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Diese Woche stand das so genannte 4. Eisenbahnpaket im Verkehrsausschuss des Europäischen Parlaments im Zentrum der Diskussion. In einem weiteren Liberalisierungsschritt soll nun auch der Schienenpersonenverkehr für den Markt geöffnet werden. Aus diesem Anlass hat AK EUROPA gemeinsam mit der Verkehrs- und Dienstleistungsgewerkschaft vida und dem ÖGB Europabüro vergangenen Montag zu einer Podiumsdiskussion geladen. Im Fokus der Diskussion: Welche Auswirkungen haben die Pläne der Kommission auf Beschäftigte und Passagiere.
Bereits seit vielen Jahren verfolgt die Europäische Kommission eine Liberalisierungsstrategie für die Bahn, die Stück für Stück gesellschaftspolitische durch wirtschaftspolitische Ziele ersetzt. So nun auch beim Schienenpersonenverkehr, wo die Kommission eine verpflichtende Ausschreibung der einzelnen Streckenabschnitte vorsieht. Das Ziel dabei ist klar: Privatunternehmen picken sich die gewinnträchtigen Strecken heraus, während die öffentliche Bahn dann auf jenen Routen „sitzen bleibt“, die keine Gewinne beziehungsweise sogar Verluste abwerfen. Unterm Strich gibt es bei dieser Liberalisierung hauptsächlich einen Gewinner, nämlich auf der Schiene tätige Privatkonzerne.

Studie: Eisenbahnliberalisierung negativ für Beschäftigte, Passagiere und öffentliche Hand

Eine neue von AK, vida, der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten, dem österreichischen Städtebund und dem Verband der öffentlichen Wirtschaft und Gemeinwirtschaft Österreichs veröffentlichte Studie zur Liberalisierung des Eisenbahnpersonenverkehrs zeigt deutlich, dass sich in Ländern, in denen einzelne Routen bereits ausgeschrieben werden, die Situation für Passagiere, Beschäftigte und Staat verschlimmert. Untersucht wurde dabei die Lage in Schweden, Deutschland und Großbritannien. Sowohl bei den Löhnen als auch bei den Arbeitsbedingungen sind hier Verschlechterungen zu beobachten. Für den Passagier machen sich deutliche Qualitätseinbußen durch die Bahnliberalisierung bemerkbar. Auch die Bahntickets wurden signifikant teurer. Für die öffentliche Hand sind zudem Zusatzkosten zu verzeichnen, weil gewinnträchtige Strecken wegfallen und nur noch die verlustbringenden Routen bedient werden können.

AK/vida/ÖGB-Podiumsdiskussion zeigt Folgewirkungen der Eisenbahn-Liberalisierungspolitik auf


Im Rahmen einer Podiumsdiskussion hat AK, vida und ÖGB neuerlich auf die negativen Folgen der Liberalisierungspolitik bei der Bahn aufmerksam gemacht und die EU-Abgeordneten um ihre Meinung gebeten. Leider haben sowohl die EU-Mandatare der Europäischen Volkspartei, der Liberalen und der Grünen ihre Teilnahme aus unterschiedlichen Gründen abgesagt. Der sozialdemokratische EU-Abgeordnete Said El Khadraoui stellte sich jedoch der Diskussion am Panel mit Sabine Trier von der Europäischen Transportarbeiter-Föderation, Trevor Garrod vom Europäischen Fahrgastverband und Heinz Högelsberger von der vida.

Said El Khadraoui: Sozialstandards für Beschäftigte und Passagierrechte sichern


EU-Abgeordneter El Khadraoui, einer der Berichterstatter zum 4. Eisenbahnpaket im Europäischen Parlament, mahnte im Rahmen der Diskussion zur Vorsicht bei der Marktöffnung im Eisenbahnbereich. Man müsse auf ein Gleichgewicht achten und sich nicht nur auf die wirtschaftspolitischen Wünsche konzentrieren, so der Sozialdemokrat. Der EU-Abgeordnete sprach sich für die Möglichkeit aus, dass der Schienenpersonenverkehr direkt selbst von der öffentlichen Hand erbracht werden kann (im Fachjargon „Direktvergabe“ genannt) und nicht, wie es sich die Kommission wünscht, auch für PrivatanbieterInnen ausgeschrieben werden muss. Auch die komplette Trennung der Eisenbahninfrastruktur vom –betrieb hält er nicht für sinnvoll. Die Sozialstandards für die Beschäftigten und die Passagierrechte müssten gesichert werden, so El Khadraoui. Eine Lizenz zum Betrieb eines Eisenbahnunternehmens dürfe es nur geben, wenn sich der Betreiber zur Einhaltung der Kollektiv- bzw. Tarifverträge verpflichte.

Sabine Trier: Kommissionsvorschlag ist pure Ideologie


Der EU-Kommission gehe es mit ihrem aktuellen Paket ausschließlich um Kostensenkung, so die Kritik der stellvertretenden Generalsekretärin der Europäischen Transportarbeiterföderation (ETF). Die Erfahrung zeige, dass zu 70 Prozent der Preis und nur zu 30 Prozent die Qualität der Bahndienstleistung bei Ausschreibungen ausschlaggebend sei. Nirgends aber sei in dem aktuellen Vorschlag die Rede vom Mehrwert als Öffentliche Dienstleistung, der sogar in den EU-Verträgen verankert ist. Vielmehr kam mit jedem weiteren Eisenbahnpaket Schritt für Schritt ein weiterer Angriff auf die Rechte und sozialen Standards der Angestellten. Trier erinnerte, dass das EU-Parlament selbst bereits 1998 in einer Resolution gefordert hatte, dass nach jedem Liberalisierungsschritt die Auswirkungen auf ArbeitnehmerInnen evaluiert werden sollten. Doch selbst nach inzwischen drei Paketen war dies nie der Fall. Durch Outsourcing geben es oft zwei Klassen von ArbeitnehmerInnen, jene mit guten und jene mit schlechten Arbeitsbedingungen, schildert Trier die Situation. Eine der ETF Forderungen ist daher eine Regelung für den Übergang der ArbeitnehmerInnen zu denselben Beschäftigungsbedingungen im Falle eines Anbieterwechsels. Für den neuen Arbeitgeber solle diese verpflichtend sein, die ArbeitnehmerInnen sollten hingegen die Wahl haben.

Trevor Garrod: Unternehmen Lizenz bei Unzufriedenheit der VerbraucherInnen entziehen

Der Vorsitzende des Europäischen Fahrgastverbands, Trevor Garrod, wies in seinem Redebeitrag darauf hin, dass die jeweiligen Umstände in den einzelnen Mitgliedsstaaten sehr unterschiedlich seien und deshalb eine Einheitslösung für alle, wie sie die Kommission mit dem 4. Eisenbahnpaket vorschlägt, sehr skeptisch zu beurteilen sei. Aus Sicht der Passagiere gelte es, einige klare Kriterien wie beispielsweise niedrige Preise oder höhere Qualitätsstandards einzuhalten. Die derzeitige Fragmentierung des Eisenbahnsektors behindere auch die Durchsetzung der Rechte der Beschäftigten in diesem Sektor. Grundsätzlich meinte Garrod, dass die von der Kommission verfolgte Strategie der Trennung von Netzen und Betreibern in Ordnung sei, solange man begreife, dass die Arbeit im Eisenbahnsektor Teamarbeit sei. Am Beispiel Nordirlands, das keine derartige Trennung kenne, versuchte Garrod seine These zu untermauern, dass das von der Kommission vorgeschlagene Prinzip des sogenannten „Unbundling“ (also der Trennung von Netz und Betrieb) unter gewissen Umständen nichts bringe, unter anderen Umständen aber durchaus sinnvoll sein könne, wenn es nicht unreflektiert auf alle Länder darübergestülpt werde. In jedem Fall sollten, wenn verpflichtende Ausschreibungen verbindlich sein sollen, auch sichergestellt sein, dass jene Unternehmen, die sich an der Ausschreibung beteiligen wollen, verpflichtend vor ihrer Bewerbung Konsumentenschutzorganisationen konsultieren müssen. Unternehmen, die eine Ausschreibung gewonnen haben, müsse die Lizenz auch wieder entzogen werden können, wenn sich herausstellt, dass die VerbraucherInnen unzufrieden sind. Auch sollte es den aktuellen Betreibern möglich sein, sich ebenfalls an einer Ausschreibung zu beteiligen, so Garrod.

Heinz Högelsberger: Mehr Kooperation statt Wettbewerb notwendig

Für Heinz Högelsberger, Experte bei der österreichischen Verkehrs- und Dienstleistungsgewerkschaft vida, zielt das vierte Eisenbahnpaket der Kommission wieder nur einseitig auf eine Liberalisierung und Deregulierung des Bahnverkehrs ab: Bahnunternehmen sollen in ganz Europa konkurrieren können, Binnenmarkt und Wettbewerbsorientierung dienen als einzige Richtschnur für diesen sehr heiklen Verkehrsbereich, der ja auch öffentliche Dienstleistungen zu erfüllen hätte. Diese betrifft insbesondere den Personennahverkehr. Statt Wettbewerb bräuchte es mehr Kooperation und Abstimmung zwischen den Anbietern – auch im Interesse der KonsumentInnen. Mit dem Vorschlag der Kommission bestehe die Gefahr, dass die sozialen Rechte der MitarbeiterInnen und deren Löhne langfristig als Wettbewerbsnachteile betrachtet werden und es – ähnlich wie bei den europäischen Bus- und LKW-FahrerInnen – zu Lohndumping in Europa komme. Auch weil die Personalkosten der einzige Ausgabenposten für einen Privatanbieter sein werden, bei denen man billiger als andere Anbieter sein könne. Der Gewerkschafter fordert, dass die MitarbeiterInnen bei einem möglichen Wechsel zu einem konkurrierenden Anbieter dieselben Vertragsbedingungen mitnehmen könnten. Es brauche statt weiterer Liberalisierungsschritte politischen Rückhalt und Konzepte, um den Bahnverkehr gegenüber der Straße zu stärken. Gute öffentliche Dienstleistungen im Verkehrsbereich bräuchten heute dreierlei: Gut ausgebildete und sozial abgesicherte MitarbeiterInnen, eine effiziente und kooperative Planung und Organisation des Verkehrssystems und letztlich eine gute finanzielle Ausstattung, mit der diese Aufgaben und der universelle Zugang zu den Dienstleistungen gesichert werden kann.

Wie geht es bei den Verhandlungen weiter?


Im Herbst ist die Abstimmung über das 4. Eisenbahnpaket im Verkehrsausschuss geplant, auf der Tagesordnung des Plenums soll es Anfang 2014 stehen. Selbst wenn das Europäische Parlament für eine verpflichtende Ausschreiben des Schienenpersonenverkehrs stimmen sollte, was aus heutiger Sicht zu befürchten ist, ist trotzdem das letzte Wort noch nicht gesprochen: Denn im Rat muss ebenfalls eine Einigung erzielt werden, eine baldige Entscheidung ist hier daher noch nicht in Sicht.

Weitere Informationen:

Studie zu den volkswirtschaftlichen Effekten der Eisenbahnliberalisierung


Factsheet von AK und vida zur Liberalisierung des Schienenpersonenverkehrs

AK EUROPA-Positionspapier zum 4. Eisenbahnpaket