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Teile der Europäischen Kommission möchten scheinbar die Finanzkrise dazu nutzen, um ihre in den vergangenen Jahren praktizierte und gescheiterte neoliberale Politik munter fortzusetzen. Jüngstes Beispiel ist der diese Woche in Brüssel präsentierte „Bericht über die öffentlichen Finanzen 2009“. Seine Kernbotschaften: Sparen bei den Arbeitnehmern und den Pensionisten, noch mehr Geld für die Banken.
Der jährlich veröffentlichte Bericht der Kommission zur Lage der Haushalte der Mitgliedstaaten widmet sich dieses Jahr dem Thema, wie die Budgets der EU-27 sich aufgrund der Finanz- und Wirtschaftskrise entwickelt haben. In einem Rückblick auf vergangene Bankenkrisen kommt die Kommission dabei zum wenig überraschenden Ergebnis, dass Bankenkrisen den Steuerzahler teuer zu stehen kommen. So verschlang die Rettung von Banken während der Argentinienkrise 1980 rund 55% der Wirtschaftsleistung des südamerikanischen Landes, ähnlich hoch waren die Kosten der Bankenkrise in Indonesien 1997. Im Schnitt lagen die Kosten von weltweiten Bankenkrisen seit 1970 bei 13% des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Von den Geldern, die der Staat in der Vergangenheit den Banken zur Rettung zur Verfügung stellte, konnte nur weniger als ein Fünftel zurückgezahlt werden.

Auf Basis der Kosten der 49 untersuchten Bankenkrisen der letzten 40 Jahre versucht die Kommission, Rückschlüsse auf die gegenwärtige Krise, der schwersten und globalsten Finanzkrise seit Ende des 2. Weltkrieges, zu ziehen. In der gesamten EU wurden bisher Hilfsmaßnahmen für die Banken in Höhe von beträchtlichen 43,6% des EU-27-BIP bereitgestellt. Tatsächlich in Anspruch genommen wurden sie im Ausmaß von 12,8% des BIP. Die große Differenz erklärt sich daraus, dass staatliche Garantien und Bürgschaften den weitaus größten Anteil (mehr als die Hälfte) am gesamten Hilfspaket für die Banken ausmachen, und dass diese Garantien bisher nicht in vollem Umfang beansprucht wurden.

Die Hoffnung der Finanzminister und der Steuerzahler ist, dass dies so bleibt. Ob sie berechtigt ist, hängt maßgeblich vom weiteren Verlauf der Krise ab. Hier zieht die Kommission eine weitere Lehre aus vergangenen Krisen: Um die Krise so rasch wie möglich zu überwinden, sollten die betroffenen Staaten die Sanierung der Banken schnell, entschlossen und umfassend durchziehen. Ein Hinweis auf das Problem der „toxischen“ Wertpapiere, die viele Banken noch in ihren Büchern haben, und für die bisher noch keine tragfähige Lösung gefunden wurde. Für einen Aufkauf dieser Papiere durch die öffentliche Hand, wie ihn die Kommission propagiert, müssten die betroffenen Mitgliedstaaten weitere Milliarden bereitstellen – ein politisch heikles Unterfangen, dass die Budgetdefizite noch weiter in die Höhe treiben würde.

Die sind derzeit schon hoch genug. Hatten die EU-Länder 2007 noch ein durchschnittliches Budgetdefizit von 0,7%, so soll es bis 2010 auf 5,5% steigen. Auch die öffentliche Verschuldung – das zweite der drei „Maastricht-Kriterien“ des Stabilitäts- und Wachstumspaktes – steigt rasant an. Betrug sie 2007 noch 58,7% des EU-27-BIP, so wird für 2010 ein Wert von 79,4% des BIP erwartet. Ergebnisse des massiven Einbruchs des Wirtschaftswachstums, der Kosten steigender Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit, und der öffentlichen Hilfsmaßnahmen für die Banken.

Aufschlussreich für die wirtschaftspolitische Haltung der Kommission ist in dieser Situation ihr Lösungsvorschlag, der im Bericht als „Rückzugsstrategie“ bezeichnet wird. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt sei in stürmischen Zeiten der Kompass, so die Kommission, und eröffnet sogenannte Defizitverfahren gegen 20 der 27 Mitgliedstaaten. Die Budgetdefizite sollen wieder unter die „magische“ 3-Prozent-Grenze gesenkt werden, und das in einer sehr kurzen Frist, die in manchen Ländern 2010, in anderen 2013 endet. Sparen in der Krise, zu einer Zeit, in der der Verlauf der Krise noch nicht absehbar und die Auswirkungen noch lange nicht in vollem Umfang auf den Arbeitsmärkten angekommen sind.

Abgelehnt muss auch ein weiteres neoliberales „Rezept“ der Kommission werden. Der Bericht fordert eine „Reform der alterungsbedingten Ausgaben“, also der Pensionssysteme, ohne dass irgendein direkter Zusammenhang mit dem finanzkrisenbedingten Anstieg der öffentlichen Verschuldung erkennbar wäre. Die Krise soll hier scheinbar genutzt werden, um öffentliche umlagefinanzierte Pensionssysteme zu diskreditieren und den angeschlagenen Ruf privater, kapitalgedeckter Pensionssysteme wiederherzustellen – also genau jener privaten Systeme, die in der Krise auf Kosten der Pensionisten besonders schlecht abgeschnitten haben.

Aus Sicht der Arbeitnehmer muss an dem Bericht kritisiert werden, dass wesentliche Themen nicht oder nicht ausreichend angesprochen werden. Dazu zählt in erster Linie die mangelhafte Regulierung der Finanzmärkte, die lange von der Kommission im Rahmen ihrer Deregulierungsideologie gefördert wurde, und die erst zur Krise und zum Anstieg der Verschuldung geführt hat. Auch die weiterhin einseitige Ausrichtung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, der Inflationsbekämpfung über Wirtschaftswachstum und Beschäftigung stellt, wird von der AK ebenso wie von vielen anderen Wissenschaftlern, Organisationen und Politikern kritisiert.


Weiterführende Informationen:

Public Finances in EMU 2009 (nur in Englisch verfügbar)