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Die Regulierung der Finanzmärkte erreicht einen traurigen Höhepunkt. Am vergangenen Wochenende trafen sich die Regierungschefs der 20 größten Volkswirtschaften in Kanada, um über strengere Regeln für die Finanzmärkte zu diskutieren. Herausgekommen ist allerdings nichts anderes als die Willensbekundung, die Budgetdefizite bis 2013 zu halbieren. Weder bei der Bankenabgabe, noch bei der Finanztransaktionssteuer oder bei der Einführung strengerer Eigenkapitalregeln gab es eine Einigung. Führende PolitikerInnen zweifeln angesichts der mageren Ergebnisse bereits an der Sinnhaftigkeit der teuren Monstertreffen. Fakt ist, dass die Verursacher der Krise – die Banken – mit teuren Lobbykampagnen erfolgreich den Eindruck erwecken, als ob strengere Regeln für sie zum Zusammenbruch der Wirtschaft führen würden. Und auch das Europäische Parlament ist auffällig kleinlaut geworden.

EU-Abgeordnete rufen nach Hilfe

Es sind historische Zeiten, die Europa derzeit erlebt. Wie sonst wäre es zu erklären, dass Europaabgeordnete der Konservativen, der Liberalen, der Grünen und der SozialdemokratInnen in einem gemeinsamen Aufruf darauf hinweisen, dass die LobbyistInnen der Finanzindustrie eine Gefahr für die Demokratie in Europa darstellen? „Wir sind uns ... über die Notwendigkeit einig, die Öffentlichkeit auf die Gefahren für die Demokratie aufmerksam zu machen“, steht in dem Aufruf zu lesen. Und weiter: „Wir, die für die Regulierung des Finanz- und Bankensektors verantwortlichen Abgeordneten, rufen daher die Zivilgesellschaft (NRO, Gewerkschaften, AkademikerInnen, Think Tanks...) auf, eine oder mehrere Nichtregierungsorganisationen zu bilden, um eine Gegenexpertise zu den auf den Finanzmärkten durch die wichtigsten MarktteilnehmerInnen ausgelösten Vorgänge zu entwickeln (Banken, Versicherungsgesellschaften, Hedge Funds,...) und diese Erkenntnisse effizient über die Medien zu verbreiten“.

Ist das EP bei der Regulierung der Finanzmärkte überfordert?

So richtig und wichtig der Hinweis der Abgeordneten auf die Gefährdung der Demokratie durch die übermächtigen Interessen der Finanzindustrie auch ist, für die BürgerInnen und ArbeitnehmerInnen bleibt dennoch ein bitterer Nachgeschmack von Hilflosigkeit. Schließlich ist es ureigenste Aufgabe von demokratisch legitimierten VolksvertreterInnen, dafür zu sorgen, dass unterschiedliche Positionen abgewogen und im Interesse des Gemeinwohls entschieden werden. Diese parlamentarische Verantwortung jetzt an Dritte delegieren zu wollen lässt erahnen, welches Schicksal die groß angekündigten Reformen des Finanzsektors im Europäischen Parlament erwartet.

G20: Alle wollen ihre nationalen Finanzindustrien vor zu viel Regeln schützen

Auch die Chefs der G20 haben sich am vergangenen Wochenende bei ihrem Treffen in Toronto nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Bei Ausbruch der Krise hatten die G20 Großes gelobt. Sie wollten mit vereinten Kräften an einem Strang ziehen und die Finanzmärkte an die Leine legen. Nachdem eine weltweite Kernschmelze bisher verhindert werden konnte, ist jetzt wieder nationaler Alleingang angesagt. Finanzmärkte sind ein Instrument nationaler Wirtschafts- und Machtpolitik. Da liegt es nahe, dass kein Land einen vermeintlichen Startnachteil durch zu strenge Regeln für seine Finanzindustrie riskieren will. Logisches Ergebnis: Der über 900 Mio. EUR teure Gipfel brachte weder ein Ergebnis zu einer internationalen Bankenabgabe, noch zur Finanztransaktionssteuer.

Scheinbarer Konsens: Banken brauchen mehr Eigenkapital

Am bedenklichsten ist das Nicht-Ergebnis beim Thema Eigenkapital der Banken. Die jahrzehntelange Deregulierung der Banken hatte zum Ergebnis, dass bei Ausbruch der Krise die Banken praktisch über keine nennenswerten Eigenkapitalpolster verfügten. Als die riskanten Spekulationsgeschäfte dann schief liefen, waren keine Reserven vorhanden, um die Verluste aufzufangen – der Steuerzahler musste einspringen. Eine von allen ExpertInnen geteilte Lehre aus der Krise war demnach, dass die Banken in Zukunft wesentlich höhere Eigenkapitalpolster brauchen. Und auch das Europäische Parlament sprach sich lautstark für strenge europäische Regeln aus.

PolitikerInnen wollen von eigenen Versprechen nichts mehr wissen

Mittlerweile ist auch bei diesem Thema Stille eingekehrt. Die G20 wollten sich auf keine international koordinierten Regeln für höhere Eigenkapitalquoten der Banken einigen. An Stelle von schnellem Handeln will man jetzt langsam vorgehen und frühestens Ende 2012 zu Regeln kommen, die dann auch noch von Land zu Land zu unterschiedlichen Zeitpunkten umgesetzt werden sollen. Eine ähnliche Linie vertritt auch das Europäische Parlament, das sich von seinem eigenen europäischen Ehrgeiz verabschiedet hat.

Sinneswandel ist millionenschwerem Lobbying der Banken zu verdanken

Hintergrund für diesen plötzlichen Sinneswandel sind massive Lobbykampagnen der Finanzindustrie. Mit fragwürdigen Auftragsstudien werden von der Bankenlobby Horrorszenarien an die Wand gemalt. So jüngst beim Jahrestreffen der internationalen Finanzelite in Wien, das gleich dazu genützt wurde, eine „brandneue“ Studie zu präsentieren. Ergebnis dieser Studie: Wenn die Banken stärker reguliert würden, würde über einen Zeitraum von 10 Jahren das Wirtschaftswachstum um 4 Prozentpunkte niedriger ausfallen und 5 Millionen Arbeitsplätze nicht geschaffen werden. Wahrlich beeindruckend, wenn man bedenkt, dass nach den offiziellen Zahlen der Europäischen Kommission alleine die staatlichen Bankenhilfspakete 15% der Wirtschaftsleistung der EU27 ausgemacht haben.

Es gibt Gegenexpertise, aber sie muss auch aufgegriffen und durchgesetzt werden

Aufgabe der PolitikerInnen wäre es, solchen durchsichtigen Medieninszenierungen entgegen zu treten und die BürgerInnen und ArbeitnehmerInnen über die realen Fakten zu informieren. So kommt beispielsweise der Generaldirektor der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, Jaime Caruana, zu einer ganz anderen Einschätzung als die Bankenlobby. Strengere Regeln und mehr Eigenkapital der Banken sind nicht so gefährlich, wie die Banken uns glauben machen wollen. „Auf kurze Sicht dürfte ihre Wirkung auf die Nachfrage gering und vorübergehend sein. Und auf lange Sicht hat es beträchtliche Vorteile, wenn Finanzkrisen weniger wahrscheinlich und weniger kostspielig werden“, so Caruana. Es herrscht demnach kein wirklicher Mangel an „Gegenexpertise“, sie muss nur von den PolitikerInnen angenommen und auch durchgesetzt werden. Und zwar auch gegen den Widerstand der nationalen und internationalen Finanzindustrie.

Weiterführende Informationen:

Rede von BIZ Generaldirektor Jaime Caruana

Jahresbericht der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich

Presseaussendung des Europäischen Bankenverbands (nur in Englisch verfügbar)

Studie des IIF zu den gesamtwirtschaftlichen Kosten der Finanzmarktregulierung (nur in Englisch verfügbar)