Nachrichten

Zurück
Der neue österreichische Postgewerkschaftschef Helmut Köstinger hat diese Woche seinen Antrittsbesuch bei den EU-Institutionen in Brüssel absolviert. Neben Terminen bei der Kommission gab es einen von den Brüsseler Büros des Österreichischen Gewerkschaftsbundes und der Arbeiterkammer sowie von Uni Global Union organisierten Round Table mit EU-Abgeordneten zur Postliberalisierung. Bei der Diskussion wurde eines offensichtlich: Durch die Liberalisierung kommt es teilweise zu frappanten Verschlechterungen beim Kundenservice, die Belastungsgrenze für Postbedienstete ist mehr als erreicht.
Einige EU-Abgeordnete haben eine Initiative gestartet, die dazu führen soll, dass die Europäische Kommission ihre Liberalisierungsstrategie bei Postdienstleistungen überdenkt. Die Erfahrungen zeigen, dass sich insbesondere die KundInnenfreundlichkeit und die Arbeitsbedingungen der Bediensteten durch die Postliberalisierung teils erheblich verschlechtert haben.

EU-Abg. Bach: Die versprochenen Vorteile für die KundInnen sind nie eingetreten


Georges Bach von der Europäischen Volkspartei und neben Said El Khadraoui (Europäische Sozialdemokraten) einer der HauptinitiatorInnen der schriftlichen Erklärung zur Vermeidung negativer Auswirkungen im Hinblick auf die Vollendung des Binnenmarktes bei Postdiensten kritisierte, dass er lange gegen die Liberalisierungswelle im öffentlichen Bereich gekämpft habe, schlussendlich aber nur einige Abfederungsmaßnahmen durchsetzen konnte. Im Beschäftigtenbereich seien Postbedienstete abgebaut und stattdessen prekäre Beschäftigungsverhältnisse geschaffen worden. Die versprochenen Vorteile für die KundInnen seien nie eingetreten. Zum Beispiel im ländlichen Raum seien Postämter geschlossen worden, zum Nachteil der dort lebenden Bevölkerung. Von einem Mehrwert für die KundInnen, könne man nicht sprechen.

Kocsis: Der Wettbewerb läuft über die Personalkosten


Die stellvertretende Vorsitzende der deutschen Dienstleistungsgewerkschaft ver.di Andrea Kocsis übte heftige Kritik an der Postliberalisierung. Der Wettbewerb werde bei einem Anteil der Personalkosten von 70 bis 80 % an den Gesamtkosten über die Beschäftigten ausgeübt. Der Stundenlohn wurde in den letzten Jahren stark gedrückt und liegt in Deutschland teilweise nur noch bei 6 bis 8 €, während Postbedienstete früher 15 € erhielten. Der nun gezahlte Lohn sei so niedrig, dass die Beschäftigten sogar Sozialhilfe bekommen. Eine Mindestlohnregelung sei vom Gericht wieder rückgängig gemacht worden, nun sei die Gewerkschaft beauftragt worden, sich mit den Postdienstleistern auf einen Mindestlohn zu verständigen. Die Politik wisse jedoch ganz genau, dass eine Einigung unwahrscheinlich sei, weil die Stundenlöhne zwischen den Unternehmen sehr stark differieren, schloss Kocsis ihre Ausführungen kritisch ab.

Postgewerkschaftschef Köstinger: Der Druck auf die Bediensteten ist enorm


Der neue Postgewerkschaftschef Helmut Köstinger skizzierte wie rasch sich die Lage für KundInnen und Bedienstete seit Beginn der Liberalisierungsmaßnahmen im Postsektor vor 10 Jahren verschlechtert hat. 10.000 Arbeitsplätze seien seit dem Jahr 2000 bei der österreichischen Post abgebaut worden, neue Bedienstete erhielten um bis zu 40 Prozent geringere Löhne. Der Arbeitsdruck auf die verbliebenen Beschäftigten sei enorm – sie müssen die durch die Personalreduktion entstandenen Lücken auffüllen. Köstinger informierte, dass nach der Schließung von über 1000 Postämtern nur noch rund 800 Ämter verblieben seien. Die Post hatte ursprünglich sogar den Plan bis 2012 nur noch 50 Postämter zu betreiben, nach Verhandlungen seien nun zumindest 520 Ämter gesichert. Die Post orientiert sich nach ihrem Börsengang nur noch an Gewinnzahlen, die so der Postgewerkschaftschef. Jedes Jahr werden Produktivitätssteigerungen erwartet, ältere ArbeitnehmerInnen stoßen dabei an ihre Grenzen. Das KundInnenservice leidet ebenfalls zusehends: In einzelnen Regionen müssen KundInnen nun einen Weg von bis zu 20 Kilometern in Kauf nehmen, um ein zugesandtes Paket abzuholen. Die österreichische Post mache zudem mit ihrem eigenen Tochterunternehmen Feibra Konkurrenz. Teilweise würden GrenzgängerInnen aus Ungarn, der Slowakei oder anderen Nachbarländern engagiert, die für Stückgeld arbeiten und die Löhne damit weiter drücken.

SozialdemokratInnen und Grüne: Sind die Strukturen erst zerstört, können sie kaum wieder aufgebaut werden

Unterstützung erhielten die GewerkschafterInnen von fast allen anwesenden EU-Abgeordneten. Evelyn Regner, Hannes Swoboda und Jörg Leichtfried von den Europäischen SozialdemokratInnen, sowie Eva Lichtenberger von den Europäischen Grünen kritisierten die Richtlinien, die zur Liberalisierung geführt haben. Sie hätten die Servicequalität für KundInnen und die Arbeitsbedingungen für ArbeitnehmerInnen deutlich verschlechtert. Lichtenberger kritisierte, dass Strukturen zerstört würden, die später nur noch sehr schwer wieder aufzubauen seien. Leichtfried kritisierte ebenfalls die Zerschlagung der Strukturen und wies explizit auf das Schicksal der EisenbahnerInnen hin, bei denen die Entwicklung durch die Liberalisierung des Schienenverkehrs nun ähnlich verlaufe. In Gesprächen mit EisenbahnervertreterInnen habe er erfahren, dass viele ArbeitnehmerInnen nun protestgewählt hätten. Damit, hob Leichtfried hervor, seien gerade diejenigen gestärkt worden, die sich massiv für eine Liberalisierung einsetzen. Aufgrund der derzeitigen politischen Kräfteverhältnisse sei bestenfalls eine Abfederung in der Gesetzgebung möglich. Die Gewerkschaften bat er Aufklärungsarbeit zu leisten, wer auf EU-Ebene für die Liberalisierungsaktivitäten verantwortlich sei. Sowohl von Grüner als auch von Sozialdemokratischer Seite wird die Aufrechterhaltung einer flächendeckenden Versorgung gefordert, die notfalls mit Klagen durchgesetzt werden sollen, wenn sich die PostdienstleisterInnen nicht an diese gesetzlichen Vorgaben halten.
Enttäuschend die Wortmeldung der luxemburgischen EU-Abgeordneten Lulling von der Europäischen Volkspartei: Sie meinte dass es sich bei der Post damals um bequeme staatliche Monopole gehandelt habe, bei denen man um einen Telefonanschluss betteln musste. Sie habe die von ihrem Kollegen Bach mitinitiierte Erklärung nicht unterzeichnet, sie sei irreal, die Mitgliedstaaten müssten aktiv werden. Die Richtlinien zur Liberalisierung der Post seien nicht so schlecht.

Berger: Die Kommission ist Wegbereiterin für schlechteres KundInnenservice

Cornelia Berger von der Europäischen Dienstleistungsgewerkschaft Uni Global Union gab einen Überblick über die Entwicklungen der Postdienstleistungen in den einzelnen Mitgliedstaaten der Union. Es seien in jenen Ländern keine beziehungsweise kaum negative Auswirkungen zu bemerken, in denen die Post weiterhin von der öffentlichen Hand geführt werde. In den Ländern wo die Post (teil-)privatisiert wurde, seien teils sehr gravierende Verschlechterungen für KundInnen und Bedienstete zu beobachten. Nur in Österreich und Belgien habe man auf eine soziale Regulierung geachtet. Alarmierend sei das Verhalten der Kommission: Die EU-BeamtInnen haben eine Studie in Auftrag gegeben, die fragt, wie viel Geld den Befragten es wert ist, fünf Mal die Woche Post zugestellt zu bekommen, im Vergleich zur Alternative nur drei Mal die Woche Post zu erhalten. Damit werde der Weg aufbereitet das KundInnenservice noch einmal zu verschlechtern. Eine Studie zu den sozialen Auswirkungen der Postliberalisierung werde gar nicht erst in Erwägung gezogen, kritisiert Berger abschließend.

Der EU-Abgeordnete Bach betonte am Ende der Veranstaltung, dass die Post wieder ein Thema werden müsse. Das solle mit der schriftlichen Erklärung erreicht werden, es ginge nicht um einen Vertrag, den man unterzeichne, meinte er kritisch in Richtung seiner Parteikollegin Lulling.

Die schriftliche Erklärung zur Vermeidung negativer Auswirkungen im Hinblick auf die Vollendung des Binnenmarktes bei Postdiensten muss von der Mehrheit der EU-Abgeordneten unterzeichnet werden, um vom Europäischen Parlament offiziell angenommen zu werden. In der Erklärung wird die Kommission aufgefordert die Auswirkungen der Postliberalisierung auf die Arbeitsbedingungen zu untersuchen und dafür zu sorgen, dass die Universaldienstverpflichtungen der PostdienstleisterInnen eingehalten werden. Die schriftliche Erklärung ist unter dem Link

Schriftliche Erklärung zur Vermeidung negativer Auswirkungen im Hinblick auf die Vollendung des Binnenmarktes bei Postdiensten

zu finden.