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Bereits seit vielen Jahren wird auf EU-Ebene über die Einführung von europäischen Regeln für Gruppenklagen – im EU-Jargon auch kollektiver Rechtsschutz genannt – diskutiert. Die Europäische Kommission hat alle interessierten BürgerInnen, Organisationen und Unternehmen dazu eingeladen, ihre Meinung im Rahmen einer Konsultation zu den Sammelklagen abzugeben. Darüber hinaus hat die Kommission diese Woche zu einer öffentlichen Anhörung eingeladen. Das Interesse war mit rund 350 TeilnehmerInnen enorm, neben VerbraucherInnenorganisationen und öffentlichen Behörden waren vor allem JuristInnen und Unternehmensvertretungen äußerst stark vertreten. Gerade FirmenlobbyistInnen und RechtsvertreterInnen traten auf die Bremse: Außergerichtliche Streitbeilegungsverfahren wären wesentlich besser, man warne vor Verhältnissen wie in den USA.
Die Generalsekretärin der europäischen Konsumentenschutzorganisation BEUC, Monique Goyens, äußerte sich bei der Veranstaltung kritisch, dass man sich beim kollektiven Rechtsschutz schon seit Jahren im Kreis drehe. Nun sei es Zeit im Interesse der VerbraucherInnen einen Schritt voranzutun. Der kollektive Rechtsschutz sei nur eines von vielen Instrumenten zur Durchsetzung von VerbraucherInnenrechten, KonsumentInnen würden zuerst über andere Wege versuchen ihre Rechte zu bekommen. Eine Umfrage zeige jedoch, dass sich 79 Prozent der betroffenen VerbraucherInnen an das Gericht wenden würden, wenn es das Instrument des kollektiven Rechtsschutzes gäbe. Das zeigt laut Goyens den großen Bedarf für diese Maßnahme auf. Die öffentlichen Behörden sollen ermutigt werden das Instrument der Gruppenklagen einzusetzen. Derzeit gebe es bereits 14 Mitgliedstaaten, die über Regelungen zum kollektiven Rechtsschutz verfügen. Ein europäisches System würde darüber hinaus helfen, grenzüberschreitende Fälle leichter lösen zu können.

Deutlich verhaltener äußerte sich der Repräsentant der EU-Unternehmensorganisation Business Europe, Jerome Chavin. Er verlangte von der Kommission einen kohärenten Ansatz und hob hervor, dass es jedenfalls einen Zugang zur Justiz bzw. öffentlichen Stellen geben müsse. Die VerbraucherInnen wollen eine schnelle Lösung, außergerichtliche Wege seien hier vorzuziehen. Außerdem gäbe es Instrumente, die nicht ausreichend genutzt werden wie beispielsweise SOLVIT.

VerbraucherInnenorganisationen für kollektiven Rechtsschutz

Aus dem Publikum gab es zahlreiche Wortmeldungen: Die VerbraucherInnengenossenschaft Eurocoop eine Nichtregierungsorganisation für ältere Menschen, ein niederländischer VerbraucherInnenverband und ein Sparverband äußerten sich klar für ein EU-System für Sammelklagen. Der Vertreter eines Unternehmensverbandes befürchtet mit einem kollektiven Rechtsschutz noch mehr Druck auf nationale Gerichte. Ein französischer Unternehmensverband hält die alternative Streitbeilegung für besser und wendet sich gegen Verfahren, die nicht von öffentlichen Behörden durchgeführt werden sollen. Die belgische VerbraucherInnenorganisation Test-Achat berichtete von einer nationalen Diskussion zum kollektiven Rechtsschutz. Der belgische Gesetzgeber wolle aber auf eine europäische Lösung warten, wodurch derzeit weitere Schritte Richtung Gruppenklagen blockiert seien. Ein Rechtsanwalt aus den USA meinte, dass es bei den Sammelklagen nicht zu Exzessen wie in den USA kommen dürfe, die letztlich Zusatzkosten für die gesamte Gesellschaft bedeuten würden. Man müsse versuchen andere Mechanismen zu finden.

Es wird keine Sammelklagen wie in den USA geben

Ein weiterer Sprecher der Anhörung, Graham Jones, ein ehemaliger Richter aus Großbritannien stellte gleich zu Beginn klar, dass man die Bedenken wegen den Erfahrungen mit den Sammelklagen in den USA vergessen sollte. In der Europäischen Union gäbe es ein ganz anderes Rechtssystem. Nach Aussage Jones müsse es für Rechtsverstöße sowohl Bußgelder als auch Schadenversatz für die VerbraucherInnen geben. Private Vollzugsmechanismen seien jedoch nicht so effizient wie öffentliche Mechanismen, Zugang zur Gerichtsbarkeit solle es immer geben. Zu Beginn einer Gruppenklage sollte es ein verpflichtendes Zertifizierungsverfahren geben. Es müsse auch eine Mindestzahl an KlägerInnen geben. Die Finanzierung eines solchen Verfahrens müsse auch geklärt werden. Zeit und Kosten sollten im Rahmen gehalten werden. Es sollten auch Grenzen für Schadenersatz festgelegt werden.

Die nächste Rednerin, Benedicte Federspiel vom dänischen VerbraucherInnenrat, stimmte ihrem Vorredner zu. Sie legte dar, dass es in Dänemark Gruppenklagen zusätzlich zur alternativen Streitbeilegung gäbe. Vor der Einführung von Sammelklagen gab es auch zuerst Stimmen dagegen, negative Szenarien wurden dargestellt, die dann aber nicht eintrafen. Die öffentliche Behörde sollte federführend bei derartigen Verfahren sein, die Finanzierung sei zu klären – derzeit würde das von Land zu Land unterschiedlich gehandhabt.

Im Anschluss an die beiden Vortragenden meldeten sich erneut mehrere UnternehmensvertreterInnen zu Wort, die ihre Bedenken gegen die kollektive Rechtsdurchsetzung darstellten. So wurde unter anderem die Befürchtung geäußert, dass die Verfahrensregeln zu einem System führen könnten, wie sie in den USA bestünden. Der Richter solle eine Schlüsselrolle bei diesen Verfahren spielen, außerdem solle ein Überblick über Kosten und Anzahl der zu erwartenden kollektiven Rechtsverfahren gegeben werden. Es solle kein Missbrauch mit diesem System möglich sein.

Es könnten künftig auch geringe Schadensbeträge, die aber in großer Zahl auftreten leichter eingeklagt werden

Daniel Zimmer, Rechtsprofessor in Deutschland äußerte sich in seinem Vortrag aus mehreren Gründen für einen kollektiven Rechtsschutz: Mit diesem Instrument wäre es Einzelpersonen auch dann möglich zu ihrem Recht zu kommen, wenn der Schaden sonst so gering wäre, dass sich eine Klage nicht auszahlen würde, ein kollektives Vorgehen aber schon Sinn macht. Gerichte könnten auch mit Einzelklagen überflutet werden, wie es im Fall eines deutschen Telekomunternehmens passiert sei. Ein horizontaler Ansatz sei vernünftig, der mehrere Rechtsbereiche wie das Umwelt-, VerbraucherInnen- oder Kapitalmarktrecht abdeckt. Die unterschiedlichen rechtlichen Voraussetzungen müssten jedoch zuerst angepasst werden.

Der letzte Redner der Anhörung, Pavel Pietkiewicz, ein Rechtsanwalt aus Polen, kritisierte, dass der kollektive Rechtsschutz Merkmale aufweisen würde, der die Vermeidung von Streitfällen schwer machen würde. Derartige Verfahren könnten auch sehr teuer werden. Bei Gruppenklagen könnte sich erst nach einiger Zeit herausstellen, wer VerhandlungsführerIn sei. Es stelle sich auch die Frage, welcher Schaden damit genau abgedeckt werde. Die Rechte von Minderheiten müssten auch gewahrt werden, so Pietkiewicz.

Grenzüberschreitende Sammelklagen sollen möglich sein

In der letzten Runde der Publikumsdiskussion regte eine Sprecherin der finnischen Handelskammer an, zuerst die VerbraucherInnenrechte-Richtlinie zu überarbeiten, dann gäbe es nicht mehr so viele Probleme mit unterschiedlichen Rechtsständen. Die Nichtregierungsorganisation PEOPIL kritisierte, dass es derzeit schwer sei grenzüberschreitend zu klagen, insbesondere bei kleineren Beträgen. Unternehmen, die sich unlauterer Praktiken bedienen, sollten aber haftbar gemacht werden. Ein Vertreter des Europäischen Gewerkschaftsbundes forderte, dass bei Sammelklagen auch das Arbeitsrecht miterfasst werden müsse. Viele Fälle betreffen gleich eine Reihe von ArbeitnehmerInnen und das auch noch grenzüberschreitend.

Schließlich wandte sich der letzte Redner aus dem Publikum kritisch an die Kommission. Sie hätte heute noch kein Wort über den kollektiven Rechtsschutz verloren, sie sollen endlich Klarheit schaffen.

Die Kommission hüllt sich in Schweigen

Die Kommission beschränkte sich jedoch darauf hinzuweisen, dass die Konsultation zu diesem Thema noch bis Ende April für interessierte Personen geöffnet sei. Ende des Jahres solle es eine Mitteilung mit den Ergebnissen aus dem Konsultationsverfahren geben, so die Vertreterin der äußerst wortkargen Kommission. Ob es in nächster Zeit zu einem konkreten Rechtsvorschlag über Gruppenklagen kommen wird, steht damit weiterhin in den Sternen.