unabdingbar für die Ausübung der Unionsrechte sei. Es gebe auch viele Fragen zur Presse- und Medienfreiheit zu klären. Die drei Vertragsverletzungsverfahren würden nun im Eilverfahren durchgezogen.

Orbán meinte am Ende der Debatte, dass die Punkte, die nicht mit dem EU-Vertrag übereinstimmen einfach und rasch korrigiert werden könnten. Jedoch habe er eine „christliche Überzeugung“. Schon Schuman habe gesagt – „Demokratie wird christlich sein oder nicht länger existieren“. Die alte Verfassung hätte das Land ruiniert, Minderheiten wurden nicht geschützt, BürgerInnen ebensowenig.

Die ungarische Regierung muss nun binnen weniger Woche zu den drei Vertragsverletzungsverfahren Stellung nehmen. Danach ist die Kommission wieder am Wort.