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Typische europäische PraktikantInnen sind, laut aktueller Befragung des European Youth Forums, 20-30 Jahre alt. Ihr Praktikum dauert 4-6 Monate. Nur 25% können durch das Praktikumsentgelt ihre Lebenskosten bestreiten. Die Mehrheit absolviert dennoch ein oder zwei Praktika, verbringt also bis zu einem Jahr in prekärer Beschäftigung. Sie werden unzureichend bezahlt und müssen sich - unabhängig vom Wirtschaftssektor - durch ihre Eltern, Ersparnisse oder andere finanzielle Unterstützungsleistungen über Wasser halten. Hauptmotiv sind die erwarteten besseren Chancen auf einen späteren regulären Arbeitsplatz.
Praktikumsstudie 2011 des European Youth Forum

Das European Youth Forum, eine unabhängige und demokratische Plattform von über 90 Jugendorganisationen und nationalen Jugendbeiräten europäischer Länder, veröffentlichte im September 2011 eine Studie zur Qualität von Praktika in Europa. Mehr als 3.000 Antworten von aktuellen oder ehemaligen PraktikantInnen geben Einblick in den PraktikantInnenalltag. 1/3 der Befragten machte Angaben zu postgraduellen Praktika, 1/5 zu Pflichtpraktika. Am stärksten nahmen junge EuropäerInnen aus Deutschland, Italien, Frankreich, UK, Spanien und Rumänien an der Befragung teil.

Motivation: Gut für den Lebenslauf, aber oft auch keine Alternative

Als Motivation für ihr Praktikum bzw. für ihre Praktika geben 77% an, ihren Lebenslauf (CV) aufwerten zu wollen, um bei späteren Bewerbungen ihre Chancen zu verbessern. 42% sehen in ihren Praktika erste Testfelder für das spätere Arbeitsleben. Aber 1/5 der Befragten (19%) absolviert Praktika aus einem völlig anderen Grund: weil für sie keine andere Beschäftigungsmöglichkeit verfügbar war.

Gängige Praxis und notwendige Investition

Studienergebnisse lassen darauf schließen, dass Praktika für junge EuropäerInnen mit höherer Ausbildung mittlerweile anerkannte Norm sind. Die für sie und für ihre Familien damit verbunden Kosten werden als notwendige Investition in die zukünftigen Arbeitsplatzchancen gesehen.

Ein Einkommen zum Auskommen: Nur bei einem Viertel der PraktikantInnen der Fall

Jedes zweite Praktikum (51%) war unbezahlt. Selbst von den bezahlten Praktika konnte nur etwas weniger als die Hälfte der jungen Menschen (49%) ihre Lebenskosten bestreiten und weitere 6% konnten einen Teil ihrer Ausgaben finanzieren. Die restlichen 45% derjenigen, die in bezahlten Praktika arbeiteten, konnten nicht einmal ihre Tagesausgaben decken. Insgesamt bezogen nur 25% der befragten PraktikantInnen ein Einkommen, mit dem sie auskamen. 75% der Befragten erhielten kein oder ein zu geringes Gehalt. Unzureichende Entlohnung von Praktika ist somit gängige Praxis. Gleichzeitig belegt die hohe Anzahl von schriftlichen Verträgen, dass es sich um ein akzeptiertes Phänomen handelt und es mittlerweile als selbstverständlich gilt, junge ArbeitnehmerInnen nicht angemessen zu bezahlen.

Ein Praktikum muss man sich erst einmal leisten können!


Wie finanzieren jungen Menschen dann die am Arbeitsmarkt offenbar verlangte anfängliche Berufserfahrung? Die Antworten zeigen, dass PraktikantInnen überwiegend vom Geld ihrer Eltern oder von eigenen Ersparnissen leben. 2/3 der PraktikantInnen werden von ihren Eltern unterstützt (64,7%), 1/3 lebt von eigenen Ersparnissen (35,3%), 1/5 bezieht Stipendien (20,3%). Immerhin 12,8% müssen neben dem Praktikum für ihren Lebensunterhalt auch zusätzlich jobben, um sich das Praktikum leisten zu können.

Unterbezahlung weit verbreitete Strategie


Die unter- oder unbezahlten Praktika werden am häufigsten in privaten, profitorientierten Unternehmen (28%) gefunden. Aber auch weniger finanzstarke NGOs (27%) und nicht-gewinnorientierte öffentlichen Einrichtungen (23%) entlohnen Praktika nicht oder nur unzureichend. Zwar führen profitorientierte Unternehmen diese unrühmliche Statistik an, die geringen Unterschiede zeigen aber, dass die Kultur, junge PraktikantInnen nicht ausreichen zu bezahlen, eine weitverbreitete Strategie ist. Sie hat wenig mit der Finanzkraft der Organisation, die die Praktikumsstelle anbietet, zu tun. Selbst die öffentliche Hand bezahlt ihre PraktikantInnen unzureichend.

Eltern und SteuerzahlerInnen finanzieren kostengünstige MitarbeiterInnen für Betriebe

63% der Befragten haben ein oder zwei Praktika absolviert. Die verbleibenden 37% aber können drei Praktika oder mehr vorweisen. Mangelnde Berufserfahrung kann diesen jungen Menschen sicher nicht mehr vorgeworfen werden. Dennoch hat die Anzahl der Praktika keine Auswirkung auf die Bezahlung! Auch weist das Entgelt keinen Zusammenhang mit Ausbildung und Qualifikationen der PraktikantInnen auf. „Mangelnde Erfahrung“ dient zum Teil wohl auch als Scheinargument für die mangelnde Bereitschaft von ArbeitgeberInnen, Einstiegspositionen für junge Menschen anzubieten und entsprechend zu bezahlen. Eltern und SteuerzahlerInnen finanzieren auf diese Weise kostengünstige MitarbeiterInnen für Betriebe.

Einmündung in den Arbeitsmarkt

Einige der PraktikantInnen bestätigten die erwarteten besseren Jobchancen durch bezahlte Praktika. 16% der Befragten wurden von der Organisation, bei der sie ein Praktikum absolviert hatten, später ein Arbeitsverhältnis angeboten. Weitere 18% bekamen wegen ihres Praktikums Jobangebote von einem anderen Arbeitgeber. Damit ergibt sich für etwa 1/3 der Befragten tatsächlich aus absolvierten Praktika ein Vorteil beim Übergang in den Arbeitsmarkt. Wobei zu beachten ist, dass in den meisten Fällen mehr als ein Praktikum absolviert werden musste, also die Erfolgsquote pro Praktikum geringer ausfällt.

Schlussfolgerungen des European Youth Forum


Das European Youth Forum zieht folgende Schlussfolgerungen aus den Studienergebnissen:

•Einstiegspositionen in den Arbeitsmarkt für junge Menschen werden durch überwiegend un(ter)bezahlte Praktikumsstellen ersetzt.
•Praktika werden mittlerweile als Notwendigkeit erachtet – als Ergänzung zur formalen Ausbildung, unabhängig davon ob die Praktika offizieller Teil einer Ausbildung sind oder freiwillig absolviert werden.
•Junge Menschen mit besseren familiären Ressourcen haben einen Vorteil – sie können es sich Dank der finanzielle Absicherung durch ihre Eltern leisten, über unzureichend bezahlte Praktikumsstellen Zugang zum Arbeitsmarkt zu finden.
•Junge Menschen leben durch den Trend zu postgraduellen Praktika auch nach Abschluss ihrer Ausbildung in hoher Abhängigkeit von ihren Eltern.
•Das Absolvieren von Praktika wird mittlerweile als Grundvoraussetzung für den Einstieg in den Arbeitsmarkt wahrgenommen. Die Möglichkeiten junger Menschen nach ihrer Ausbildung autonom und unter stabilen Umständen leben zu können sind signifikant gesunken.

Das European Youth Forum hält europäische Qualitätsstandards für Praktika für notwendig und fordert insbesondere die öffentliche Hand auf, im Umgang mit ihren PraktikantInnen mit gutem Beispiel voranzugehen.

Weiterführende Information:

Studie des European Youth Forums (Studie nur in Englische verfügbar)