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Die Diskussionen über neue Regeln für Dienstleistungen von öffentlichem Interesse sind auf EU-Ebene wieder einmal in vollem Gange. Erst vor wenigen Wochen präsentierte die Kommission Textentwürfe zu den Beihilfevorschriften für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, diese Woche stimmte der Wirtschaftsausschuss des Europäischen Parlaments über einen Resolutionstext zu diesem Thema ab. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss widmete dem Thema eine eigene Konferenz. Wie der endgültige Vorschlag der Europäischen Kommission zu öffentlichen Dienstleistungen schlussendlich aussehen wird, ist aber noch nicht klar, er soll im Februar 2012 veröffentlicht werden. Einzelne Wortmeldungen der Kommission geben aber Anlass zur Befürchtung, dass sich öffentliche Dienstleistungen verstärkt dem privaten Gewinnstreben unterordnen sollen.
So äußerte sich ein Kommissionsbeamter bei der Konferenz des Europäischen Wirtschafts- und Sozialauschusses bezüglich sozialen Wohnbaus bestenfalls sehr verhalten: Es sei die so genannte de minimis Verordnung zu berücksichtigen, die eine Grenze von 150.000 € für öffentliche Leistungen vorsehe, darüber hinaus dürfe der Binnenmarkt dadurch nicht berührt werden. Der Kommission gehe es bei den geplanten neuen Vorschlägen aber nur um Klarstellungen, beispielsweise wie die Definition von „staatlichen Tätigkeiten“ und der „Daseinsvorsorge von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“.

EU-Abgeordnete Castex: Der öffentlichen Hand bleiben nur noch die Verlustbringer übrig


Die sozialdemokratische EU-Abgeordnete Francoise Castex äußerte sich zwar grundsätzlich positiv über die Textentwürfe der Kommission, kritisierte aber die grundsätzliche Haltung der Europäischen Kommission scharf. Die Binnenmarktphilosophie der Kommission führe dazu, dass den Gemeinden nur noch die Dienstleistungen übrigblieben, die Verluste bringen. Mit anderen Worten: Für die öffentlichen Körperschaften wird es teurer, weil Gewinne aus öffentlichen Dienstleistungen privatisiert werden und nicht mehr mit Verlusten aus anderen öffentlichen Dienstleistungen verrechnet werden können. Eindeutig äußert sich Castex auch beim sozialen Wohnbau: Dieser solle weiterhin in der Kompetenz der Mitgliedstaaten bleiben, Entscheidungen von den nationalen Behörden getroffen werden. Andernfalls könnten unter anderem negative Konsequenzen für den Wohnungsbau und die Stadtplanung drohen.

EWSA-Mandatar Raymond Hencks: Der Binnenmarkt ist im Finanz- und Immobilienbereich bereits gescheitert

Noch weit kritischere Töne schlug der EWSA-Mandatar Raymond Hencks an. Der Binnenmarkt sei im Finanz- und dem Immobiliensektor bereits gescheitert. Dieser Fehler dürfe nun beim sozialen Wohnen nicht fortgesetzt werden. Es sei zu berücksichtigen, dass es in den Mitgliedstaaten unterschiedliche erfolgreiche Konzepte zum leistbaren Wohnen gebe, die Kommission sehe nun aber eine einheitliche Vorgehensweise vor. Man dürfe das Recht auf eine menschwürdige Unterkunft nicht dem Markt opfern, gibt sich Hencks kämpferisch. Auch die de minimis-Verordnung müsse weit großzügiger ausfallen, so der EWSA-Vertreter.

Liberalisierung von öffentlichen Dienstleistungen über EU-Handelsabkommen mit Drittstaaten?


Widerstand gegen die liberalisierungsfreundliche Kommissionspolitik bei öffentlichen Dienstleistungen gibt es schon seit Jahren. Sowohl soziale Nichtregierungsorganisationen, ArbeitnehmerInnenvertretungen, als auch Städte und Gemeinden treten gegen diese Gangart der Kommission auf. Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen, dass die Liberalisierung von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse Nachteile für KonsumentInnen, Beschäftigte und die öffentlichen Körperschaften bringt. Einziger Gewinner dieser Politik ist der Wirtschaftssektor. Um ihren Willen gegen den Widerstand dieser breiten Allianz trotzdem durchzusetzen, stellt die Europäische Kommission seit einigen Monaten Überlegungen an, den Bereich öffentlicher Dienstleistungen in Freihandelsabkommen mit Drittstaaten aufzunehmen. Damit wäre über den Umweg internationaler Handelsvereinbarungen ein weiterer Schritt Richtung Liberalisierung öffentlicher Dienstleistungen gesetzt. In einem Initiativbericht setzt sich das Europäische Parlament derzeit ebenfalls mit den Beihilfevorschriften für öffentliche Dienstleistungen auseinander. Der Berichtsentwurf wurde Anfang dieser Woche im Wirtschaftsausschuss abgestimmt, das Votum im Plenum soll im November folgen. Die Verhandlungen über die Beihilfevorschriften für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse versprechen jedoch noch an Spannung zu gewinnen, sobald die Europäische Kommission ihre endgültigen Vorschläge im Februar 2012 präsentieren wird.

AK EUROPA hat sich bereits in mehreren Positionspapieren kritisch gegenüber den Liberalisierungsansätzen der Europäischen Kommission geäußert. Im Rahmen eines gemeinsamen Seminars von AK EUROPA, der Europäischen Dienstleistungsgewerkschaft (EPSU) und dem Österreichischen Gewerkschaftsbund am 7. November in Brüssel werden die Kritikpunkte der ArbeitnehmerInnenorganisationen hinsichtlich des Kommissionsplans, Daseinsvorsorgeleistungen in bilaterale Handelsabkommen aufzunehmen, gegenüber VertreterInnen der EU-Institutionen im Detail vorgestellt werden.

Weiterführende Informationen:

Informationen zum Seminar zu „Öffentliche Dienstleistungen in Gefahr?“ am 7. November in Brüssel

Position der AK zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse in bilateralen Freihandelsabkommen

Position der AK über die Modernisierung der europäischen Politik im Bereich des öffentlichen Auftragswesens