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Bei einer öffentlichen Anhörung der Europäischen Kommission in Brüssel ging es diese Woche um die bisher gemachten Erfahrungen mit der Deregulierung von Börsen. Dabei wurde das Dogma deregulierter Märkte still und heimlich zu Grabe getragen. Auch bei der Regulierung der Rohstoffmärkte zeigt sich die Kommission lernbereit, allerdings wieder erst mit deutlichem zeitlichem Rückstand gegenüber den USA. Eine Führungsrolle für die EU sieht anders aus.

Die Kommission lud diese Woche zu einer zahlreich besuchten öffentlichen Anhörung zur Überarbeitung der sogenannten „MIFID-Richtlinie“ (Markets in Financial Instruments Directive) nach Brüssel ein. Was beim ersten Hinhören nach dem üblichen schwer verständlichen Finanz-Kauderwelsch klingt, ist bei näherer Betrachtung politisch brisant. Schließlich wurde die MIFID-Richtlinie 2004 von der Kommission verabschiedet, um das Zeitalter des Wettbewerbs zwischen regulierten Börsen und anderen nicht-börslichen Handelsplätzen in Europa auszurufen.

Deregulierung der Kommission führt zur Ausdehnung der Dunkelzone

Getreu der damals herrschenden Wettbewerbseuphorie und dem dogmatischen Glauben an die Effizienz deregulierter Märkte sollte MIFID den traditionellen Börsen, die im Regelfall gut reguliert und für die staatlichen Aufseher überschaubar sind, neue Wettbewerber verschaffen. Und das ist dank der Europäischen Kommission und den Mitgliedstaaten auch gelungen. Die heutige Landschaft des Handels mit Wertpapieren unterscheidet sich fundamental von jener im Jahr 2007, als die Richtlinie von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt wurde. Wurden 2007 noch 24 % aller Transaktionen auf „opaken“, also undurchsichtigen und unregulierten Handelsplattformen abseits von Börsen gehandelt, waren es 2010 bereits 40 %. Die Dunkelzone hat sich massiv ausgedehnt.

Schlag nach im neoliberalen Lehrbuch

Womit wurde diese Entwicklung eigentlich gerechtfertigt? Um diese Frage zu beantworten, genügt es, das neoliberale Lehrbuch aufzuschlagen. Mehr Angebot bedeutet mehr Auswahl, führt zu mehr Wettbewerb, und zu einem Sinken der Kosten, so das Credo, das auch von den fast ausschliesslich aus der Finanzindustrie kommenden DiskutantInnen des Hearings öffentlich nachgebetet wurde. So sollen die Kosten pro Transaktion seit Einführung der MIFID um 33 % gesunken sein.

Märkte zersplittert, Kosten runter, aber für wen?

Klingt gut, ist es aber nicht. Carlos Tavares, der Vorsitzende des europäischen Zusammenschlusses der Wertpapierregulatoren (CESR) erwähnte nur einige der Probleme. Das Auftauchen neuer alternativer Handelsplattformen wie elektronische Plattformen oder auch Dark Pools hat zu einer Fragmentierung, also einer Zersplitterung des Marktes geführt. Darunter hat vor allem die Regulierung gelitten, weil sie keine ausreichenden Aufsichts- und Kontrollmöglichkeiten hat. Die InvestorInnen suchen sich jeweils die Plattform und den Mitgliedstaat aus, wo es Regulierungam geringsten ist. Hat der „Wettbewerb“ tatsächlich den InvestorInnen genutzt? Auch das sei nicht sicher, so Tavares, da die Kostenersparnisse nicht immer an die EndinvestorInnen weitergegeben werden. Im Ergebnis hat die im Zeitalter der Markteuphorie verabschiedete MIFID neue Risiken geschaffen, die weder vorhergesehen noch bedacht wurden.

Deregulierung adieu: MIFID muss überarbeitet werden

In Zeiten wie heute, wo die Deregulierung von Märkten politisch nicht mehr salonfähig ist, und die größten Volkswirtschaften der Welt gelobten, alle Märkte und alle Finanzinstrumente regulieren zu wollen, ist auch die MIFID und das durch sie geschaffene Durcheinander nicht mehr haltbar. Die Kommission will sie überarbeiten und im gleichen Atemzug auch das Problem der Rohstoffspekulation in den Griff bekommen.

Märkte entwickeln sich schneller als Demokratie, hütet euch vor der Kluft!

Mit klaren Worten und geeint traten dann auch der französische Binnenmarktkommissar Michel Barnier und der rumänische Agrarkommissar Dacian Ciolos vor die Zuhörer. Barnier beklagte die zunehmende Kluft zwischen der Realwirtschaft und der Finanzwirtschaft. „Die Märkte entwickeln sich schneller als die Politik und die Demokratie“, so Barnier. In Bezug auf MIFID würden die einen sagen, dass Monopole zerschlagen und Transaktionen billiger geworden sind, während die anderen sagen, dass die Undurchsichtigkeit der Märkte zugenommen hat. Die „Kreativität“ der Finanzmärkte muss ihre Grenzen haben, so der Kommissar, die Märkte hätten selbst den Überblick verloren. „Hüten Sie sich vor der Kluft zwischen Real- und Finanzwirtschaft“, so Barnier zu den VertreterInnen der Finanzindustrie, ansonsten drohten Nationalismen und Protektionismus und der Binnenmarkt werde zum Opfer.

Die Kreativität der Finanzindustrie: Hochfrequenzhandel und Dark Pools

Konkrete Fortschritte mahnte der Kommissar bei der Überarbeitung der MIFID-Richtlinie ein. Es brauche mehr Transparenz gegenüber Regulierungsbehörden, und der Regelungsbereich muss über die bisher mit MIFID abgedeckten traditionellen Börsen und den Aktienhandel ausgedehnt werden. In Zukunft sollen auch Obligationen und Derivate unter die Richtlinie fallen. Mehr Transparenz wünscht sich Barnier auch bei Hochfrequenzhandel und Dark Pools, einer weiteren „kreativen Innovation“ der Finanzbranche. Dabei bringen Banken über hauseigene Handelsnetze selbst KäuferInnen und VerkäuferInnen zusammen und können von beiden Seiten Provisionen kassieren, ohne Börsengebühren zahlen zu müssen.

Barnier und Ciolos vereint gegen Rohstoffspekulation

Barnier und der rumänische Agrarkommissar Dacian Ciolos zeigten sich im Einklang entrüstet über Rohstoffspekulationen. Barnier kündigte an, die Richtlinie über Marktmissbrauch zu verbreitern, um Rohstoffmärkte mit zu umfassen. Ciolos wies darauf hin, dass die Kursausschläge an den Rohstoffmärkten noch nie so hoch waren wie heute. Bei  Milch und Weizen hätte sich die Zahl der Kontrakte zwischen Juli und September verdoppelt. Dies sei eine „unverhältnismäßige Entwicklung“, so der Kommissar, da die Ernte in Europa gut sei. Spekulation sei nicht die Rolle der Rohstoffmärkte, exzessive Preisschwankungen müssten eingebremst werden, so Ciolos.

Rohstoffe sind so wie Aktien und Anleihen zur Finanzanlage geworden

Michel Prada, ehemaliger Vorsitzender der französischen Finanzmarktaufsicht, verwies auf die umfassenden Aktivitäten Frankreichs beim Thema Rohstoffspekulation und hob den Bericht von Jean-Marie Chevalier zur Volatilität an den Ölmärkten im Auftrag der französischen Regierung hervor. Die Erfahrung zeige, dass Angebot und Nachfrage an den Warenmärkten nicht mehr funktioniert, wie man an den Beispielen von Kupfer, Kakao, Kohlendioxid, Erdöl, usw. erkennen könne. Die Rohstoffmärkte seien zu stark „finanziarisiert“, Rohstoffe seien zur Aktivaklasse wie andere Finanztitel auch geworden und würden zur Diversifizierung von Anlageportfolios verwendet. Alleine Erdöl werde 35 Mal mehr gehandelt als notwendig.

USA wieder einmal voraus, Europa zappelt nach

Erschwert werde diese Entwicklung durch eine extreme Fragmentierung der Handelsinfrastruktur. Die Vergabemärkte seien immer öfter unreguliert, der Marktmissbrauch besorgniserregend. Der Wettbewerb zwischen den Handelsplattformen habe zwar zugenommen, die Regulierung aber abgenommen. Die Transparenz an den Märkten sei völlig mangelhaft, es fehle an Informationen und die Qualität des Reporting sei schlecht, so Prada. Bei Rohstoffen sollte jetzt darauf geachtet werden, nicht die Fehler zu wiederholen, die an Finanzmärkten gemacht wurden. Prada sprach sich für ein eigenes europäisches Rechtsinstrument zur Regulierung von Rohstoffmärkten aus. Die USA seien hier mit dem Dodd-Frank Act weit voraus. Frankreich wolle seine G20-Präsidentschaft im nächsten Jahr nutzen, um sich bei diesem Thema stark zu engagieren.

Industrie: Die Welle zählt und nicht die Gischt

Die VertreterInnen der Finanzindustrie wollten bei diesem Thema allerdings nur eine Sichtweise zulassen: Die Preise an den Rohstoffmärkten würden nur von Angebot und Nachfrage bestimmt, die Spekulation sei bloß eine Randerscheinung. „Die Fundamentaldaten sind die Wellen, die Spekulation ist die Gischt“, so ein Bankenvertreter. Tatsächlich bereitet sich die Industrie auf die nächste Lobbyschlacht vor. Der Widerstand wird wieder von London angeführt werden, wo die wichtigsten Rohstoffbörsen und jene Banken, die am stärksten mit Rohstoffen spekulieren, beheimatet sind.

Zurück zum business-as-usual

Die geballte Übermacht der Finanzlobby beim Hearing der Kommission – von rund 50 DiskutantInnen waren ganze 2 dem Konsumentenschutz- oder NGO-Bereich zuzuordnen – führte zu der Bemerkung eines Konsumentenschützers: „Die Kommission ist wieder zum business-as-usual zurückgekehrt, inklusive dem einseitigen Vor-Krisen-Dialog zwischen Industrie und Kommission.“

Die Vorschläge der Kommission zur Überarbeitung von MIFID werden für das Frühjahr 2011 erwartet. Vorher soll es eine öffentliche Konsultation geben.

Weiterführende Informationen:

Bericht von Jean-Marie Chevalier an die französische Regierung über die Volatilität an den Ölmärkten (nur in Französisch)

Bericht der IOSCO Task Force an die G20 zu den Rohstoffbörsen (nur in Englisch)