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Die 7. Legislaturperiode im Europäischen Parlament bringt einige bedeutende Veränderungen: Von den politischen Mehrheitsverhältnissen haben die wirtschaftsnahen Parteien mit rund 55 Prozent nun eindeutig die Nase vorne. Knapp 50 Prozent der EU-Abgeordneten sind neu im EU-Parlament und werden sich wohl erst einarbeiten müssen.
Bereits in der 6. Legislaturperiode vereinten die Europäische Volkspartei (EVP) und die Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE) über 49 Prozent der Mandate auf sich. Nun verfügen diese beiden Parteien gemeinsam mit der von der Volkspartei abgespaltenen neuen Fraktion „Europäische Konservative und Reformisten“ (ECR) über rund 55 Prozent der Sitze.

Die bisherige Sozialdemokratische Partei Europas hat sich einen neuen – sehr kreativen – Namen gegeben und heißt nun „Fraktion der progressiven Allianz der Sozialisten und Demokraten im Europäischen Parlament“, abgekürzt S&D genannt. Sie verfügt über rund 25 Prozent der Mandate. Die Europäischen Grünen verfügen genauso wie die Europäischen Konservativen mit 55 Mandaten über rund 7,5 % der Sitze. Die „Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke“ kommt mit 35 Sitzen auf einen Anteil von 4,8 Prozent im Europäischen Parlament. Die kleinste Fraktion ist „Europa der Freiheit und der Demokratie“ (EFD) mit 4,3 Prozent der Stimmen bzw. 30 Mandaten.


EPP : Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten)
S&D : Fraktion der progressiven allianz der sozialisten und demokraten im Europäischen Parliament ALDE : Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa GREENS/ EFA : Fraktion der Grünen / Freie Europäische Allianz
ECR : Europäische Konservative und Reformisten
GUE/ NGL : Konföderale Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke
EFD : Fraktion „Europa der Freiheit und der Demokratie“
NA : Fraktionslos

Quelle: Europäisches Parlament


Österreich als Ausreißer mit 29,4 Prozent fraktionslosen EU-Abgeordneten
Bei den EU-Wahlen war das Abstimmungsergebnis in Österreich besonders bemerkenswert: Sowohl die Liste Hans-Peter Martin mit 3 Mandaten als auch die Freiheitliche Partei Österreichs mit 2 Mandaten gehören keiner Fraktion an. Gibt es im gesamten Europäischen Parlament mit 25 EU-Abgeordneten nur rund 3,5 Prozent ohne Fraktionszugehörigkeit, so hält Österreich mit 5 MandatarInnen bzw. 29,4 Prozent der österreichischen EU-ParlamentsvertreterInnen den absoluten Rekord an Abgeordneten eines Mitgliedslandes, die keiner Fraktion zuzuordnen sind. Die gerne als „unabhängig“ titulierten Abgeordneten haben in der Praxis kaum Einfluss auf den Legislativprozess – mangels anderer EU-Abgeordneter, die sich mit ihnen verbunden fühlen.

Mit 9 neu von insgesamt 17 im Parlament vertretenen Mandataren liegt Österreich etwas über dem Schnitt an Neulingen im Europäischen Parlament: 369 EU-Abgeordnete waren bereits letzte Periode im Europäischen Parlament vertreten, 367 sind jedoch neu.

Ausschüsse: : Überraschend großer Einfluss der Sozialisten & Demokraten

Verschiebungen bei den Kompetenzen der Ausschüsse gibt es keine. Überraschend ist jedoch, dass die progressiven Sozialisten und Demokraten den Vorsitz in 8 Ausschüssen übernehmen werden, darunter der Beschäftigungsausschuss, der Bürgerliche Freiheitenausschuss, der Umweltausschuss und der Verkehrsausschuss. Die stärkste Fraktion im Europäischen Parlament, die EVP, wird nur 7 Ausschussvorsitzende stellen, die Grünen und die Fraktion „Europa der Freiheit und der Demokratie“ je 2, die Liberalen, die Europäischen Konservativen und die Vereinigte Europäische Linke je einen Ausschuss.

In welchen Ausschüssen die österreichischen EU-Abgeordneten sitzen

In den für die österreichischen ArbeitnehmervertreterInnen besonders wichtigen Ausschüssen sind leider nur teilweise österreichische EU-Abgeordnete zu finden:
  • Im Beschäftigungsausschuss gibt es kein österreichisches Mitglied; Als Stellvertreter sind aber Evelyn Regner (SPÖ) und Franz Obermayr (FPÖ) im Ausschuss zu finden.
  • Im Binnenmarkt- und Verbraucherschutzausschuss ist ebenfalls kein österreichisches Mitglied vertreten. Othmar Karas (ÖVP) fungiert dort allerdings als Stellvertreter.
  • Im Wirtschafts- und Währungsausschuss sind Othmar Karas (ÖVP) und Hans-Peter Martin (HPM) Mitglieder.
  • Im Rechtsausschuss ist Evelyn Regner (SPÖ) Vizepräsidentin, Eva Lichtenberger (Grüne) ist Stellvertreterin.
  • Im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie wiederum ist Paul Rübig (ÖVP) Mitglied, Hannes Swoboda (SPÖ) Stellvertreter.
  • Äußerst gut vertreten ist Österreich dafür im Verkehrsausschuss mit den Mitgliedern Jörg Leichtfried (SPÖ), Eva Lichtenberger (Grüne) und Hella Ranner (ÖVP).
  • Im Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit sind zwei östereichische Mitglieder zu finden: Karin Kadenbach (SPÖ) und Richard Seeber (ÖVP)

Andere Ausschüsse, in denen österreichische EU-Abgeordnete als Mitglieder zu finden sind, sind der
  • Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten, der für die österreichischen EU-Abgeordneten offensichtlich von extremer Bedeutung ist, mit Hannes Swoboda (SPÖ), Ernst Strasser (ÖVP), Andreas Mölzer (FPÖ) und Ulrike Lunacek (Grüne) – dies obwohl das EU-Parlament derzeit in Fragen der Außenpolitik kaum etwas zu sagen hat
  • der Haushaltsausschuss mit Angelika Werthmann (HPM)
  • der Haushaltskontrollausschuss mit Elisabeth Köstinger (ÖVP) and Martin Ehrenhauser (HPM)
  • der Regionalausschuss mit Franz Obermayr (FPÖ)
  • der Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung mit Elisabeth Köstinger (ÖVP)
  • der Petitionsausschuss mit Ernst Strasser (ÖVP) und Angelika Werthmann (HPM)
  • der Menschenrechtsausschuss mit Jörg Leichtfried (SPÖ) und
  • der Sicherheits- und Verteidigungsausschuss mit Ulrike Lunacek (Grüne) and Ernst Strasser (ÖVP)

Erstmals Parlamentspräsident aus den neuen Mitgliedstaaten
Mit Jerzy Buzek (EVP), dem ehemaligen polnischen Premierminister, gibt es erstmals einen Parlamentspräsidenten aus den neuen Mitgliedstaaten. Eine Vereinbarung der EVP mit der S&D sieht vor, dass er zur Halbzeit der Legislaturperiode von einem Mandatar der S&D abgelöst werden soll. Dem Vernehmen nach soll dies Martin Schulz, der Vorsitzende der S&D, sein.

Freies Spiel der Kräfte
Obwohl wie zu Beginn des Artikels dargestellt EVP, ALDE und ECR zusammen auf 404 Mandate bzw. 55 Prozent der Stimmen kommen, gibt es im Europäischen Parlament keine Koalition oder fixe Zusammenarbeit zwischen den Fraktionen so wie es in den nationalen Parlamenten üblich ist. Mehrheiten ergeben sich von Gesetzesvorschlag zu Gesetzesvorschlag. Oft gibt es sogar innerhalb der Fraktionen unterschiedliche Positionen, was sich dann auch im Abstimmungsverhalten widerspiegelt. Nachdem die wirtschaftsnahen Parteien jedoch über eine derart deutliche Mehrheit verfügen, wird sich dies auch in der politischen Arbeit niederschlagen.

Man darf gespannt sein, welche Ergebnisse die Richtlinie zu den Rechten für Verbraucher oder bei der Arbeitszeitrichtlinie (die vermutlich in dieser Legislaturperiode neuerlich auf die Tagesordnung kommen wird) bringen wird. Zu befürchten ist, dass die Interessen der Wirtschaft noch mehr im Vordergrund stehen werden, die ArbeitnehmerInnen- und KonsumentInneninteressen könnten das Nachsehen haben. Pikant auch die Frage, wie das Europäische Parlament auf die Gesetzesvorschläge, die die Kommission aufgrund der Finanz- und Weltwirtschaftskrise veröffentlicht, reagieren wird. Die von der Kommission bereits veröffentlichten Texte, zum Beispiel zu Derivaten, sind enttäuschend.

Bei anstehenden Veröffentlichungen wie zum Europäischen Finanzaufsichtsystem, zu Kapital- und Liquiditätsregeln für Banken, zur Überprüfung der Prospektrichtlinie, zur Richtlinie über Systeme für die Entschädigung der Anleger oder zur Marktmanipulationsrichtlinie wird sich zeigen, ob die VertreterInnen des EU-Parlaments Interesse an einer Änderung der bisherigen liberalen laissez-faire-Politik haben oder es weiterlaufen lassen wie bisher und damit eine neuerliche Finanzkrise riskieren.


Weiterführende Informationen:

Europäisches Parlament