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Es ist verrückt. Eine Blase um die andere Blase platzt, ein Sektor nach dem anderen wird ins Visier genommen. Nun haben die Finanzhaie ihr nächstes Opfer entdeckt - nach dem Internet um die Jahrtausendwende und Immobilien nur wenige Jahre später wird jetzt auf Rohstoffe und Nahrungsmittel spekuliert. Reis, Kaffee und Weizen sind zum täglichen Brot der Finanzhaie geworden. Und das führt unweigerlich dazu, dass anderen auf der Welt das unabdingbare tägliche Brot in unverschämter Weise weggenommen wird.
Und was macht die EU-Politik, was machen die Machthaber in der Union? Sie hinken hinterher, obwohl nur rasches Handeln das Platzen der nächsten Blase verhindern kann. Sie lassen sich nur schwerfällig bewegen, obwohl den Glücksrittern nur mit entschlossenem Handeln beizukommen ist.

Spielball gieriger Zocker

Es ist verrückt. Die reale Wirtschaft – brave Arbeitnehmer, fleißige Handwerker, ordentliche Unternehmer - wird immer mehr zum Spielball wildgewordener, gieriger, zockender Hasardeure. Börsen und Banken kommen immer weniger ihrer Kernaufgabe – der Finanzierung von privaten und Unternehmensinvestitionen - nach, sie spielen lieber Wettbüro und Kasino.

Wie aber konnte das alles geschehen? Wer hat das zu antworten? Wo liegen die Ursachen dieser Entwicklung? Die Antwort darauf ist in den 90er-Jahren zu finden. Da entschlossen sich die EU-Mitgliedsstaaten zu einer Deregulierung der Finanzmärkte. Die Devise: Schranken müssen weg, Regeln müssen abgebaut werden, der Markt wird sich schon selbst regeln.

Seit dem Abbau der Regulierung sind nicht nur Aktien und Anleihe Ziele spekulierender Zocker, sondern zunehmend reale Güter, Nahrungsmittel und Rohstoffe. Dieses Phänomen wird als „Finanziarisierung“ bezeichnet - die Realwirtschaft wird zum Spielball der Finanzwirtschaft.

Dieses Spiel einiger weniger hat massive Auswirkungen auf viele: Die Preise von Lebensmitteln, aber auch von Sprit und Energie, werden immer volatiler und steigen zum Teil in astronomische Höhen. In der sogenannten 3. Welt führt dies zu Hunger, mitunter auch zu Revolten. Aber auch in Europa und den USA sind die enormen Preisschwankungen spürbar.

EU-Binnenmarkt-Kommissar Michel Barnier spricht sich - als Reaktion auf diese Entwicklung - für mehr Transparenz und Stabilität bei den Rohstoffpreisen und für mehr Regulierung in diesem Bereich aus. Ende Oktober wurde der Kommissionsvorschlag zur Überarbeitung der MIFID-Richtlinie (Markets in Financial Instruments Directive) präsentiert.

Warum die Spekulation auf Rohstoffe verhindert werden muss – Podiumsdiskussion von AK und ÖGB

Reicht die MIFID-Richtlinie aus, um der Rohstoff-Spekulation Herr zu werden? ÖGB-Europabüro und AK-Europa luden zu einer prominent besetzten und vom Brüssel-Korrespondenten der Börsenzeitung, Detlef Fechtner, moderierten Podiumsdiskussion: „Warum Europa die Spekulationen auf Rohstoffe verhindern muss“.

Heiner Flassbeck, Direktor und Chefökonom der UNCTAD (United Nations Conference on Trade and Development) präsentierte dabei die Ergebnisse einer im Auftrag der AK erstellten Studie zur Preisvolatilität auf den Rohstoffmärkten.

Die finanzialisierten Märkte hätten sich völlig losgelöst von der Realwirtschaft. „Die Preise von Lebensmitteln werden von Spekulanten systematisch in die Höhe getrieben“, so Flassbeck. „Die Finanzmärkte schaffen fundamental falsche Preise. Und falsche Preise sind ein Schaden für den Markt.“

Aber was tun dagegen? Flassbeck: „Die Lebensmittel- und Rohstoffpreise müssen wieder ins Lot kommen und Ergebnisse von Angebot und Nachfrage sein – nicht von Finanzmärkten.“ Und er verlangt: „Es müssen alle Finanztransaktionen künftig über Börsen laufen und nicht mehr bilateral. Dadurch sind Zulassungsbeschränkungen, Produktbeschränkungen und mehr Transparenz möglich.“

Jasper Jorritsma, Vertreter der Europäischen Kommission (Generaldirektion Binnenmarkt) stellte MIFID vor: „Das Hauptziel dieser Richtlinie ist, dass die Finanzmärkte wieder für die Realwirtschaft arbeiten – und nicht abgekoppelt sind davon.“

Sven Giegold, grünes Mitglied des Europäischen Parlaments, wies darauf hin, dass nicht nur die Finanzmärkte die Preise beeinflussen, sondern auch andere Faktoren. Der Fleischkonsum steige, der Landkonsum steige. Konsequenz daraus seien Knappheiten und damit automatisch höhere Preise. Das MIFID ist für ihn „ein Schritt in die richtige Richtung, aber es liegt noch viel Arbeit vor uns.“

Der sozialdemokratische EU-Angeordnete Robert Goebbels, Schattenberichterstatter bei MIFID, ist „angenehm überrascht, dass die Kommission endlich Realitäten wahrnimmt.“ Die Bürger müssten vor Spekulanten geschützt werden, denn durch diese kämen ganze Volkswirtschaften unter Druck. Er forderte überdies ein Verbot von Warentermingeschäften, die keinen Bezug zu Waren haben.

„Die Finanzwirtschaft muss endlich an die kurze Leine genommen werden“, betonte Silvia Angelo, Leiterin der Abteilung Wirtschaftspolitik der Arbeiterkammer Wien. „Die Finanzwirtschaft muss wieder in den Dienst der Realwirtschaft gestellt werden.“ Und sie verlangte: „Es braucht endlich eine europäische Aufsicht über die Finanzmärkte.“

Sowohl Angelo als auch Goebbels wiesen auch auf den Hochfrequenzhandel hin, bei dem Computerprogramme innerhalb von Millisekunden mit beträchtlichen Geldsummen spekulieren. Angelo: „Diese Entwicklung ist entsetzlich.“ Goebbels: „Das ist erschreckend. Ich wäre geneigt, das verbieten zu lassen.“

Auch das Thema Anlegerschutz kam aufs Tapet. Silvia Angelo: „Hier braucht es radikale Reformen. Und vor allem eine Beweislastumkehr.“ Nicht die Konsumenten sollten nachweisen müssen, dass sie von Anlageberatern falsch informiert wurden (was in der Praxis oft sehr schwierig ist), sondern umgekehrt.

Literaturhinweise:


UNCTAD-Studie Kurzfassung
http://wien.arbeiterkammer.at/bilder/d153/Unctad_Studie.pdf

UNCTAD-Studie Langfassung (in Englisch)
http://wien.arbeiterkammer.at/bilder/d153/Unctad_Studie_Volltext.pdf

AK-Studie „Rohstoffe – Spekulation, Verteilung, Preise“
http://wien.arbeiterkammer.at/bilder/d155/Studie_Rohstoffe.pdf